Okay, diesmal passierte es also das erste Mal schon Mitte September. Aber: Wenn das Wetter – gefühlt – innerhalb eines halben Tages von Hochsommer auf Spätherbst wechselt, schlägt sich das eben auf alle nieder.

Auch auf den herbstlich eingemümmelten Donauinsel-Spaziergänger: "Sie gehen jetzt noch ins Wasser? Das ist doch schon viel zu kalt!" – Nein, es hat immer noch 20 Grad. – "Aber es hat ja nur 15 Grad!" – Ja, draußen, das Wasser ist wärmer. – "Blödsinn! Wasser ist kälter als Luft!" – Na, wenn Sie meinen ..." – "Das ist Wahnsinn! Was, wenn S' an Krampf kriegen? Wer holt Sie dann raus? Und wenn Kinder das nachmachen ... Voll unverantwortlich!"

Foto: Tom Rottenberg

Nein, das ist nicht erfunden. Und auch wenn es okay ist zu fragen, ist es doch seltsam, jemandem, der offensichtlich weiß, was er tut, als ganz offensichtlich ahnungsloser Passant Unverantwortlichkeit und Wahnsinn zu attestieren.

Etwa wenn der "Irre" – in dem Fall ich – gerade mit Neoprenanzug und Sicherheitsboje in die Fluten der Neuen Donau steigt.

Derlei tue ich nicht nur gern, sondern halbwegs regelmäßig. So regelmäßig, dass mein Coach es mittlerweile aufgegeben hat, mir Schwimmbad-Trainingseinheiten mit den Vereinsbuddys in den Plan zu schreiben: Auch wenn das strukturierte Plantschen natürlich mehr bringt, gehe ich lieber im Freiwasser "blödmannschwimmen". Langsam, unsauber – aber glücklich. Und ungeachtet aller Spaziergänger-Mutmaßungen über Lebensgefahr qua Wassertemperatur.

Foto: Tom Rottenberg

Dass man bei "diesen Bedingungen" draußen nicht schwimmen kann, ist nämlich Vollholler. Woher der kommt, ist aber klar: Schuld ist die landläufige Verwechslung von Schwimmen mit Baden. Denn zum Suhlen, Rumdümpeln und Beckenrandsitzen ist es tatsächlich schon frisch.

Nur ist in meiner Welt Baden halt Baden – und Schwimmen Schwimmen. Dass diese Welt in diesem Land nicht groß ist, ist bekannt. Obwohl fast ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher "Schwimmen" als Lieblingssportart angibt. So steht es jedenfalls im alljährlichen Intersport-Sportreport: Radfahren führt dort mit 38 Prozent, Schwimmen folgt mit 23 – und Laufen liegt mit 19 Prozent auf Platz drei. Jedes Jahr fast gleich. Doch gerade beim Schwimmen, schmunzeln die Autorinnen und Autoren bei der Präsentation ebenso jährlich, offenbart sich die Kluft zwischen Sport und Selbstwahrnehmung: "Wer im Gänsehäufel Pommes isst, schwimmt ..."

Foto: Tom Rottenberg

Doch darum soll es heute nicht gehen. Auch nicht um das seit Jahren bekannte Klagelied, dass der Anteil der Nichtschwimmerinnen und –schwimmer gerade unter Kindern und Jugendlichen zunimmt. (Die im Bild gehören – eh klar – nicht zu dieser Gruppe.) Auch wenn das im Gegensatz zum Rückgang beim Skifahren niemanden wirklich kratzt.

Verständlich: Ein Kind, das – trotz aller Schwimmunterricht-Worthülsen im Schulunterrichtsgesetz – mit der Schwimmkompetenz einer Bleikugel im Wasser verschwindet, ist ein blöder, ein tragischer Unfall. Ein Kind, das nicht Ski fahren kann, aber ein Angriff auf die rot-weiß-rote Identität. Auch wenn die alpinen Schneefallmengen sich indirekt proportional zu den Wintersportkosten entwickeln: Was für Politik und Tourismusindustrie da Priorität hat, ist bekannt.

(Okay, jetzt ging es also doch kurz "darum" ...)

Foto: Tom Rottenberg

Welches Nischendasein Schwimmen hierzulande fristet, lässt sich auch an anderem erkennen. Etwa daran, dass sich zum "Glühwürmchenschwimmen" von Sarah Frühwirth und Philipp Kennedy vom letzten Samstag lediglich rund 130 Personen angemeldet hatten. Das ist bezeichnend. Nein, nicht für die Köpfe des Austria Swim Open: Die Bewerbe dieser Serie finden – mit Corona-Unterbrechung – seit Jahren in ganz Österreich statt, sind mit viel Herzblut und Leidenschaft organisiert und wollen dem Freiwasserschwimmen mehr Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit bringen.

