Der Europäische Maulwurf (hier im Bild) schrumpft seinen Schädel für den Winter um rund zehn Prozent. Sein iberischer Verwandter tut das hingegen nicht.

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Die Kälte des Winters stellt nicht nur für Menschen, sondern noch sehr viel mehr für die Tiere eine Herausforderung dar. Viele flüchten deshalb in den Süden und nehmen dabei extreme Reisen auf sich: Rekordhalter sind die Pfuhlschnepfen, die dieser Tage in Alaska starten und unglaublicherweise bis zu zehn Tage lang und bis zu 13.000 Kilometer nonstop (!) über den Pazifik bis Neuseeland fliegen.

Andere Tiere, die hierbleiben müssen, begeben sich in eine Winterruhe, wissenschaftlich und Englisch "Hibernation" genannt. Das bekannteste Beispiel dafür sind die Bären, deren winterlicher Stoffwechsel die Forschung seit vielen Jahren fasziniert. Denn eigentlich müssten die Tiere aufgrund der angefressenen Fettreserven und des winterlichen Bewegungsmangels samt und sonders Diabetiker werden. Eine neue Studie im Fachblatt "iScience" kam der Lösung des Rätsels wieder einen kleinen Schritt näher, wie die Bären Diabetes vermeiden und ihren winterlichen Insulinhaushalt regulieren.

Von August Dehnel 1949 entdeckt

Es gibt aber noch eine andere Strategie, um ganz ohne Heizung durch den kalten Winter zu kommen – nämlich mittels Hirnschrumpfung, die wissenschaftlich auch als Dehnel-Phänomen bezeichnet wird. Benannt ist dieses Phänomen nach ihrem Entdecker, dem polnischen Zoologen August Dehnel, der es erstmals 1949 an den Schädeln von Rotzahnspitzmäusen beschrieben hat, deren Kopfvolumina im Winter kleiner und im Sommer größer waren.

Im Jahr 2018 lieferten deutsche Fachleute um Dina Dechmann (Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell) dann den Beweis dafür, dass diese ungewöhnlichen Veränderungen im Schädel bei allem Spitzmausindividuen auftreten. Seitdem hat die Biologin mit ihrem Team zudem noch gezeigt, dass das Dehnel-Phänomen auch bei Hermelinen und Wieseln auftritt.

Was diese Säugetiere gemeinsam haben, ist eine Lebensweise, die sie energetisch auf Messers Schneide stellt, wie Dechmann erklärt: "Sie haben einen extrem hohen Stoffwechsel und sind das ganze Jahr über in kalten Klimazonen aktiv. Ihre winzigen Körper sind wie turbogeladene Porsche-Motoren, die ihre Energiespeicher in wenigen Stunden aufbrauchen."

Was ist der Auslöser?

Den Forschenden war klar, dass die Tiere durch das Schrumpfen von energieaufwendigem Gewebe wie dem Gehirn ihren Energiebedarf senken können, was ihnen hilft, in schwierigen Zeiten zu überleben, sagt Dechmann: "Aber wir verstanden immer noch nicht die genauen Umweltauslöser, die diesen Prozess antreiben."

Jetzt hat das Team diese Frage im Fachblatt "Royal Society Open Science" beantwortet, indem es ein weiteres Säugetier mit extremem Stoffwechsel untersucht hat, nämlich den Maulwurf. Durch das Vermessen von Schädeln in Museumssammlungen dokumentierten die Forschenden, ob und wie sich zwei Maulwurfsarten – der Europäische Maulwurf und der Iberische Maulwurf – im Lauf der Jahreszeiten veränderten.

Sie fanden heraus, dass die Schädel des Europäischen Maulwurfs im November um elf Prozent schrumpften und im Frühjahr wieder um vier Prozent wuchsen, während sich die Schädel des Iberischen Maulwurfs im Jahresverlauf nicht veränderten.

Schädelgrößen(nicht)veränderungen beim Europäischen Maulwurf (oben) und beim Iberischen Maulwurf (unten) im Laufe der ersten Lebensjahre. So groß wie vor dem ersten Winter wird das Hirn des Europäischen Maulwurfs allem Anschein nach nicht mehr.
Grafik: Dechmann et al., Royal Society Open Science 2022

Kälte und nicht der Hunger

Da die beiden Arten in sehr unterschiedlichen Klimazonen leben, war für Dechmann und ihr Team klar, dass auch das Wetter und nicht nur die Verfügbarkeit von Nahrung für die Veränderung des Gehirns verantwortlich ist. "Wenn es nur eine Frage der Nahrung wäre, dann müsste der Europäische Maulwurf im Winter schrumpfen, wenn die Nahrung knapp ist, und der Iberische Maulwurf im Sommer, wenn die große Hitze und Trockenheit die Nahrung knapp machen", sagt Dechmann.

Die Bedeutung der Studie geht aber über die Beantwortung von Evolutionsfragen hinaus und bietet Forschungsansatzpunkte dafür, wie sich unser Körper nach schweren Schäden regenerieren könnte. "Dass drei Taxa von Säugetieren – Spitzmäuse, Wiesel und Maulwürfe – Knochen- und Hirngewebe schrumpfen und wieder wachsen lassen können, hat enormes Potenzial für die Erforschung von Krankheiten wie Alzheimer und Osteoporose", ist Dechmann überzeugt. "Je mehr Säugetiere wir mit 'Dehnels' entdecken, desto relevanter werden die biologischen Erkenntnisse für andere Säugetiere. Und vielleicht sogar für uns." (Klaus Taschwer, 23.9.2022)