Im Gastblog schreibt Elisabeth Pressl über ein Projekt, das sich kritisch mit der Vergangenheit des Lavanttals auseinandersetzt. 

Das Projekt „Nullpunkte der Gewalt im Lavanttal: 1493 & 1934“ widmet sich der Hexenverfolgung und dem Nationalsozialismus, die die Stadt Wolfsberg und das Lavanttal geprägt haben und dort einige österreichweite Eigenheiten aufweisen. Bei diesem Projekt der Kulturinitiative Container 25, die in Hattendorf bei Wolfsberg angesiedelt ist, zeigen sich Potential und Hürden der Erinnerungs- und Kulturarbeit in Kärnten/Koroška abseits etablierter Gedenkorte.

Nullpunkte der Gewalt: 1493 und 1934

1493 wird im bambergischen Landgericht in Bad St. Leonhard ein Prozess gegen Christina Trünkhlin, Barbara Öslin und Wolfin (Namen laut Akt) geführt, bei dem sie des Teufelsbunds beschuldigt werden. Den drei als "Bürgerfrauen" Bezeichneten wird vorgeworfen sie hätten "im Hasse gegen den Edelmann Wolfgang Poyner einen Bund geschlossen, um denselben durch Zauberkünste zu verderben" (Hauser 1881, S.118). Es ist nicht nur der erste urkundlich belegte Prozess in Österreich, in dem der Vorwurf des Teufelsbundes erwähnt wird, sondern auch der erste sogenannte Hexenprozess, der zu einem Todesurteil führen sollte.

1934 wird Wolfsberg Hochburg des nationalsozialistischen Putschversuchs. Ab dem 26. Juli können Nazis im Lavanttal ihr größtes Territorium außerhalb des Deutschen Reichs halten. In Wolfsberg wird ein neuer Bezirkshauptmann und Bürgermeister installiert und die Befehlsgewalt über die Exekutive übernommen. Erst am Nachmittag des 30. Juli 1934 verlassen die letzten Putschisten das Lavanttal, womit der Putsch in Österreich offiziell als beendet gilt.

Das Lavanttal, so die These des Projekts, nimmt in der Geschichte Österreichs vor allem eine zwielichtige Rolle ein. Beide Jahreszahlen - 1493 und 1934 – können als Nullpunkte verstanden werden; als Referenz für eine kritische Vermessung von Gewalt und systematischer Verfolgung verschiedener Personengruppen in einer Region, die sich selbst lieber als "Stadt im Paradies" betitelt. Im Rahmen von Vorträgen und Diskussionsabenden mit verschiedenen Formaten, etwa einem Kurzfilm-Kino und einer Comic-Lesung, sowie einem Stadtspaziergang durch Wolfsberg mit Begleit-Buch beleuchtet der Container 25 einzelne Kapitel der Lavanttaler Lokalgeschichte und setzt sich mit diesen im Hinblick auf aktuelle, gesellschaftliche Fragen theoretisch und künstlerisch auseinander.

Erinnern zwischen Opfern und Tätern

In Wolfsberg sind die Geschehnisse rund um die Jahreszahlen mit dem einprägsamen Zahlendreher nur bedingt im Stadtbild sichtbar. Mittels eines Stadtrundgangs werden die Themen des Projekts im Stadtraum verortet, oft anhand konkreter Orte, manchmal assoziativ. An der Station, in der es um als Hexen verfolgte Frauen und Männer in Kärnten geht, schweift das Auge über den prominenten Reckturm und das Landrichterhaus. Dass der Reckturm nach einem Folterinstrument benannt ist, ist kaum bekannt. Das Landrichterhaus bekam seinen Namen von der Gegebenheit, dass Rechtsprechungen häufig in den Wohnhäusern der Richter stattfanden, bevor es eigene Gerichtshäuser gab. Auch wenn sich der Prozess von 1493 nicht an diesen Örtlichkeiten vollzog, steht man hier mitten in der Geschichte und der Erinnerungskultur heute: europaweit gibt es kaum Denkmäler zum Thema der Hexenverfolgung. In Wolfsberg könnte es bald so weit sein. Für den vor dem Reckturm liegenden Getreidemarkt wurde im Rahmen des Projekts ein Erinnerungszeichen an die in Kärnten als Hexen Verfolgten entworfen, das im Zuge der Erneuerung der Innenstadt auch umgesetzt werden soll.

