
"Nur wir hier in Österreich und in Wien machen diese Situation zu einem Politikum", sagte Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) über die Energiemärkte.
Wenn fast die gesamte rote Stadtregierungsriege im Gemeinderatssaal des Wiener Rathauses Platz nimmt, dann steht etwas Wichtiges an. Am Mittwoch war dies der versuchte Befreiungsschlag von Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) in der Causa Wien Energie. Er hatte die erste Sitzung nach der Sommerpause – und nach Bekanntwerden der Turbulenzen bei dem städtischen Versorger – für eine sogenannte Mitteilung an das Stadtparlament genutzt. Vom Bürgermeister abwärts stärkten ihm seine Parteifreunde dabei mit Präsenz den Rücken. Die Botschaft: Wir halten zusammen.
"Ich habe das Gefühl, dass wir eine europaweite Krise haben, und keiner schaut hin", begann Hanke. Kritik an diesem Schwenk auf die Meta-Ebene erstickte er vorweg im Keim: "Ich weiß schon, dass ich keine Themenverfehlung machen darf, indem ich nicht auf die Wien Energie eingehe." In diesem Eingehen folgte dann viel bereits Gesagtes: Hanke sprach von nie "dagewesenen Verwerfungen auf den Energiemärkten", einer "dramatischen Lage", einem "Meteoriteneinschlag" – und der daraus resultierenden Notwenigkeit, einen "Schutzschirm" für alle Energieversorger Österreichs aufzuspannen.
In anderen Ländern hätten für Energieversorger aufgrund der Verwerfungen auf den Energiemärkten "natürlich" Sicherheitsmaßnahmen stattgefunden, betonte der Stadtrat einmal mehr. Hierzulande sei das anders: "Nur wir hier in Österreich und in Wien machen diese Situation zu einem Politikum und schreien", monierte er. "Ich verstehe diese Welt und ich verstehe unsere Situation wirklich nicht. Ich halte die Diskussion für verfehlt." Das führte zu lautstarken Unmutsbekundungen in den Reihen der Opposition.
Hanke verteidigte Ludwig
Ein kleines Zugeständnis machte Hanke dann doch: Ja, es sei infolge des Ukraine-Kriegs und der Sperre der Nord-Stream-1-Pipeline im Sommer absehbar gewesen, dass es zu Preissteigerungen komme. Ein "solcher Sprung" wie Ende August, der sei aber nicht ersichtlich gewesen.
Michael Ludwigs Vergabe von Darlehen im Umfang von 1,4 Milliarden Euro per Notkompetenz verteidigte der Stadtrat. Der Bürgermeister habe Verantwortung übernommen und die Wien Energie mit Liquidität ausgestattet, um auf diese "einmalige außergewöhnliche Situation" zu antworten.
Zum Schluss warb Hanke für einen Acht-Punkte-Maßnahmenplan, um Derartiges künftig zu vermeiden. Darunter: Entkopplung der Strom- und Gaspreise, ein gebündelter Einkauf von Gas auf europäischer Ebene, Allianzen mit alternativen Energielieferanten und kurzfristige Unterstützung für betroffene Unternehmen.
Häme für Vizebürgermeister Wiederkehr
Die angestauten Emotionen rund um die Causa waren bereits zu Beginn der Sitzung durchgekommen. Als Ersten traf es den pinken Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr: Dieser war der erste Vertreter der Stadtregierung, der Rede und Antwort stehen musste.
Dabei erntete der Neos-Chef gehörig Häme. Der Grund: Wiederkehr verteidigte den roten Gemeinderatsvorsitzenden Thomas Reindl, mit dem die Opposition seit Tagen darum ringt, inwieweit die Wien Energie als ausgelagertes Unternehmen im Plenum überhaupt Thema sein darf. Dass ausgerechnet Wiederkehr, seines Zeichens für Transparenz zuständig, den von Grün, Türkis und Blau als restriktiv kritisierten Reindl in Schutz nahm, ließ im Saal ein sarkastisches "Oooh" erklingen. Wiederkehr kündigte jedenfalls "intensive Verhandlungen auf Klubebene" über eine Verbesserung des Interpellationsrechts an, um dieses Problem zu lösen.
Ludwig will am 15. Juli verständigt worden sein
Bürgermeister Ludwig ging gleich darauf auf die Wurzel dieser Debatte ein: die Entwicklungen im Sommer, die Milliardenhilfen der Stadt und des Bundes für den städtischen Versorger nötig machten. Über "Höhe, Notwendigkeit und Dringlichkeit" sei er am 15. Juli informiert worden, beteuerte der Stadtchef nach einer entsprechenden Frage von ÖVP-Klubchef Markus Wölbitsch. Wichtig ist dieser Aspekt deshalb, weil die Chronologie ausschlaggebend dafür ist, ob Ludwig zu Recht in Eigenregie Nothilfen vergab. Deren nachträgliche Genehmigung durch den Gemeinderat steht am Mittwoch übrigens auf der Tagesordnung – ebenso wie das Darlehen vom Bund.
Der Bürgermeister betonte, dass die Sperre der Pipeline Nord Stream 1 zu der angespannten Situation bei dem städtischen Energieversorger geführt habe. Deshalb und aufgrund der "internationalen Situation" sei die Lage bei der Wien Energie eine "dringende" geworden und die Versorgungssicherheit in Gefahr gewesen. Darlehen zur Verfügung zu stellen sei alternativlos und die Nutzung der Notkompetenz korrekt gewesen.
Bei dieser Gelegenheit übte Ludwig erneut Kritik an der türkis-grünen Bundesregierung – die aus Sicht der Stadt nach dem Vorbild von Deutschland einen Schutzschirm für Energieversorger schnüren bzw. dies längst getan haben sollte. "Während wir hier diskutieren, gibt der deutsche Wirtschaftsminister die Verstaatlichung des größten Gasimporteurs bekannt", merkte er an.
Blauer Aktionismus und Schreiduelle
Gar aktionistisch ging es in der Aktuellen Stunde zu. Nach einem Schreiduell mit SPÖ-Mandatar Kurt Stürzenbecher zur Notkompetenz überreichte FPÖ-Klubchef Maximilian Krauss den Neos eine rote Tafel mit der Aufschrift "SPÖ-Sektion N, vormals Neos Wien". Das sei ein neues Türschild, erklärte Krauss und kritisierte die Pinken als Anhängsel der SPÖ.
Die Rathauswache hatte offenbar Angst vor ähnlichen Aktionen von der Besuchertribüne: Mitgebrachte Taschen wurden auf Flugblätter durchgecheckt. (Stefanie Rachbauer, 21.9.2022)