Dass ihm die Genossen den Gürtel-Pool derart übel nehmen werden, habe er unterschätzt, sagt Gerhard Zatlokal.

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Im Geiste hat Gerhard Zatlokal bereits gepackt. "Den Kreisky nehme ich mit, das Bezirkswappen und das Amtshaus auch", sagt er und blickt auf die Gegenstände und Bilder mit besagten Motiven in seinem Noch-Büro in der Bezirksvorstehung von Rudolfsheim-Fünfhaus. So sehr der scheidende Bezirkschef an diesen drei Objekten hängt, wird es bei ihm zu Hause aber doch keines auf den Ehrenplatz schaffen. Denn dieser ist bereits reserviert: für ein Blatt Papier, das – vom Schreibtisch aus gut sichtbar – an der Tür eines Eckschranks klebt. "Der Pool ist cool", hat ein Mädchen mit Buntstiften in krakeligen Blockbuchstaben darauf geschrieben.

Knappe zwei Wochen bleiben Zatlokal noch, um seinen Arbeitsplatz zu räumen. Nach 14 Jahren und sechs Monaten wird er sein Amt am 30. September zurücklegen. Dass er nicht bis Ende der Funktionsperiode im Jahr 2025 bleibt, hatte sich bereits abgezeichnet. Der nunmehrige Rückzug kommt aber doch früher als erwartet – und ist eng verwoben mit dem Zettel auf dem Eckschrank.

Es war der 4. Juni 2020, als das aufsehenerregendste Projekt von Zatlokals Karriere publik wurde: Gemeinsam mit Markus Reiter, dem grünen Bezirkschef im benachbarten Wien-Neubau, ließ der SPÖ-Politiker mitten auf einer vielbefahrenen Kreuzung des Neubaugürtels für einige Wochen einen Pop-up-Pool aufstellen. Von Beginn an war das Projekt der Sommeraufreger – wegen befürchteter Staus und tatsächlicher Kosten von letztlich satten 195.000 Euro.

Der Sommer-Aufreger 2020: Das temporäre Schwimmbecken beim Westbahnhof.
Foto: APA / Hans Punz

Das war der Anfang von Zatlokals Ende. Und der Auftakt für ein Lehrstück über die begrenzte Macht der Wiener Bezirksvorsteherinnen und Bezirksvorsteher.

Anwalt ohne Mittel

Denn Zatlokals eigene Partei fand den Pool so gar nicht cool. Mit der SPÖ und dem bekannt vorsichtigen Bürgermeister Michael Ludwig, der vor der damaligen Wien-Wahl niemanden verschrecken wollte, hat es sich der heute 62-Jährige damit verscherzt. "Ich habe unterschätzt, dass meine Freunde im Rathaus mir das so übel nehmen", sagte Zatlokal bei seiner Abschiedspressekonferenz.

Das Missfallen bekam Zatlokal in den vergangenen zwei Jahren deutlich zu spüren: Unterstützung für seine Vorhaben – angefangen von der Verkehrsberuhigung im Ikea-Grätzel bis zur Schaffung eines Parks am Westbahnhof-Gelände – wurde ihm vonseiten der Stadt nicht mehr zuteil.

Der Gürtel-Pool ist allerdings nicht der einzige Grund dafür: Das schlechte Verhältnis zu Planungsstadträtin Ulli Sima, mit der sich Zatlokal wegen eines Streits über die Marktordnung überworfen haben soll, tat ein Übriges. Wenig zur Entspannung beitragen dürfte, dass Zatlokal in seiner Abschiedsrede ausgerechnet Simas grüne Vorgängerin Birgit Hebein lobte. Und das nicht nur einmal.

Für eine Bezirksvorsteherin oder einen Bezirksvorsteher ist eine derartige Konstellation schmerzhaft – und für den hemdsärmeligen Zatlokal wohl besonders. Deren Rolle ist als Anwältin bzw. als Anwalt der lokalen Bevölkerung angelegt. Laut Stadtverfassung gehören dem Amt zwar Mitwirkungs-, Anhörungs- und Informationsrechte gegenüber der Stadt und ein eigenes Budget. Faktisch fehlt es aber an Kompetenzen und an ausreichend Geld für große Würfe im Alleingang. Ohne Rathaus geht kaum etwas.

Zurück zu den Wurzeln

Diese Erkenntnis ist neben gesundheitlichen Problemen der Grund für Zatlokals vorgezogenen Rücktritt. Ohne die Zustimmung von Bürgermeister und Stadträtin hätte er die nächsten Monate "Kaffeetrinken und noch zwei, drei Telefonate machen können", erklärte er in seinem gewohnt plastischen Stil. "Das bringt Wehmut mit sich, aber für den Bezirk ist es besser."

Was er für diesen erreicht hat, darüber berichtete Zatlokal ausführlich: In mehr als einer Stunde spannte er den Bogen vom Verbot der Straßenprostitution in Wohngebieten ("Das war der Grundstein für den Aufschwung") über die bunte Bemalung von Straßen ("Die anderen Bezirke sind daran immer gescheitert") bis hin zur Schaffung von Bildungsgrätzeln ("Ich werde immer ein Kämpfer für die Schulen sein").

SPÖ-Mitglied wird Zatlokal trotz aller Differenzen bleiben: "Die Sozialdemokratie sind nicht Personen, sondern Grundsätze." Sein Engagement in der Partei begann bereits vor mehr als 30 Jahren: 1991 zog er ins Bezirksparlament ein. Bei seiner letzten Wahl holte er 38,5 Prozent der Stimmen – ein leichtes Minus von 0,5 Prozentpunkten.

Künftig wird den gelernten Elektroinstallateur der Politbetrieb nicht mehr tangieren. Im Jänner kehrt Zatlokal in seinen früheren Beruf zurück, er hat in der Abteilung für Wärmemessung der Wien Energie einen Posten angenommen.

Wahl des Nachfolgers im Oktober

Nach Zatlokals Abgang bleiben drei rote Bezirksvorsteher, die mindestens so lange im Amt sind wie er. Hannes Derfler in Wien-Brigittenau bringt es auf 14 Jahre, Franz Prokop in Ottakring auf 18. Das übertrifft nur der Chef des dritten Bezirks, Erich Hohenberger: Er hat rekordverdächtige 33 Jahre als Bezirksvorsteher hinter sich.

Die letzte große Wachablöse in den roten Bezirken fand rund um die Wien-Wahl 2020 statt: Im Frühling beerbte Peter Jagsch schließlich die Hernalser Langzeitvorsteherin Ilse Pfeffer. In rund der Hälfte der 17 SPÖ-regierten Bezirke sind derzeit relativ bis ziemlich neue Vorsteherinnen und Vorsteher am Werk. Wie sie sich schlagen? Relativ bis sehr unauffällig.

In diesen Kreis muss sich nun Dietmar Baurecht eingliedern. Er ist in Rudolfsheim SPÖ-Klubchef, im Laufe des Oktobers wird er zu Zatlokals Nachfolger gewählt. Zumindest bei den Grünen könnte es eine gewisse Zeit dauern, bis der Abschiedsschmerz verwunden ist. Sie schenkten Zatlokal zum Rückzug Birkenstockschlapfen. Begründung: Ein "echter Öko" brauche die eben. (Stefanie Rachbauer, 19.9.2022)