Eine Station des Stadtrundgangs: Der Wolfsberger Reckturm
Foto: Nina Radeschnig/Container 25

Ähnlich unmarkiert ist die Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg, die als Station für den Juliputsch 1934 aufgegriffen wurde. An diesem zentralen Ort der Innenstadt erinnert nichts an das Ereignis und die Täterschaft, die die heutige Institution genauso wie viele Familiengeschichten im Tal betrifft: Insgesamt waren 1291 Lavanttaler am Putsch beteiligt. Dank der Recherchen des Wolfsberger Historikers Christian Klösch sind 874 Putschisten namentlich erfasst (Stand 2007). Andere Orte des Rundgangs, die sich der NS-Täterschaft widmen, wurden gerade wegen ihrer übermäßigen und geläufig gewordenen Sichtbarkeit aufgenommen: Neben unzähligen Holzdrucken des Künstlers Suitbert Lobisser in Kärntner Haushalten sind vier Fresken, die er 1930 anfertigte, auf der Hausmauer der Johann-Offner-Straße in Wolfsberg zu sehen. Ein Schild weist darauf hin, dass die Fresken von Suitbert Lobisser stammen. Unerwähnt bleibt dabei die Rolle seiner Blut-und-Boden-Motive als künstlerischer Ausdruck der NS-Ideologie, sowie sein persönliches Engagement für die NSDAP.

Zwischen den einzelnen Stationen ergeben sich Bezüge zwischen den Themen NS und Hexenverfolgung: Lobissers „Hexensabbath“ zeigt ein Paradebeispiel vom inszenierten Bild der Frau als mythisch-wildes Naturwesen. Auch in (historischen) Verschwörungsmythen lassen sich Parallelen zwischen Hexenverfolgung und Antisemitismus finden. Juden und Jüdinnen wurden von der christlichen Kirche im Hochmittelalter zunehmend dämonisiert: Ihnen wurde vorgeworfen, ihre Religionsausübung wären satanische Riten, sie würden Hostien schänden und mittels Schadenzauber Unheil über Christen bringen. Diese Vorwürfe dienten dazu, ihre Verfolgung zu legitimieren – in Wolfsberg führte die antisemitische "Legende des Hostienwunders", deren Erzählung um den heute noch sichtbaren "Judenstein" in der Lavant aufgebaut wurde, 1338 zu einem blutigen Pogrom gegen Juden und Jüdinnen. Anfang des 15. Jahrhundert wurden antisemitische Stereotype teilweise auf das Bild der Hexe übertragen, veranschaulicht im Begriff des "Hexensabbaths", der den jüdischen Feiertag in ein geheimes Treffen gefährlicher, sektenhafter Ketzerinnen und Ketzer verkehrt. Diese Parallelen sind durch die zeitliche Nähe schlüssig, jedoch lassen sich die Themen aufgrund des Vernichtungsantisemitismus des Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert in der Form der Gewalt und auch in der Erinnerungskultur kaum vergleichen.

Hausmauer der Johann-Offner-Straße in Wolfsberg mit Fresken von Suitbert Lobisser
Foto: Nina Radeschnig/Container 25

In der Nähe des Wolfsberger Rathauses erinnert eine 2001 enthüllte Tafel an Emma Gross und Adolf Gross, ihre Töchter Lotte Roth und Anny Junek sowie Emma Gross‘ Schwester Hermine Singer und deren Sohn Hans Singer. Diese sechs Mitglieder zweier jüdischer Familien wurden 1938 ins Exil gezwungen, in Konzentrationslager deportiert und dort zum Teil ermordet. Auch weitere jüdische Familien lebten zu dieser Zeit im Lavanttal oder hatten Verbindung dorthin. Betriebe jüdischer Besitzer und Besitzerinnen wurden "arisiert", wie im Fall der Papierfabrik Frantschach. In den Jahren 1940/41 wurden mindestens 66 Wolfsberger und Wolfsbergerinnen im Zuge der NS-"Euthanasie" ermordet: 60 Personen in der Tötungsanstalt Hartheim und sechs im Gaukrankenhaus Klagenfurt. Bis heute haben die Behörden und "Ariseure" den Eigentums- und Vermögensverlust nicht annähernd angemessen rückerstattet, oft selbst trotz jahrelanger rechtlicher Bemühungen der Opferfamilien nicht.

