New York / Moskau – In einem Interview im US-amerikanischen Sender PBS hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt, dass Russland im Zuge von Friedensverhandlungen natürlich die besetzten Gebiete in der Ukraine zurückgeben muss. "Das wird erwartet", sagte Erdoğan dem Sender. Außerdem müsse Russland auch die seit 2014 besetzte Krim zurückgeben.

Erdoğan vor türkischen Auswanderern in New York.
Foto: IMAGO/Turkish presidency \ apaimages

Erdoğan hält sich zurzeit in den USA auf, um vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York zu sprechen. Er wirbt seit Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine dafür, den Konflikt durch Verhandlungen zu lösen. Um als Vermittler anerkannt zu werden, bemüht sich Erdoğan um eine gewisse Neutralität und ein gutes Verhältnis zu beiden Seiten. So hatte er die Kritik des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Westen unterstützt, als dieser behauptete, die EU würde den Teil des von der Türkei und den Vereinten Nationen ausgehandelten Getreideabkommens boykottieren, der es auch Russland ermöglichen soll, wieder Getreide und Düngemittel auf dem Weltmarkt zu verkaufen.

Für Verwunderung sorgte am Wochenende auch, dass Erdoğan angekündigt hatte, die Türkei würde sich langfristig um eine Mitgliedschaft in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) bemühen. In der SCO sind China und Russland die dominanten Mächte, und viele Politiker im Westen glauben, dass die SCO zu einer Militärorganisation gegen die Nato ausgebaut werden soll.

Irritation auf beiden Seiten

Die Türkei wäre dann das einzige Land in beiden Organisationen. Für Erdoğan ist das im Moment noch kein Widerspruch. Er hatte auch bei dem Treffen der SCO-Länder letzte Woche im usbekischen Samarkand betont, dass die Türkei als geografische Brücke zwischen Europa und Asien auch politisch eine entsprechende Vermittlerposition einnehmen will.

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine sieht Erdoğan jetzt schon die Türkei in der zentralen Vermittlerrolle. Das Ende Juli gemeinsam mit den UN ausgehandelte Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland sieht Erdoğan als Bestätigung, dass diplomatische Erfolge möglich sind. Es ist das erste Abkommen zwischen der Ukraine und Russland seit dem Überfall am 24. Februar und hat den Transport von Getreide aus ukrainischen Häfen fast wieder auf das Niveau von vor dem Krieg ermöglicht. (Jürgen Gottschlich, 20.9.2022)