Ahmad Massoud, Sohn des als Nationalheld gefeierten Ahmad Shah Massoud, gilt als führender afghanischer Widerstandskämpfer gegen die Taliban.

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Die Schreckensherrschaft der Taliban in Afghanistan neige sich dem Ende zu – da ist sich Ahmad Massoud, der aktuell in Wien weilt, sicher. Es sei nur mehr eine Frage der Zeit.

Massoud – seines Zeichens Anführer der Nationalen Widerstandsfront von Afghanistan (NRF), die im Vorjahr unmittelbar nach dem Fall Kabuls gegründet wurde – ist wohl der prominenteste Gast einer privat initiierten Konferenz für afghanische Taliban-Gegner, die hierzulande von Donnerstag bis Samstag stattfindet.

Sie soll dazu dienen, die oppositionellen Kräfte im Exil – Aktivistinnen, Ex-Minister und Politiker unterschiedlicher Lager – zu einen, und demokratischere Strukturen für eine Zeit nach den Taliban vorzubereiten.

Massoud soll dabei eine führende Rolle einnehmen. "Wir brauchen eine politische Lösung für diese Krise", betonte er am Freitag vor Vertretern der Presse. Und das, obwohl sein NRF derzeit den wohl bedeutendsten bewaffneten Widerstand in Afghanistan leistet.

Massouds Heimat ist das hauptsächlich von Tadschiken bewohnte Pandschir-Tal, das während der ersten Taliban-Herrschaft (1996–2001) nicht unter ihre Kontrolle geriet. Auch heute bereitet ebendiese Region den Taliban die meisten Probleme: Massouds Anhänger hielten den Taliban nach dem Nato-Truppenabzug dort am längsten stand. Und auch wenn das Pandschir-Tal heute von den Taliban kontrolliert wird, sind dort Berichten zufolge noch sämtliche Kämpfer aktiv.

Versprechen gebrochen

Darüber hält sich Massoud allerdings bedeckt: Er beharrt darauf, dass die NRF keinen Krieg gegen die Taliban führt, sondern sich lediglich zur Wehr setzt. "Die Verbrechen der Taliban sind keine Einzeltaten, sondern systematisch", kommentiert Massoud etwa ein aktuelles Video, das die Enthauptung eines NRF-Kämpfers durch die Taliban zeigen soll. Die Taliban seien um keinen Deut besser als während ihrer ersten Herrschaft. All ihre Zusagen, etwa Frauenrechte nicht zu beschneiden, hätten die Taliban gebrochen. Und auch das Versprechen, keine Terroristen auf afghanischem Gebiet zu dulden, wurde nicht eingelöst, meint Massoud.

Zur Erinnerung: Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri wurde im Juli in Kabul von einer US-Drohne getötet. Zudem seien 23 terroristische Gruppen im Land aktiv. Zwar behauptet Al-Kaida, keine globalen jihadistischen Ziele zu verfolgen. "Doch das kann sich schnell ändern", warnt Massoud – und fordert die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, das durch den Ukraine-Krieg in den Hintergrund gerückte Afghanistan nicht aus den Augen zu lassen: "Auch im Eigeninteresse." Derzeit erhalte er überhaupt keine internationale Unterstützung.

Dennoch ist sich Massoud sicher: "Das autoritäre Taliban-Regime wird fallen." Und zwar wegen der eigenen Inkompetenz, das Land zu regieren, meint Massoud. Zu groß seien Unzufriedenheit und soziale Spannungen nach einem Jahr Taliban-Herrschaft. Das Leid in der Bevölkerung sei massiv, insbesondere das der Frauen, betont auch die Aktivistin Aliya Yilmaz.

Offene Fragen

Wie die rund 25 Konferenzteilnehmer die Taliban an den Verhandlungstisch zwingen wollen, ließen Yilmaz und Massoud allerdings offen. Fraglich bleibt auch, wie diese neue Allianz, zu der auch Ex-Politiker und Vertreter jener Elite gehören, die das Land durch Korruption in den Ruin gewirtschaftet hat, das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung gewinnen will.

Wie schwierig das werden könnte, ließen diverse Demos vor Ort erahnen. Neben Befürwortern demonstrierte auch eine Gruppe mit Schildern wie "Plünderer" und "Verbrecher".

Für Massoud steht aber fest: Es sei nicht die Zeit für Schuldzuweisungen. Dieses erste Treffen habe gezeigt, "dass zwischen den Vertretern der Opposition Einigkeit herrsche". Ziel sei es, eine würdige Zukunft für Afghanistan zu gestalten.

Organisiert wurde das Treffen vom Österreichischen Hilfskomitee für Afghanistan, weil man, wie der Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch erläuterte, "Österreich als Ort der Begegnung schätzt". (Flora Mory, 16.9.2022)