Nicht nur, betonen die Macher, auf Wettkampfebene – sondern auch als fröhlicher und niederschwelliger "Jedermenschsport", bei dem Alter, Geschlecht, aber auch etwaige Behinderungen kein Ausschließungsgrund sind.

Foto: Tom Rottenberg

Oder wären: 130 Anmeldungen für einen Event, der nicht irgendwo in der schwer erreichbaren Provinz, sondern mitten in Wien – in der Alten Donau – stattfindet, sind, wie bereits gesagt, bezeichnend. Erst recht, wenn man bedenkt, dass bis einen oder zwei Tage vor dem Bewerb de facto Sommer war.

Wirklich unwirtlich wurde es erst am Ende der letzten Woche. Und das Kaiserwasser, das durch einen schmalen Kanal erreichbare Nebengewässer, in dem die etwa einen Kilometer lange Schwimmstrecke markiert war, hatte auch am Samstagabend immer noch knappe 20 Grad: Draußen war es, bei angeblich 14 Grad, eindeutig ungemütlicher – erst recht, als zum Wind Regen kam.

Foto: Austria Swim Open

Offiziell hieß der Bewerb natürlich nicht "Glühwürmchenschwimmen".

Aber von den Sternen und dem Mond war bei "Swim under the Stars" (so der offizielle Titel) halt nichts zu sehen.

Ganz abgesehen davon hätte – und hat – ohnehin niemand wirklich den Sternenhimmel betrachtet: Von den Menschen im Wasser schwamm – soweit ich es sehen konnte – mit Ausnahme eines Buben in einem der Kinderbewerbe niemand Rücken. Und für das Publikum waren die über das nachtschwarze Wasser tanzenden, von innen beleuchteten Sicherheitsbojen an den Schwimmerinnen und Schwimmern weit spannender als der Himmel.

Wobei der Blick auf die Lichter der Wiener Skyline im Hintergrund auch toll war: Dass mitten in einer Großstadt ein echter Freiwasserbewerb Platz hat, erzählt auch etwas über die Stadt – und die dort allen zugängliche Lebensqualität.

Foto: Austria Swim Open

Wobei das "allen zugänglich" just an diesem Eck der Alten Donau nicht ganz stimmt. Erstens, weil man das Kaiserwasser auch – vermeintlichen – Wien-Kenner:innen mitunter erst auf dem Stadtplan zeigen muss. Auch den schmalen Verbindungskanal zur "echten" Alten Donau kennen nicht alle. Und etliche Läuferinnen und Läufer, die hier – auf dem "Laberlweg" – laufen, sind bass erstaunt, wenn ich sie frage, wie es "Admiral Fisch" gerade geht: Das Graffiti unter der Brücke – dem "Laberlsteg" – hat viele Namen.

Die Tatsache, dass es seit Jahren weder beschmiert noch übermalt wird, beweist aber, dass hier eher wenig Publikum vorbeikommt.

Foto: Tom Rottenberg

Doch nicht nur deshalb kennt kaum jemand die Event-Location des Sternderlschwimmens: Das Unicredit Center am Kaiserwasser ist ein "Ort der Kraft und Ruhe" (Homepagetext), der neben Fußball-, Beachvolleyball-, Hotel- und Seminarinfrastruktur auch einen privaten Bade- und Bootsanlegebereich hat – und ein paar sauber abgeleinte 25-Meter-Schwimmbahnen. Ich habe hier beim Vorbeilaufen noch nie jemanden schwimmen (und auch nie baden) gesehen: Die Idee, hier Freiwasserbahnen zu schwimmen, triggert mich aber jedes Mal, wenn ich vom Laberlsteg hier hinüberschaue. Aber dafür müsste ich wohl Mitarbeiter oder Pensionist der Bank Austria sein – oder Mitglied eines der Banksportvereine.

Denn wirklich oft dürfte man "Fremde" hier nicht reinlassen. Schade.

