Tatort München. Vor wenigen Tagen marschierten die Profifußballer im Käfer-Zelt in Stutzen, Lederhosen und Jankern auf. Für altgediente Bayern-Spieler war das Ritual keine große Überraschung. Die Mannschaft hat sich in der Vergangenheit für ihren Arbeitgeber schon häufiger die Lederhosen ihres Ausstatters Beckert angezogen.
Dass Neuzugänge wie Sadio Mané oder Matthijs de Ligt zum ersten Mal dabei waren, fiel in dem Trubel nicht weiter auf. Vielleicht auch, weil einige von ihnen schon ziemlich routiniert in die Lederhosenrolle rutschten und in Begleitung eines Dirndls erschienen. Kurz gesagt: Selbst bei den Newcomern saß die Tracht bereits wie eine zweite Haut.

Nun werden einige anmerken: Dass die Münchner Fußballmillionäre da im Oktober durchmüssen und CSU-Männer wie Edmund Stoiber im Trachtenjanker auftreten? Das ist doch einigermaßen erwartbar. Doch das Münchner Oktoberfest offenbarte in den letzten Tagen auch die eine oder andere Überraschung. Sebastian Kurz ließ sich im Münchner Schottenhamel-Festzelt im Trachtenjanker fotografieren. Ein Ex-Politiker ohne Auftrag, der zwischen Bierbänken für Selfies posiert? Erstaunlich.


Und noch etwas fiel auf: Deutsche Politikerinnen präsentierten sich fraktions- und generationsübergreifend in Dirndln. Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) absolvierte ausgerechnet auf dem Berliner Alexanderplatz einen Bierfassanstich, die Grünen-Politikerinnen Ricarda Lang und Katharina Schulze prosteten Claudia Roth auf dem Münchner Oktoberfest im Dirndl zu.
Während Letztere schon länger als Trachtenliebhaberin bekannt ist, feierte Lang ihre Premiere. Schulze wiederum, die grüne Spitzenkandidatin im Freistaat, nutzte das Bierzelt einmal mehr, um Volksnähe zu demonstrieren.
Die Zeiten, in denen das Dirndl als verschnarchtes ÖVP- oder CSU-nahes Kleidungsstück, als Manifest überkommener Rollenbilder galt, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Fast zehn Jahre ist es her, dass eine grüne Bundestagsabgeordnete das Dirndl abkanzelte: "Die Bayern finden's passend", ätzte damals die Politikerin Sylvia Kotting-Uhl, "der Rest der Welt rückständig." Diese Diskussionen sind von gestern.
Heute pilgern selbst Influencerinnen und Influencer auf die Wiesn, sie werden von Trachtenherstellern busweise nach München eingeladen und von der Bluse bis zur Lederhose ausgestattet. Besonders tut sich hier das Unternehmen Angermaier Trachten vor.
In Wien dürfte Ähnliches zu erwarten sein. Hier wird die "Kaiser Wiesn", die zünftige Nachfolgeveranstaltung der "Wiener Wiesn", bereits mit Frauen in farbenfrohen Dirndln und Sneakern beworben.

Wetten, dass die Wiener SPÖ dort heuer in Tracht antanzt? (Anne Feldkamp, 20.9.2022)