Der Saturn beschäftigt Planetenforscherinnen und -forscher nicht nur wegen seiner Ringe. Auch die ungewöhnliche Achsenneigung bereitet Kopfzerbrechen.
Foto: Nasa

Der Saturn zählt fraglos zu den seltsameren Planeten unseres Sonnensystems, und das liegt nicht unbedingt allein an seinem charakteristischen Ringschmuck. Eines der größten Rätsel stellt seine merkwürdige Ausrichtung im Raum dar: Wie an den Ringen deutlich erkennbar wird, ist die Rotationsachse des Gasriesen um 26,7 Grad gegenüber der Umlaufebene des Planeten um die Sonne geneigt.

Astronominnen und Astronomen vermuteten lange Zeit, dass die gekippte Lage des Saturn von gravitativen Wechselwirkungen mit seinem übernächsten Nachbarn Neptun herrührt – zumindest rotiert die Neigung des Saturn wie ein schräg stehender Kreisel mit annähernd demselben Tempo wie die Umlaufgeschwindigkeit des Neptun auf seinem Weg um die Sonne. Naheliegend also, dass die Forschenden hier einen Zusammenhang vermuteten.

Verlorener Gleichklang

Beobachtungen der Nasa-Raumsonde Cassini, die den Saturn und seine Monde von 2004 bis 2017 im Visier hatte, ließen mittlerweile erhebliche Zweifel an dieser Theorie aufkommen. Eine aktuelle Arbeit wirft diese These nun endgültig über den Haufen und bietet stattdessen eine alternative Erklärung. Wie ein Astronomenteam vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und anderen Forschungsinstitutionen anhand aktualisierter Modelle nachweisen konnte, mögen die beiden Planeten zwar durchaus einst im Schwerkrafteinklang gewesen sein, mittlerweile aber hat sich Saturn der Anziehungskraft von Neptun entzogen.

Was aber war dann die Ursache für die Achsenneigung des Ringplaneten? Das Team um MIT-Forscher Jack Wisdom hat eine neue Hypothese vorgestellt, die nicht nur den Schrägstand von Saturn erklären würde, sondern auch die Herkunft des Ringsystems. In seiner im Fachjournal "Science" präsentierten Studie schlägt das Team vor, dass Saturn, der heute von 83 Monden umkreist wird, einst mindestens einen weiteren beherbergt hat.

Blick auf die Ringe des Saturn von der Seite, im Vordergrund der Mond Titan.
Foto: NASA

Chrysalis' Untergang ...

Dieser zusätzliche Trabant, den die Forschenden Chrysalis getauft haben, umkreiste Saturn vermutlich mehrere Milliarden Jahre lang, wobei er gemeinsam mit den anderen Monden dafür sorgte, dass die Achsenneigung des Gasriesen in Resonanz mit dem Neptun blieb.

Vor etwa 160 Millionen Jahren aber wurde der Orbit von Chrysalis instabil, wie die Berechnungen der Forschenden zeigten, und der Mond kam dem Saturn immer näher, bis die Gezeitenkräfte den Trabanten schließlich auseinanderrissen. Der Verlust des Mondes reichte offenbar aus, um Saturn aus Neptuns Griff zu befreien und seine Schräglage unabhängig vom Einfluss durch den nachbarlichen Eisriesen gleichsam zu fixieren.

... und Überleben als Ring

Zusätzlich lässt sich mit diesem Modell auch der Großteil des Materials erklären, aus dem sich die Saturnringe gebildet haben. Während die Hauptmasse des zerschmetterten Himmelskörpers in der dichten Atmosphäre des Saturn verglühte, verblieb ein kleiner Teil davon in der Umlaufbahn und zerfiel dabei in immer kleinere Fragmente, um schließlich die typischen Ringe des Planeten zu formen.

Vor allem der relativ späte Entstehungszeitpunkt der Ringe hat den Expertinnen und Experten bisher stets Kopfzerbrechen bereitet. Diese Lücke könnte durch die neue Hypothese geschlossen werden, meinen die Autorinnen und Autoren. Aufgrund der Simulationen gehen sie davon aus, dass Chrysalis etwa so groß war wie Iapetus, der mit einem Durchmesser von 1.470 Kilometern drittgrößte Saturnmond. "Unsere These ist eine ziemlich gute Geschichte, aber wie jedes Resultat muss sie nun von anderen untersucht und bestätigt werden", sagt Wisdom. (tberg, 16.9.2022)