Die markante Felsnadel des Petit Dru im Montblanc-Gebiet erlebte seit der Jahrtausendwende mehrere spektakuläre Felsstürze, wovon eine Narbe aus hellem Feld zeugt. Geklettert wird dort weiterhin.
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Sie waren Ehrenamtliche, die ein alpines Naturjuwel für die Allgemeinheit zugänglich machen wollten. Im Jahr 2022 misslang das, drei Menschen starben. Nun läuft gegen die Bergenthusiasten ein Zivilprozess, und sie sehen sich mit anonymen Anfeindungen konfrontiert.

Die Berge sind gefährlicher geworden, nicht nur für Menschen, die sich im alpinen Gelände bewegen. Durch den Klimawandel kommt es zu einer Zunahme an Felsstürzen. Die Erwärmung und die Wetterextreme führen zu Gletscherabbrüchen wie jenem auf der Marmolata diesen Juli, aber auch zu Gesteinsabbrüchen. Im hochalpinen Gelände über 2500 Meter Seehöhe hält ewiges Eis die Berge zusammen. Dieser Permafrost taut und macht sie instabil.

So wie 2011, als Menschen in den Bergen um das französische Chamonix in der Mittagszeit eine seltsame Staubwolke an der ikonischen Felsnadel des Petit Dru bemerkten. Der Berg ist seit Jahrzehnten ein beliebtes Ziel für Bergsportbegeisterte, klassische Kletterrouten führten durch seine steilen Wände. Der Staub zeugte von einem riesigen Felssturz, bei dem 12.000 Kubikmeter Gestein ins Tal rutschten. Verletzte gab es glücklicherweise nicht.

Der Felssturz war verhältnismäßig klein, sechs Jahre zuvor war der Berg regelrecht entzweigebrochen. Fast 300.000 Kubikmeter stürzten in die Tiefe. Die Berge bei Chamonix sind kein wildes, unkartiertes Gelände, die abgebrochene Wand enthielt beliebte Kletterrouten. Inzwischen wird in der neuen, hellen Wand wieder geklettert.

Bergstürze wie dieser sind keine Seltenheit, 2007 war es der Einserkofel in den Dolomiten, der 60.000 Kubikmeter Fels verlor, am Eiger waren es 2006 sogar 400.000 Kubikmeter. Der jüngste große Bergsturz ereignete sich auf dem Schweizer Piz Cengalo. 2017 lösten sich drei Millionen Kubikmeter Gestein und töteten acht Menschen.

Der Bergsturz am Piz Cengalo löste eine riesige Felslawine aus.
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Kleinere Felsstürze tauchen oft nur kurz in lokalen Medien auf, etwa auf dem Kugelstein bei Graz, als ein Block von der Größe eines Autos auf die Straße fiel. Der Kugelstein verlor bereits 1992 große Mengen Gestein, beide Male war es Fels, der als fest genug eingeschätzt wurde, um darauf zu klettern. In Peggau ging das glimpflich aus. Doch die Opfer von der Marmolata werfen wieder einmal die Frage nach der Sicherheit der Berge auf. Lassen sich solche Ereignisse vielleicht besser vorhersagen? Und gibt es in der Welt von 2022 nicht Möglichkeiten des Naturerlebens, die ungefährlich sind, umgeben von Geländern, die Sicherheitsnormen genügen? Etwa den "Skywalk" auf dem Dachstein, der es erlaubt, durch ein Glasfenster 800 Meter in die Tiefe zu blicken – ein Moment mit wohligem Grusel, bevor man mit der Gondel zurück ins Tal fährt.

Gegen Bergbalkone

Bergsportler wie Stefan Glowacz oder Reinhold Messner wehren sich seit vielen Jahren gegen den Trend, im Hochgebirge abgesicherte Balkone zu errichten. "Berge brauchen keine Geschmacksverstärker", sagte Glowacz bei einer Protestaktion gegen eine Aussichtsplattform auf dem Ochsenfeldkopf in Garmisch-Partenkirchen.

Bergsport hat von jeher den Ruf, gerade diese normierten Bereiche zu meiden und manchmal offensiv die Gefahr zu suchen. Noch sind die Berge von Chamonix Fortgeschrittenen vorbehalten, auch wenn sich dort mehr und mehr Menschen aufhalten, die in urbanen Hallen mit Kunststoffgriffen klettern lernen und nun auch die Bergwelt entdecken.