An der letzten Station des Rundgangs, dem wuchtigen Kriegerdenkmal am Stadtfriedhof, bei dem laut Schild allen Opfern der Weltkriege gedacht wird, sind auf großen Steintafeln lediglich die Namen gefallener Soldaten gelistet. Denkmäler dieser Art waren in den 1960er geradezu en vogue und stehen in fast jeder österreichischen Gemeinde - manche Aspekte der Geschichte werden also sehr wohl in Stein gemeißelt. Der Fokus auf die positive Erinnerung von Tätern überdeckt nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit ebendiesen, sondern auch widerständige Gegengeschichten und die Erinnerung an die Opfer. Die Station am Kriegerdenkmal macht sichtbar, was lange (und zum Teil auch noch heute) unsichtbar gemacht wurde: der antifaschistische Partisanen- und Partisaninnen-Widerstand, der zum Teil auf der das Lavanttal säumende Saualpe und Koralpe stattfand. Die nie erfolgte finanzielle Entschädigungszahlung an bekannte Opfer des NS. Die träge bis ausbleibende Unterstützung der Erforschung der unbekannten Opfer. Ein gesellschaftlicher Umgang mit Täterschaft, Bereitschaft zur Auseinandersetzung, Veränderung. Erinnern als Prozess.

Das Heute im Gestern

Gerade die Auseinandersetzung mit der Hexenverfolgung im Rahmen des Projekts hat die Vielschichtigkeit von Erinnerungsprozessen aufgezeigt. Behandeln wir heute Hexen, können wir uns der Figur nicht eindimensional historisch widmen. Wie wäre der gefürchtete, tendenziell tödliche Titel der Hexe im 17. Jahrhundert zu trennen von landläufigen Geschichten und Märchen über alte, gruselige bis bösen Frauen? Wie verhalten wir uns zu den Figuren, die in der Abwandlung, Ablehnung oder Aneignung zum eigentlichen Bezug entstehen? Können Hexen uns heute etwa feministische Vorbilder sein?

Das Stereotyp Hexe in Kärnten hat sich über die Jahrhunderte stark verändert. Bis zum frühen 17. Jahrhundert waren in den Verfahren aufgrund von Magie oder Zauberei gegen 15 Personen nur drei Männer angeklagt, und fast alle waren sesshaft. Im späten 17. Jahrhundert sind nicht mehr sesshafte Frauen, sondern männliche Umherziehende Opfer der Hexenverfolgung: Sogenannte Vaganten haben in der stagnierenden Wirtschaft mit steigenden Abgaben an die Grundherren ihren Hof verloren, ziehen nun ohne feste Anstellung oder Wohnort umher. Diese stellten aufgrund ihrer alternativen Lebensführung eine Bedrohung für die sich stark wandelnden Produktionsverhältnisse und die gesellschaftliche Ordnung dar, wurden gezielt verfolgt, zu Hexen und Hexern gemacht und ermordet. Während europaweit insgesamt überwiegend Frauen von der Hexenverfolgung betroffen waren, waren in Kärnten knapp über 50 Prozent der Opfer Männer. Diese Daten zeigen, dass allein aufgrund historischer Dynamiken die Lesart der Geschehnisse aus dem Heute nie pauschal sein kann.

