Devrim Lingnau als Sisi und Philip Froissant als ihr Franzl in der "Sisi" auf Netflix, abrufbar ab 29. September.

Foto: Netflix

Wien – Eine junge Frau, die der gesellschaftlichen Enge entkommen will: Es ist eine altbekannte Geschichte, die in der neuen, sechsteiligen Netflix-Serie "Die Kaiserin" (ab 29.9.) erzählt wird – und das gleich in doppelter Weise. Denn das Schicksal von Kaiserin Elisabeth von Österreich wird keineswegs zum ersten Mal adaptiert. Mit "Sissi"-Kitsch hat das Format von Showrunnerin Katharina Eyssen aber wenig zu tun. Vielmehr gelingt eine Frischzellenkur für ein neues Publikum.

Hat man Elisabeth im österreichischen Oscar-Kandidaten "Corsage" von Marie Kreutzer kürzlich als alternde Monarchin auf der Kinoleinwand erlebt, setzt "Die Kaiserin" wieder deutlich früher an: Elisabeth (Devrim Lingnau), die ihren Kosenamen Sisi so gar nicht leiden kann, wächst äußerst ländlich geprägt in Bayern auf. Während ihre Schwester Helene (Elisa Schlott) ganz den familiären Erwartungen entspricht, ist Elisabeth ein Wildfang, aufmüpfig und eher der Natur denn dem Nachmittagstee verbunden. Dass sich der österreichische Kaiser Franz Joseph I. (Philip Froissant) genau in sie verschaut, verblüfft dann nicht nur sie – und hat klarerweise weitreichende Folgen.

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Strenges Rigiment am Hof

Denn am Hof in Wien herrscht ein strenges Regiment, für das nicht nur Elisabeths neue Schwiegermutter, Erzherzogin Sophie (Melika Foroutan), mit vielen Spitzen und teils frostigen Blicken verantwortlich zeichnet. Die junge Frau muss sich erst an die neue Umgebung gewöhnen, in der ganz andere Regeln herrschen. Was allerdings keineswegs bedeutet, dass sich die junge Herrscherin die Schneid abkaufen lässt – ganz im Gegenteil. Aber der mit viel Charme ausgestattete Kaiserbruder Maximilian (Johannes Nussbaum herrlich überzogen) ist nicht der Einzige, der Elisabeths Wertvorstellungen ins Wanken bringt, schließlich mehrt sich im Volk der Widerstand gegen die Herrscher und sieht der Alltag abseits der Schlossmauern doch deutlich unromantischer und härter aus.

Lange Korridore, verschlungene Gänge

So konventionell und auserzählt all diese Elemente erscheinen, so umwerfend sind sie in Szene gesetzt: Das Regieduo Florian Cossen und Katrin Gebbe kann angesichts der vielen historischen Schlösser aus dem Vollen schöpfen, was die Dimensionen und den Detailreichtum betrifft. Wer historische Akkuratesse erwartet, wird zwar enttäuscht, befinden sich doch sämtliche Drehorte in Deutschland. Aber das tut dem gelungen Gesamteindruck letztlich keinen Abbruch, denn immerhin wurden die langen Korridore und verschlungenen Gänge, reicht dekorierten Zimmer und prächtigen Eingangshallen für viele tolle Einstellungen genutzt. Und Kostümdesignerin Gabriela Reumer durfte sich ohnedies austoben, dass es eine Freude ist.

Ungestüm und zerrissen

Letztlich steht und fällt eine Serie wie "Die Kaiserin" aber mit ihrem Ensemble. Und hier gelingt mit Devrim Lingnau doch ein Glücksfall, weiß die deutsche Mimin doch die Zerrissenheit Elisabeths nur zu gut zu vermitteln. Ihre ungestüme Art kombiniert mit den aufkeimenden Gefühlen für Franz und den damit verbundenen Erwartungen, die an sie als junge Kaiserin gestellt werden, bergen reichlich Konfliktpotenzial. Philip Froissant ist wiederum eher der Stoiker, als solcher aber durchwegs glaubwürdig, während sein Serienbruder Johannes Nussbaum sich mit viel Verve in seine Rolle wirft, die ihm allerlei Freiheiten bietet.

Wer angesichts der royalen Festspiele dieser Tage – von den diversen Sisi-Produktionen über die Non-Stop-Berichterstattung zum Queen-Begräbnis bis hin zu Streamingdauerbrennern wie "The Crown" – eine Übersättigung verspürt, ist mit diesem Gefühl wohl keineswegs allein. Allerdings muss man dieser "Kaiserin" zugute halten, dass sie vieles richtig macht und in jedem Fall eine zeitgemäße Umsetzung bietet. Vom Anspruch her braucht sich die Serie jedenfalls nicht zu verstecken, sondern kann im internationalen Vergleich in jedem Fall bestehen. (APA, 22.9.2022)