Es geht los! So ließe sich das Statement von Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre von Mitte August zusammenfassen, als er das Projekt Northern Lights vorstellte. Mit Schiffen solle aus ganz Europa klimaschädliches CO2 in verflüssigter Form nach Norwegen und von dort aus über Pipelines zu sicheren Endlagerstätten unter der Nordsee transportiert werden. Das gesamte in Europa produzierte Kohlenstoffdioxid wohlgemerkt.

Carbon Capture Storage (CCS) heißt die Technologie, was übersetzt "Kohlenstoffdioxid auffangen und speichern" bedeutet. Der Weltklimarat (IPCC) findet deutliche Worte zu deren Wichtigkeit: CCS sei ein entscheidender Bestandteil der Strategie gegen den Klimawandel, um die Ziele noch erreichen zu können. CO2 soll also vom vermeidbaren Problemstoff zum lagerfähigen Endprodukt werden. Dass das grundsätzlich möglich ist, wird seit Jahren international demonstriert. Nun sei das Verfahren aber auch "technologisch ausgereift", wie es aus Fachkreisen heißt. In Österreich und Deutschland ist CCS wegen Vorgaben des Gewässerschutzes verboten. Umso willkommener ist die Ankündigung aus Norwegen.

"Wir wollen keinen CO2-Speicher, wo wir selbst wohnen. Das wühlt uns auf", sagt Tobias Pröll, Verfahrenstechniker an der Universität für Bodenkultur Wien. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Abscheidung und Aufkonzentrierung von CO2. Um das Jahr 2011 sei auch in Österreich kurz eine Diskussion um eine mögliche CO2-Speicherung aufgeflackert. Darauf habe die Politik mit einem Verbot reagiert. Auf dem europäischen Festland ist ein derartiges Projekt laut Pröll nur schwer umzusetzen.

In Island bereits im Einsatz

Weit weg von jeglicher Zivilisation befindet sich jedenfalls eine CO2-Speicheranlage im isländischen Hellisheiði, rund 30 Kilometer südöstlich von Reykjavik. Carbfix heißt das Unternehmen, das ein Gemisch aus Wasser und CO2 unter Hochdruck in das umliegende Basaltgestein pumpt. Dort reagiert das CO2 mit dem Vulkangestein und mineralisiert in den Hohlräumen des Basalts. Die nötige Energie liefert das anliegende Geothermiekraftwerk. Island wird nahezu komplett mit erneuerbarer Energie aus Erdwärme und Wasserkraftwerken versorgt.

Laut dem Carbfix-Mitarbeiter Ólafur Teitur Guðnason speichert ein Kubikmeter Gestein 100 Kilogramm CO2. Das Wasser fließe zurück ins Grundwasser. Aktuell bindet die Anlage 12.000 Tonnen CO2 jährlich. Bis 2031 wollen die Betreiber die Kapazitäten auf drei Millionen Tonnen hochfahren. Dafür soll auch ein Verteilerzentrum sorgen, das künftig CO2 aus Nordeuropa annehmen können soll.

Doch die Anlage in Island ist von anderer Art als Northern Lights. Das norwegische Projekt soll vor allem industrielles CO2 speichern, das direkt bei der Produktion aufgefangen wird. Der Vorteil: Das Gas ist dort bereits konzentriert und kann mit viel weniger Energieaufwand verflüssigt werden. Das ist wichtig, um ein zentrales Versprechen von Northern Lights zu erfüllen: die Beschleunigung der Dekarbonisierung.

Verschiedene Varianten von Carbon Capture and Storage (CCS). Auch in der Ölförderung wird die Technik eingesetzt.
Grafik: Fathi Aydogdu

Was tun mit CO2 aus Kohlekraftwerken?