Foto: Tom Rottenberg

Umso feiner, dass genau das für Frühwirths und Kennedys "Glühwürmchen" möglich war. Besonders angesichts des Wetters: Als das leuchtende Nachtschwimmen vor Corona das letzte Mal stattfand, war ein Partyboot an der Neuen Donau die "Homebase". Es gab also mehr Zaungäste, mehr Publikum. Der Blick über die schwimmenden Lichtpunkte reichte bis zu den im Abendrot leuchtenden Wiener Hausbergen.

Eh nett. Nur gab es keinen Bereich, um Gewand oder Taschen sicher zu verwahren. Von "trocken" oder "warm" ganz zu schweigen: Ein Herbsteinbruch wie diesen Samstag wäre damals dort ein echtes Problem gewesen. Nicht beim Schwimmen – aber davor und danach.

Foto: Tom Rottenberg

Die Veranstaltung diesen Samstag war aber stimmig – und einfach schön. Nach drei nach Alter gestaffelten Kinderbewerben (150 m, 300 m und 450 m) in der Dämmerung kam das "Nachtschwimmen". Ein oder zwei Kilometer, also eine oder zwei Runden, im Kaiserwasser. Start war – außer für die Allerjüngsten – bei "Admiral Fisch", das Ziel lag am Privatbadestrand.

Foto: Austria Swim Open

Und auch wenn es natürlich überall und in mehreren Altersklassen Siegerinnen und Sieger gab, war das – zumindest beim Zuschauen – nicht wichtig: Ist es schon bei Tageslicht schwer zu erkennen, wer im Freiwasser neben, vor oder mit wem daherkommt, ist das im Dunkeln dann praktisch unmöglich.

Umso schöner ist es, dem Ballett der Lichtpunkte im Wasser zuzusehen.

Foto: Tom Rottenberg

Lichter und Bojen sind aber mehr als nur ein ästhetisches Spiel. Auch wenn es bei Wettkämpfen und bei Tag kaum nötig ist, eine Boje hinter sich herzuziehen, ist es bei vielen Bewerben nicht mehr verpönt oder verboten, eine Restube an der Hüfte zu haben. Die Teile funktionieren wie Airbags und Schwimmwesten – im Notfall wird per Reißleine eine CO2-Patrone "gezündet": Pfffft – man ist zwar aus dem Rennen, aber in Sicherheit. Bei Nacht sind die Lichter in der bereits aufgeblasenen Restube aber die einzige Möglichkeit, Schwimmerinnen und -schwimmer zu orten. Also: Pflicht.

Foto: Austria Swim Open

Beim alltäglichen Freiwasserschwimmen – insbesondere alleine – sind mittlerweile sogenannte Safety Buoys fast Standard. Man zieht sie im Wasser hinter sich her – und ist so für Boote und Surfer gut sichtbar. Abgesehen davon haben die meisten ein kleines Trockenfach, in dem man Schlüssel und (das noch einmal wasserfest eingepackte) Handy mitnehmen kann.

Für mich ist das Teil längst so selbstverständlich wie Airbag und LVS beim Skitourengehen und der Helm auf dem Motorrad: Wirklich brauchen will man das alles ja auch lieber nie.

Foto: Tom Rottenberg

Was aber weder Restube noch Sicherheitsboje ersetzen können und wollen, ist Schwimmkompetenz: Wer ins Wasser geht, muss gut und sicher schwimmen können. Muss sehr genau wissen, wo die eigenen Grenzen sind und worauf er oder sie sich einlässt.

Nicht nur im Freiwasser, aber dort doppelt und dreifach.

Dann geht nämlich vieles. Und Schwimmen wird mehr als "nur" supergesunde Bewegung. Nämlich traumhaft schönes Verschmelzen mit der Umwelt – ein Stück Freiheit, das man für Geld nicht kaufen kann.

Und gerade das macht diese Momente so unendlich wertvoll. (Tom Rottenberg, 20.9.2022)

Nachsatz: Auch wenn herbstlich vermummte Spaziergänger an der Neuen Donau mitunter nicht verstehen, was geht und glücklich macht: Es ist gut, bei vermeintlichem Wahnsinn nicht einfach wegzuschauen.

Vergangenen November hatte ich, bei Wind und grauem Regen, deshalb plötzlich einen Polizeihubschrauber knapp über mir. Kurz nur. Der Pilot sah, verstand – und drehte ab: Irgendwer hatte den Notruf gewählt. Zuerst war ich verärgert: wie sinnlos!

Aber heute, im Nachhinein, bin ich froh darüber: Im Zweifel ist es nämlich ein Notfall. Besser einmal zu oft als einmal zu wenig.

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Foto: Austria Swim Open