Darf es ein bisserl mehr sein? Regionale Einkäufe erlebten in Corona-Zeiten Aufwind. Die Energiepreiskrise holt viele Greißler auf den Boden der Realität zurück.

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Lisa Tavare sieht seit der Stromabrechnung im September die Schmerzgrenze für ihr kleines Nah-&-Frisch-Geschäft in Spital am Fuße des Semmering erreicht. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass sich die Steirerin als Kauffrau selbstständig machte und die Nahversorgung der 1800-Seelen-Gemeinde neu belebte.

Morgens kommen Arbeiter auf einen schnellen Kaffee. Vormittags treffen sich bei ihr Pensionisten auf einen Plausch. Viele rundum hätten kein Auto und erledigten ihre täglichen Einkäufe zu Fuß oder mit dem Fahrrad, erzählt die 29-Jährige.

Wer nicht mobil sei, dem stellt sie mit ihren Mitarbeiterinnen Lebensmittel zu. Brettljausen und belegte Brötchen für Betriebe wurden ihr zweites Standbein. Und in der Corona-Krise blieben ihre Türen während der Lockdowns auch für jene offen, die weniger Brot und Milch suchten als persönliche Ansprache und emotionale Ventile in Zeiten der Isolation.

Doch die Energiekrise stellt für Tavare alles auf den Prüfstand: 780 Euro hat sie bisher für Strom monatlich für ihre 160 Quadratmeter Verkaufsfläche bezahlt. Für September verlangte ihr Versorger 1900 Euro – ehe er die Vorschrift auf 1500 Euro senkte. Aber auch knapp 20.000 Euro im Jahr allein für Strom seien für sie als Kauffrau nicht tragbar, zumal die Gasrechnung noch bevorstehe.

Sparsamer einkaufen

Zahle sie sich selbst nur noch 500 Euro im Monat aus, schlittere sie unweigerlich ins Minus, sagt die frühere Gastronomin. "Ich muss als Alleinerzieherin auch von etwas leben können. Ich kann nicht nur für Strom, Gas und Steuern arbeiten."

Andere Jobs zu finden, in denen sie mehr als fünf Tage Urlaub in den vergangenen Jahren gehabt hätte, sei für sie kein Problem. Aber es gehe um mehr. "Ich will mit Hausverstand etwas Eigenes aufbauen." Die Menschen im Ort unterstützten sie. Immer mehr seien aber gezwungen, stark zu sparen und überwiegend zu Aktionspreisen einzukaufen. Ohne Entlastung bei den Stromkosten haben Geschäfte wie das ihre keine Zukunft, fürchtet Tavare.

Erste Kaufleute in ländlichen Gemeinden geben bereits auf. Hannes Wuchterl, Chef der Nah & Frisch, erzählt von einem Ort in Niederösterreich, der seinen Nahversorger verliert. Schuld daran sei teurere Energie. 35.000 statt 16.000 Euro im Jahr und eine Nachzahlung in Höhe von 5000 Euro seien für eine Kauffrau nicht leistbar gewesen.

Flucht aus Selbstständigkeit

"Das ist kein Einzelfall", betont Wuchterl, "und es hat dramatische Folgen." Steuere die Politik nicht dagegen, drohe ein Kahlschlag unter ländlichen Nahversorgern.

Die Stromkosten hätten sich zum Teil annähernd verfünffacht. Nachzahlungen erforderten eine Liquidität, die der regionale Einzelhandel nicht hergebe. Hat der Lebensmittelhandel in Zeiten der Krise nicht außerordentlich gut verdient? Die Erträge selbstständiger Kaufleute seien nicht mit jenen der großen Supermärkte vergleichbar, sagt Wuchterl. Im besten Fall entspreche der Lohn eines kleinen Nahversorgers dem Einkommen eines durchschnittlichen österreichischen Arbeitnehmers. "Reich wird man damit nicht."

Wuchterl warnt davor, dass sich viele Kaufleute neu orientieren und besser bezahlte Arbeit als Angestellte annehmen, an der es derzeit landauf, landab nicht mangle. Nah & Frisch zählt in Österreich 430 Geschäfte, die mit knapp 1900 Mitarbeitern im Vorjahr 321 Mio. Euro umsetzten. Gesellschafter sind die Großhändler Kastner, Kiennast und Unigruppe.

Entlastung gefordert

Am Freitag gab das Tiroler Handelshaus Wedl als Mitbegründer der Gruppe bekannt, dass es sich angesichts der veränderten Rahmenbedingungen und wachsender Marktkonzentration aus dem Lebensmitteleinzelhandel bis Jahresende zurückzieht. Geschäfte unter der Marke Nah & Frisch sind im Schnitt 200 Quadratmeter groß, beschäftigen vier Mitarbeiter oder werden von der Familie der Kaufleute geführt.

Wuchterl erwartet sich von der Regierung rasche finanzielle Entlastung: Wie bei den privaten Haushalten sollten 80 Prozent der Stromkosten auch für kleine Nahversorger gedeckelt werden. Diese bräuchten Sicherheit, Berechenbarkeit und die Motivation, Energie zu sparen. "Ich kann mir nicht erklären, warum so lange zugewartet wird." Bis die Hilfe tatsächlich greife, werde es für etliche Greißler zu spät sein.

Wandern ihre Kunden aufgrund des Kostendrucks im großen Stil zu Diskontern ab? Wuchterl sieht Nahversorger nicht auf verlorenem Boden. Konsumenten vermieden Autofahrten, um Benzin zu sparen. Zudem zerstückelten sie vermehrt teure wöchentliche Einkäufe in kleine tägliche. Regionale Versorgung dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden. (Verena Kainrath, 18.9.2022)