Das gesamte CO2 der EU – das klingt verlockend. Ob das gelingen kann, darüber geben mehrere Studien Aufschluss. Einer der größten CO2-Produzenten sind nach wie vor Kohlekraftwerke, die mit zehn Milliarden Tonnen für mehr als ein Viertel des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich zeichnen. Kann CCS hier zur Entspannung beitragen? Oder müssen Kohlekraftwerke durch erneuerbare Energie ersetzt werden? Die Frage stellt sich im Besonderen, nachdem bei einem Treffen der G7 in Berlin im Mai zum Klimawandel zwar ein Kohleausstieg beschlossen wurde, Kohlekraftwerke mit CCS auf Betreiben der USA und Japan davon aber explizit ausgenommen wurden.

Aufschluss liefert auch eine Betrachtung der Energiebilanz: Der Bau von Kraftwerken benötigt Energie, die mit einem gewissen CO2-Ausstoß einhergeht – auch bei Kraftwerken, die erneuerbare Energie nutzen. Ist es also effizienter, diese Energie in Kohle mit CCS zu investieren oder in Photovoltaik und Windkraft?

Verfahrenstechniker Pröll rät dringend, vorrangig in erneuerbare Energiequellen zu investieren. CCS bei fossil versorgten Anlagen führe lediglich zu einer Emissionsreduktion, nicht zu einer Reduktion des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre. CCS in Verbindung mit Biomasse hingegen sieht er als Reparaturmaßnahme im Hinblick auf den Klimawandel. Werde etwa Holz thermisch oder biologisch umgesetzt, um Energie freizusetzen, entstehe zwar auch CO2 – dieses CO2 wurde allerdings zuvor von Pflanzen aus der Atmosphäre aufgenommen. Werde es nicht mehr zurück in die Atmosphäre entlassen, würden wir eine Netto-CO2-Senke erreichen, erklärt Pröll. In Schweden werde das vom Fernwärmeversorger Exergi bereits groß ausgerollt.

"Natürlich drängt die Zeit, und wir müssen auf verschiedenen Ebenen agieren", sagt Pröll. Er rät trotzdem davon ab, Kohlekraftwerke mit CCS auszustatten, anstatt nach alternativen Energieträgern zu suchen. Die Zementindustrie könne dafür sehr wohl mit der Technologie ausgestattet werden, wenn man davon ausgeht, dass auch in Zukunft Zement produziert wird.

Eine im Journal "Nature" veröffentlichte Studie von 2018 kommt ebenfalls zu einem klaren Ergebnis: Energie, die in den Ausbau von Photovoltaik oder Windkraft investiert wird, liefert mindestens ein Drittel, möglicherweise aber fast dreimal mehr Energie zurück als Energie, die in Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und -Speicherung investiert wird. Investments in erneuerbare Energien inklusive Speichermöglichkeiten sind energieeffizienter.

Es gibt allerdings andere CO2-intensive Industriezweige, und nicht überall sind im industriellen Maßstab einsetzbare Alternativen wie in der Energieproduktion absehbar. Hier könnte Northern Lights Potenzial haben.

Pipelines und Schiffe

Über den Transport von CO2 zu Speichern wie Northern Lights über Landesgrenzen hinweg wird schon seit vielen Jahren nachgedacht, doch bisher war dazu auch in Publikationen der Internationalen Energieagentur (IEA) ein Transportsystem aus Pipelines vorgesehen. Die Ankündigung, dass das CO2 per Schiff transportiert werden soll, kommt eher überraschend.

Schiffe stoßen selbst CO2 aus und beeinflussen die Effizienz des Verfahrens. Bei Northern Lights setzt man deshalb auf neue Technologien: Um die Emissionen niedrig zu halten, sollen die künftigen Schiffe "so effizient wie möglich" arbeiten. Die Rede ist von Studien zu Wind und Wellenbedingungen und optimierten Schiffsrümpfen, aber auch segelartige Systeme, die den Wind nutzen, sollen installiert werden.

Eine Anlage zum Auffangen und Speichern von CO2 im kanadischen Alberta.
Foto: REUTERS/Todd Korol

Die Schiffe sollen zudem mit Erdgas betrieben werden – alles Technologien, die bisher noch auf ihren großflächigen Einsatz in der Frachtschifffahrt warten. Von einem Abscheiden des Kohlendioxids im Abgas der CO2-Schiffe ist überraschenderweise nicht die Rede.

