Foto: AFP/EMMANUEL DUNAND

Frankreich hat bisher Waffen für 230 Millionen Euro an die ukrainischen Truppen geliefert. Nicht eben viel, verglichen mit den 25 Milliarden Euro der USA, den vier Milliarden Großbritanniens oder den 1,8 Milliarden Polens. Auch Deutschland liegt mit 1,2 Milliarden Euro deutlich höher als Frankreich, obwohl Berlin aus historischen und anderen Gründen nicht allzu weit geht. Kampfpanzer kämen für den deutschen Kanzler Olaf Scholz nur indirekt infrage, nämlich dann, wenn das EU-Mitglied Griechenland sowjetische Panzer an Kiew abgeben würde und dafür deutsche Leopards erhielte.

Jetzt bringt der Militärexperte Pierre Haroche die bisher nur in Armeekreisen diskutierte Panzerfrage aufs öffentliche Tapet. In der Zeitung Le Monde erklärt er in einem längeren Beitrag rundheraus: "50 Leclerc-Panzer zu liefern wäre für Frankreich eine starke Geste."

Leclerc ist in Frankreich ein emblematischer Name: So hieß im Zweiten Weltkrieg der französische "Rückeroberer" von Paris. Der gleichnamige Panzer steht für die Kampfkraft der stärksten kontinentaleuropäischen Armee. Und Haroche, Strategieforscher an der Londoner Queen-Mary-Universität, sagt im Gespräch, die Ukraine wäre das geeignete Terrain für das Leclerc-Ungetüm.

Vielseitige Waffen

Frankreich hat bisher immerhin 18 Caesar-Kanonen – montiert auf Lastwagen – an Kiew geliefert. Das sei eine vielseitige Waffe, die Frankreich auch schon in Mali oder im Irak eingesetzt habe, sagt Haroche zum STANDARD. "An der ukrainischen Front sind aber vor allem Panzer wie der Leclerc nützlich."

Sein Einsatz wäre auch ein politisches Signal, das den Weg für die Lieferung deutscher Leopard-Panzer ebnen könnte, schätzt der Strategieexperte. Schließlich begründe die Regierung in Berlin ihr eigenes Zögern damit, dass Deutschland nicht im Alleingang Panzer an Kiew abgeben wolle. An Präsident Emmanuel Macron gerichtet, widerspricht Haroche dem oft gehörten Argument, einmal gelieferte Panzer könnten im Ernstfall in Frankreich fehlen: "Je früher die russische Bedrohung – gegen die der Leclerc-Panzer ursprünglich konzipiert worden ist – in Osteuropa abgefangen wird, desto weniger sind sie in Frankreich oder dem übrigen Westeuropa nötig."

Der Forscher argumentiert auch mit "nationalen" Interessen: Wenn Frankreich wirklich eine europäische Sicherheit aufbauen wolle, dann dürfe es die Unterstützung der ukrainischen Armee nicht den Briten – die 10.000 ukrainische Soldaten ausbilden – und den US-Amerikanern überlassen. Gerade die Osteuropäer ließen sich für Macrons europäisches Verteidigungskonzept nur gewinnen, wenn Frankreich selber Hand anlege, glaubt Haroche. Ihm zufolge wäre die Lieferung von Leclerc-Panzern auch die "beste Werbung" für die französische Rüstungsindustrie.

Widerstand von vielen Seiten

Haroches Stimme zählt in Verteidigungskreisen. Politisch stößt er auf Widerstand von bisher russlandfreundlichen Parteien. Marine Le Pen zur Rechten und Jean-Luc Mélenchon zur Linken – beides Sieger der letzten Parlamentswahl in Frankreich – sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Macron weiß zudem, dass er seine Telefonate mit Wladimir Putin vergessen kann, wenn er einen Güterzug voller Leclercs nach Kiew liefern würde.

Der gut informierte Pariser Blog "lignes de défense" glaubt deshalb nicht, dass Frankreich kurzfristig zur Lieferung von Leclerc-Panzern bereit wäre. Vorgesehen seien, wie es mit Bezug auf Armeekreise heißt, "neue Dinge". Dazu gehörten Raketen und Kanonen, P4-Fahrzeuge und gepanzerte Aufklärungsvehikel des Typs AMX-10. Der Name Leclerc bleibt vorerst nur auf der Wunschliste des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. (Stefan Brändle aus Paris, 21.9.2022)