Im Projekt wurde die Figur der Hexe mindestens dreidimensional behandelt - die historische Hexe, der Hexenmythos und "die Frau" in ihrer (historischen und aktuellen) Lebensrealität. Die Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen sieht die Aneignung des Hexenbilds in feministischen Bewegungen durchwachsen: "Die historische Hexe zu einem Urbild weiblicher Freiheit und Kampfkraft zu erheben, wäre ein Zynismus angesichts ihres millionenfachen Leides, für das die Vorstellungskraft wohl kaum ausreicht. Andererseits steht die Aktualität des Hexenbildes für eine heutige Möglichkeit des Widerstands, die der historischen Hexe versagt war."

Dass dabei die Begründung für die Widerständigkeit nicht im Mythos einer vermeintlichen "weiblichen, naturbedingten Urmacht" zu finden ist, sondern in der gegenwärtigen, politischen Realität, macht die notwendige Differenzierung aus. Ansonsten läuft man Gefahr einer "Zitation der Mythen zum Beweis für die Wiederkehr des Immergleichen, die die Differenz zwischen Mythos, Historie und Realität verwischen soll" (Bovenschen 1977, S. 265f.) aufzusitzen.

Projektbuch "Nullpunkte der Gewalt im Lavanttal: 1493 & 1934"
Foto: Martin Kollman/Risofort

Gerade die lokale Erinnerungsarbeit fordert zur Differenzierung heraus, und fordert zugleich eine Einordnung in gesamtgesellschaftliche Strukturen ein. Nationalsozialismus und Hexenverfolgung, die im Projekt durch die Jahreszahlen 1493 und 1934 repräsentiert werden, stehen nicht im direkten Vergleich: sie sind als Schlaglichter zu verstehen. Diese in Kürze und in Zahlen ausgedrückte Verbrechen zeigen, dass die Geschichte des Lavanttals auf Gewalt, Verfolgung und Ausgrenzung beruht. Daraus formuliert sich die Verantwortung, die Zusammenhänge hinter den Ziffern zu beleuchten und sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. 

Das Projekt "Nullpunkte der Gewalt" versucht die Notwendigkeit feministischer und antifaschistischer Widerstände ausgehend von historischen Ereignissen in die gegenwärtige Stadt Wolfsberg und der in ihr heute herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen einzubetten. Neben der Aufarbeitung von dem, was einmal war, soll die Erinnerung für die Zukunft dienlich sein; dem, was sein kann. So stellt das Projekt einen Schritt im gemeinsamen Umgang mit der Geschichte als notwendige Verortung im Heute dar. Von hier aus wollen wir weiter, und den Weg in ein besseres Morgen finden. (Elisabeth Pressl, 26.09.2022)

Elisabeth Pressl lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Hamburg und ist Teil des Projektteams Nullpunkte der Gewalt im Lavanttal sowie seit vielen Jahren bei der Kulturinitiative Container 25 in Hattendorf bei Wolfsberg in Kärnten/Koroška aktiv. Ausführlichen Einblick in das Projekt gibt es unter www.nullpunkte-lavanttal.at.

Literatur

  • Bovenschen, Silvia (1977): “Die aktuelle Hexe, die historische Hexe und der Hexenmythos. Die Hexe: Subjekt der Naturaneignung und Objekt der Naturbeherrschung”, in: Becker, Bracket, Bovenschen (Hrsg.): Aus der Zeit der Verzweiflung: zur Genese und Aktualität des Hexenbildes, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977 , 259–312.
  • Klösch, Christian (2007): Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal, Wien: Czernin Verlag.
  • Lauritsch, Andrea (2001): Die Geschichte der Wolfsberger Juden in nationalsozialistischer Zeit, in: DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift, 50/09. [online] http://david.juden.at/kulturzeitschrift/50-54/Main%20frame_Artikel50_Wolfsberger.htm [abgerufen am 14.02.2022].
  • Swatek, Manuel. (2009): Hexenprozesse in Kärnten - Ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung der Bamberger Herrschaften, in: Heide Dienst (Hrsg.), Hexenforschung aus österreichischen Ländern, Münster: LIT Verlag, S. 161-182.
  • Verdnik, Alexander (2015): Wolfsbergs dunkelstes Kapitel: NS-Herrschaft im Lavanttal, Klagenfurt: Kitab.

Weiterführende Literatur

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