Das "technologisch ausgereifte" CCS macht also großzügig Gebrauch von nicht ausgereiften Konzepten, ohne dabei auf eigenes Know-how zu vertrauen. Der größte Energieaufwand falle laut Pröll mit 75 Prozent aber ohnehin nicht beim Transport an – egal ob das CO2 durch Pipelines oder Schiffe verfrachtet wird –, sondern bei der Abscheidung aus dem Kamin.

Mit dem Bau der Schiffe hat Shell bereits begonnen. Zwei Schiffe mit einer Kapazität von 7.500 Kubikmetern sollen 2024 fertig sein, bis zu zehnmal größere Schiffe sind in Arbeit.

Die Kosten

Vom Schornstein bis zum Lager rechnet Verfahrenstechniker Pröll mit Kosten zwischen 100 und 150 Euro je Tonne CO2. Dieser Preis gelte allerdings nur, wenn das Kohlenstoffdioxid direkt aus dem Kamin abgeschieden wird. Wird hingegen aus der Umgebungsluft abgeschieden, liegt der Preis bei rund 800 Euro pro Tonne.

Für Norwegen, das großes Know-how in der Ölförderung besitzt, scheint sich mit CCS zudem ein neues Geschäftsfeld aufzutun. Als Partner sind etwa die Unternehmen Shell und Total mit im Boot. Das ergibt Sinn, denn die beiden Bereiche sind enger miteinander verknüpft, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Als Speicher für das CO2 wurden unterirdische Schichten aus porösem Gestein ausgemacht, mit einer für Dichtheit sorgenden, massiven Gesteinsschicht darüber. Sandstein etwa besteht zu einem Gutteil aus Hohlräumen, in die CO2 geblasen werden könnte.

Doch solche Hohlräume sind nicht immer völlig leer, sie enthalten manchmal Gas oder Öl. Eine Variante von CCS besteht daher darin, Kohlenstoffdioxid zur Förderung von Öl zu nutzen. Das CO2 wird in das poröse Gestein geblasen und verdrängt das darin befindliche Öl. Das Stichwort lautet "Enhanced Oil Recovery" (tertiäre Ölförderung, kurz EOR). In Schottland wird daran geforscht, diese Technologie in die Praxis umzusetzen. Das Projekt ist eine Kooperation verschiedener öffentlicher schottischer Fördergeber mit den Unternehmen Nexen und Shell.

In den USA ist die Technologie bereits im Einsatz. Von einem Kohlekraftwerkblock in Kanada wird CO2 abgeleitet und durch Pipelines weitergeleitet. An den Gesteinsformationen, in denen sich schwer förderbares Öl befindet, angekommen, wird es hineingepresst. Das CO2 verringert die Viskosität des Öls, erklärt Pröll. Dadurch wird das Öl förderbar. Der Pferdefuß: Wird dieser Liter Öl nun wieder verbrannt, gelangt letztlich mehr CO2 in die Atmosphäre als in die Lagerstätte eingebracht wurde.

Bei der nun ins Auge gefassten CO2-Lagerstätte in Norwegen ist von Ölförderung nicht die Rede, die Vorkommen von Öl lägen tiefer. Das aus EOR gewonnene Know-how fließt aber über die Projektpartner Shell und Total mit ein. Die Bohrungen zu den geplanten Lagerstätten in 3.000 Meter Tiefe starteten Anfang August, nachdem Probebohrungen 2020 erfolgreich gewesen waren. Das Gestein, das sich über Jahrmillionen als wirkungsvoll im Speichern von Erdgas erwiesen hat, soll nun dasselbe für CO2 leisten.

Skeptiker überzeugen

Die IEA setzt seit Jahren auf CCS, das sie 2012 noch als Alternative zur "teuren" Photovoltaik anpries. Inzwischen hat sich Photovoltaik durchgesetzt, und es müssen neue Argumente gefunden werden.

Forschende wie Holger Ott von der Montanuniversität Leoben warnen vor Widerstand gegen CCS: Maßnahmen gegen den Klimawandel müssten auf möglichst breiter Front ausgerollt werden. Die Lage sei so ernst, dass sich die Frage nach einem Entweder-oder nicht stelle, es brauche einen Ausbau erneuerbarer Energien und von CCS.

