Vereinsstrukturen, Brauchtum und traditionelle Rollenbilder sind in vielen ländlichen Regionen von geschlechterdiskriminierenden Praktiken geprägt, so die Autor:innen der Studie "Sexismus im Alltag – Wahrnehmung und Erscheinungsformen in Tirol".

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Sexismus ist so gut wie überall in Tirol vorzufinden. Diesen Schluss legt eine Online-Umfrage nahe, die vom Land Tirol in Auftrag gegeben wurde. Vor allem für Frauen. 86 Prozent von ihnen waren schon einmal von Anstarren, anzüglichen Bemerkungen oder Cat-Calling (z. B. Hinterherpfeifen oder Hinterherrufen) betroffen. 76 Prozent hatten bereits Erfahrungen mit abwertenden und unangenehmen Kommentaren zu ihrem Körper, und 70 Prozent waren schon von unerwünschten Berührungen oder Küssen betroffen, wie die Umfrage unter 1.080 Tiroler:innen zeigte. Durchgeführt wurde diese von L&R Sozialforschung in Kooperation mit dem Center for Social & Health Innovation (CSHI).

Im Juli 2020 starteten 19 Tiroler Frauenorganisationen einen Aufruf zum Dialog über Sexismus und forderten in einer gemeinsamen Erklärung dazu auf, "sich einzumischen und solidarisch zu sein". Ebenfalls im Sommer 2020 wurde im Tiroler Landtag beschlossen, eine Studie zum Thema "Sexismus im Alltag – Wahrnehmung und Erscheinungsformen in Tirol" in Auftrag zu geben, aus der Maßnahmen zur Verbesserung der Situation abzuleiten wären.

Unvergessener "Luder"-Sager

Die Umfrageergebnisse zeigen nun, welch große Rolle Sexismus im Alltag der Tiroler:innen spielt. Besonders viel Sexismus nehmen sie in der öffentlichen Sphäre wahr: in der Werbung (85 Prozent der Frauen und 71 Prozent der Männer), in sozialen Medien (81 Prozent der Frauen und 75 Prozent der Männer) oder auch durch Aussagen von Personen des öffentlichen Lebens (71 Prozent der Frauen und 47 Prozent der Männer). Dazu wird vielen noch die Aussage des Landeshauptmannstellvertreters Josef Geisler (ÖVP) in Erinnerung sein, der bei einem öffentlichen Termin im Frühsommer 2020 eine WWF-Expertin als "widerwärtiges Luder" bezeichnete.

Gut die Hälfte der Befragten sehen Sexismus auch nicht als reines Problem für Frauen. 55 Prozent der Frauen und 47 Prozent der Männer sind der Ansicht, dass auch Männer von Sexismus betroffen sein können. Von direkter persönlicher Betroffenheit berichten aber dennoch zu einem hohen Anteil nur Frauen, wie die Zahlen zu Cat-Calling oder unerwünschten Berührungen zeigen. Fast alle weiblichen Teilnehmerinnen berichten über "Erfahrungen von Diskriminierung bzw. Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt", heißt es in einer Aussendung von L&R Sozialforschung. Viele der Teilnehmerinnen gaben an, sich persönliche Schutzmechanismen zuzulegen, etwa das Handy immer greifbereit zu haben, nur beleuchtete Straßen zu frequentieren oder als Single trotzdem immer anzugeben, in einer Beziehung zu sein.

Männliche Vereine

Kein positives Zeugnis stellen die weiblichen Befragten der Vertretung von Frauen in der Tiroler Landespolitik und in den Gemeinden aus. 45 Prozent gaben an, dass diese Vertretung nicht vorhanden sei, 50 Prozent der Frauen sagten "eher nicht". Auf Gemeindeebene finden sogar 45 Prozent der Frauen, dass sie gar nicht vertreten sind. Eine Teilnehmerin nannte hierzu etwa das Negativbeispiel: "Bürgermeister, die meinen, der Kindergarten müsse nur bis 11.30 geöffnet sein, weil bis dahin kann man ja einkaufen gehen".

Besonders betont wurden auch die Vereinsstrukturen in ländlichen Gebieten. Fast jede zweite Frau (49 Prozent) gibt an, dass die Frauen in Vereinen in Tirol weitgehend ausgeschlossen werden, bei Männern sind es mit 47 Prozent fast genauso viele. Die Vereinsstrukturen, das Brauchtum und traditionelle Rollenbilder seien "vorrangig, aber nicht ausschließlich, in ländlichen Regionen von geschlechterdiskriminierenden und sexistischen Praktiken, Handlungs- und Denkweisen" geprägt, schreiben die Studienautor:innen. Letztlich hänge das auch damit zusammen, dass Förderungen an jeden Verein ausgezahlt werden, während es keine Gegenleistung dahingehend geben muss, dass in den Vereinen Inklusion und der gleiche Zugang zu allen Funktionen für alle Geschlechter sichergestellt wird. (beaha, 16.9.2022)