Doch das Problem lässt sich nicht auf die Pole überregulierter Tourismus und Extrembergsteigen reduzieren, wie sich vor zwei Jahren im steirischen Mixnitz zeigte. An einem schönen Julitag stürzte um die Mittagszeit ein riesiger Felsblock in die Bärenschätzklamm. Die Klamm ist ein beliebtes Ausflugsziel, 40.000 Menschen jährlich nahmen die dreistündige Wanderung in Anspruch, die über 165 Holzleitern nach oben führt. In Spitzenzeiten waren es bis zu 700 Personen gleichzeitig – ein Albtraum für die Bergrettung. Am 8. Juli 2022 wurde der Albtraum Wirklichkeit. Seither ist die Klamm gesperrt.Mixnitz ist kein Gebiet für Extrembergsteiger, sondern ein traditioneller, naturnaher Naherholungsraum. Doch gerade hier führt der Klimawandel zu neuer Unsicherheit.

"Der Regen ist nicht mehr wie früher", ist Gerhard Jantscher, Leiter der Alpenvereinssektion Mixnitz, überzeugt. Früher habe es längere Zeit geregnet, Starkregen wie in letzter Zeit habe es nicht gegeben. Das sei bei Kalkstein wie in Mixnitz ein Problem: "Da sieht man das Wasser nicht. Es dringt unter das Gestein und hebt Felsen einfach hinunter."

Jantscher war als Leiter der Sektion Mixnitz für die Sicherungsarbeiten des Geländes über der Klamm verantwortlich. "Wir machen das alles ehrenamtlich. Seit Jahren werden die Wände links und rechts der Wasserscheide im Frühjahr überstiegen und das lose Gestein in die Klamm geworfen. Das macht der Alpenverein mit seinen bergerfahrenen Kameraden und mit der Bergrettung Mixnitz", sagt Jantscher.

Seit 1902 ist die Klamm für Publikum geöffnet, es sei nie etwas passiert. "Der Fels, der herausgebrochen ist, war so groß, dass man darauf hätte stehen können", betont Jantscher. "So etwas lässt sich nicht einschätzen."

Trotzdem wurden Ermittlungen aufgenommen. "Es gab eine Anzeige gegen unbekannt, nicht gegen den Alpenverein", erklärt Jantscher. Die Haftung des Alpenvereins beschränkt sich auf die Leitern in der Klamm. Mehrsprachige Warnschilder weisen darauf hin, dass die Klamm nicht gegen Steinschlag gesichert ist.

Die strafrechtlichen Ermittlungen wurden eingestellt, doch ein Jahr nach dem Unfall folgte eine Zivilklage gegen den Alpenverein, die noch läuft. Dazu kam ein anonymes Plakat mit Anschuldigungen, der Alpenverein habe sich bereichert und bei der Absicherung gespart.

Schließung erwogen

Die Bärenschützklamm ist seit 1902 mit Steigen abgesichert und ein beliebtes Ausflugsziel im Grazer Bergland. Seit einem tödlichen Felssturz 2020 ist die Klamm gesperrt.
Foto: imago images/Volker Preußer

Die Überlegung, die Klamm für immer zu schließen, sei sehr konkret gewesen, sagt Jantscher. Doch man habe sich entschieden, weiterzumachen. Die Klamm wird nun mit Stahlnetzen abgesichert, die mit dem Hubschrauber in die Klamm geflogen werden, Kostenpunkt eine Million Euro. Stahl in das Naturjuwel zu bohren sei die einzige Möglichkeit, die Berge seien nun einmal lebendig und ließen sich nicht einschätzen.

Der juristische Begriff für nicht absicherbare Einzelereignisse lautet "höhere Gewalt". Zitate bekannter Bergsportler legen nahe, dass gerade die Nähe zu etwas Höherem ein wesentlicher Wert der Berge ist. "Wie winzig klein, wie nichtig der Mensch im Weltall steht, können wir Bergsteiger vielleicht am besten erkennen", schreibt Hermann Buhl.

Der Klimawandel verschärft nun die Konflikte in dieser von den Sicherheitsnormen unserer Gesellschaft bisher beinah unangetasteten Welt. Zwischen Extrembergsteigern und den von Glowacz geschmähten Aussichtsbalkonen scheint kein Platz mehr zu sein. (Reinhard Kleindl, 18.9.2022)