Wie eine der Dramatik der Situation angemessene Notfallmaßnahme auf Basis von CCS aussehen könnte, hat sich eine weitere Forschungsgruppe in einer Studie im Fachjournal "Nature Communications" angesehen, die sich fragte, ob es angesichts der Lage nicht eine Art Notfallprogramm wie in Kriegszeiten brauche.

Man untersuchte, was passieren würde, wenn die Weltgemeinschaft bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu zwei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts in Anlagen zur Filterung und Speicherung von CO2 aus der Luft investieren würde. Auch der großskalige Zugang bleibt etwas unter den Erwartungen.

Eine Begrenzung der Erderwärmung auf etwa 2,4 Grad scheint immerhin möglich. Um unter zwei Grad zu bleiben, seien zusätzliche Maßnahmen wie im IPCC-Szenario SSP1-2.6 nötig. Dabei handelt es sich um eine der günstigsten Prognosen des Klimarats, die ein Bündel an effektiven Klimamaßnahmen unabhängig von CCS voraussetzt.

Am kostengünstigsten sei die Verwendung heute etablierter Stromquellen, etwa Wasserkraft, aber explizit auch Gas, sagen die Forschenden. Das sei zwar weniger effizient zur CO2-Einsparung, allerdings gehe es darum, möglichst bald möglichst viele Anlagen zu errichten, um das Konzept entlang der "technologischen Lernkurve" weiterzuentwickeln.

Auch die österreichische Politik interessiert sich für CCS. Hier besichtigt die ÖVP-Jugendstaatssekretärin Carbfix in Island.
Foto: APA/BKA/ARNO MELICHAREK

Auch hier stellt sich die Frage, von welcher technologischen Lernkurve die Rede ist, wo doch CCS offenbar ausgereift ist, und ob nicht der Ausbau erneuerbarer Energie als Notfallprogramm mit zwei Prozent des BIP ausgerollt werden könnte, wenn für CCS ohnehin ein Ausbau erneuerbarer Energie wie Wasserkraft nötig ist.

Der Widerspruch zieht sich wie ein roter Faden durch die Debatte. CCS setzt vielfach indirekt auf andere Maßnahmen gegen den Klimawandel oder braucht sie zur Unterstützung. Das zeigt sich etwa in einem Vorschlag kanadischer Forschender, CO2 mit Zugwagons aus der Luft zu filtern. Die Energie dafür soll beim Bremsen gewonnen und in riesigen mitgeführten Akkus zwischengespeichert werden.

Doch Bremsenergie kann natürlich in einer elektrifizierten Bahnstrecke direkt verwendet werden, wie das die OEBB seit Jahren praktizieren. Diese CCS-Variante setzt also auf eine andere Methode zur Effizienzsteigerung, die auch ohne CCS klimawirksam ist, weil Strom gespart wird.

Auch wenn es stimmen mag, dass das Erreichen der Klimaziele ohne CCS nicht zu schaffen ist, so stellt sich doch im Einzelfall oft die Frage nach direkten Wegen, die vorhandenen Mittel einzusetzen. Bisher durchgeführte Studien, die CCS mit anderen Maßnahmen vergleichen, scheinen für alternative Zugänge zu sprechen.

Auch für Pröll sind daher Projekte wie Northern Lights Teil des gesamten Orchesters, das es für die Energiewende braucht. Allerdings hat das Wochenmagazin "Der Spiegel" vor kurzem errechnet, dass 70 Prozent der bisher erfolgreich durchgeführten CCS im Zusammenhang mit Ölförderung standen. In Deutschland denkt man darüber nach, Öl aus Norwegen zu importieren und das gesammelte CO2 direkt zurückzuführen. Um wirklich den Klimawandel zu bekämpfen, muss CO2 aus fossilen Energieträgern laut Experteneinschätzung aber reduziert werden, statt in den Boden gepumpt zu werden. (Reinhard Kleindl, Julia Beirer, 18.9.2022)