Es ist genau neun Uhr und zwei Minuten Vormittag in New York, als Csaba Körösi auf dem Vorsitzendenpodium mit einem kleinen Holzhammer auf den Tisch klopft, für Ruhe sorgt. Der Ungar ist Präsident der 77. Generalversammlung der Vereinten Nationen. Neben ihm sitzt an diesem Dienstag UN-Generalsekretär António Guterres.

Das Gemurmel dutzender Staats- und Regierungschefs im Plenarsaal verstummt. Körösi mahnt, dass alle Teilnehmer wegen der Corona-Lage Schutzmasken tragen sollten, außer wenn sie ans Rednerpult treten. Die wenigsten halten sich daran.

Dann geht es los mit der größten diplomatischen Debatte der Welt, die jährlich am UN-Hauptsitz stattfindet. Wegen der Pandemie hatte man sich zuletzt vor drei Jahren physisch vollversammelt. 2022 wurde nur eine Ausnahme genehmigt: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird seine UN-Rede von Kiew aus per Video halten.

Zu spät dran

Guterres eröffnet den Redereigen, öffnet den Blick auf die großen Problemfelder der Welt. Das kleine Vorspiel beim Start steht symbolisch fast perfekt für die globalen Zustände: Die Staatengemeinschaft ist nicht pünktlich, sie ist zu spät dran bei zentralen Bedrohungen, zu langsam, um ihre gewaltigen Probleme zu lösen. Und viele Regierungen in den 193 Mitgliedsländern, allen voran Russland, scheren sich wenig darum, was ihre multinationalen Organisationen empfehlen – ob es um Konflikte und Kriege geht wie in der Ukraine, um Wirtschaftskrise und Inflation oder um die Ernährungskrise durch den russischen Angriffskrieg.

Der Generalsekretär redet nicht lange herum: "Unsere Welt ist in großen Schwierigkeiten, die Spaltungen werden tiefer, und die Herausforderungen breiten sich immer weiter aus." Er kommt zunächst in eher allgemeinen Worten auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen. Russland und die Ukraine sollten trotz der sehr komplexen Situation zum Dialog "zusammenkommen".

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Spart nicht mit deutlichen Worten: Uno-Generalsekretär Guterres.
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Aber es ist nicht der Krieg, den er dann rasch als das zentrale Problem "für alle in der Welt" ins Zentrum rückt, sondern die Ernährungskrise, die der Krieg ausgelöst hat, und drohende Hungersnöte, wenn es nicht gelinge, die aus den Fugen geratene Versorgung der Welt mit Düngemitteln in den Griff zu bekommen. Beides hängt mit der Ukraine zusammen, wenngleich es "Hoffnung und Licht" gebe mit Schiffslieferungen. "Unsere Welt ist in Gefahr, und sie ist gelähmt", beklagt Guterres den Unwillen der Staaten: "Es gibt keinen Dialog, keine kollektiven Lösungen."

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Maskenpflicht bei der 77. UN-Generalversammlung, aber nur wenige Regierungschefs folgen den Empfehlungen der Weltorganisation. Generalsekretär Guterres warnt vor einer Klimakatastrophe.
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Die internationalen Beziehungen drifteten immer mehr in Polarisierung ab, die Spannungen zwischen Westen und Süden nähmen zu. Über all dem lägen die Bedrohungen der Klimakrise: "Die Welt ist nicht bereit, diese dramatischen Herausforderungen anzugehen", erklärt er. Es müsse aber allen Staaten klar sein, dass sie allein nichts bewirken könnten: "Wir stehen vor einem Rendezvous mit dem Klimadesaster." Aber "Fortschritte sind in Geiselhaft von geopolitischen Spannungen". Dürre und Hungersnöte drohten in Mali, am Horn von Afrika, in Syrien und Libyen.

Die Auftaktrede setzte die Agenda, die die zahllosen Reden und Treffen diese Woche in New York bestimmen werden. Österreich ist mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg stark vertreten.

Van der Bellen und Erdoğan

Der Präsident trifft am Mittwoch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammen. Nehammer trifft seine Amtskollegen aus Serbien, Norwegen, Irak und Pakistan. Schallenberg absolviert in Abstimmung mit acht anderen EU-Außenministern einen wahren Marathon an bilateralen Gesprächen mit Ministern aus aller Welt. Das Ziel sei, die einheitliche Position der EU in Sachen Ukraine-Krieg und Sanktionen gegen Russland zu kommunizieren, die falschen Narrative zu korrigieren, als seien die Europäer an den mangelnden Getreidelieferungen und an der Krise schuld und nicht Russland, das mit dem Angriffskrieg auf das Recht des Stärkeren statt auf rechtsstaatliche Ordnung gesetzt habe. Vor allem mit afrikanischen Ländern, auch mit Indien müssten die EU-Staaten in einen besseren Dialog kommen, erklärte der Außenminister dem STANDARD. (Thomas Mayer aus New York, 20.9.2022)