Durch die Rede Wladimir Putins schien die 77. Generalversammlung mit der Sorge vor der gefährlichen Ausbreitung eines regionalen Konflikts zum Krisentreffen umzukippen.

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Ich bin schon bei vielen Generalversammlungen gewesen, aber so etwas habe ich noch nie erlebt", sagt Außenminister Alexander Schallenberg, "die Stimmung ist düster, seit der Rede noch dunkler."

Neben ihm stehen Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Karl Nehammer mit bitterernster Miene. Die drei außenpolitisch hochrangigsten Politiker Österreichs gaben in der Nacht auf Donnerstag in der ständigen UN-Vertretung Österreichs in New York eine Einschätzung der Lage. Sie wirkten ziemlich betroffen.

Denn "die Rede", auf die Schallenberg anspielte, war nicht jene von US-Präsident Joe Biden oder irgendeine andere im UN-Hauptquartier. Er meinte die Erklärung der Teilmobilmachung in Russland durch Präsident Wladimir Putin wenige Stunden zuvor in Moskau. Mit einem Schlag schien die 77. Generalversammlung mit der Sorge vor der gefährlichen Ausbreitung eines regionalen Konflikts zum Krisentreffen umzukippen.

Putins Drohung mit Nuklearwaffen sei ein "wirklich ernster Eskalationsschritt, ein Ende des Krieges in weiter Ferne", sagt Van der Bellen. Nehammer nimmt das Wort vom drohenden "Weltkrieg" in den Mund, mahnt, "nicht Putins Kriegslogik zu folgen", fordert eine "besonnene Haltung", will "alles unternehmen, um Gesprächskanäle offenzuhalten" – vor allem zu Putin. Letzteres und die Rolle Österreichs habe UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der die drei Österreicher empfangen hat, positiv erwähnt.

Waffen liefern oder nicht

Aus all dem klingen Widersprüche durch, wenn etwa Van der Bellen anmerkt, dass die Europäer nun "insbesondere humanitäre Hilfe verstärken" müssten. Zu mehr Waffenlieferungen für die Ukraine sagt er nichts. Erst auf Nachfrage geht er darauf ein: Für Österreich sei das wegen Neutralität und Kriegsmaterialiengesetz ausgeschlossen, zu Waffenlieferungen müsse man andere in Europa fragen.

Der Auftritt von Präsident, Kanzler und Außenminister ergibt ein plastisches Bild: Schallenberg ist der Realist und diplomatische Profi, der nicht müde wird, vor Illusionen zu warnen, mit einem langen Krieg rechnet und erwartet, dass man es noch lange mit der Angstpolitik Putins zu tun haben werde. "Nicht die Nerven verlieren" ist sein Credo.

Van der Bellen gibt den neutralen Traditionalisten: Putin "scharf verurteilen, helfen, aber nur ja nicht irgendwie militärisch exponieren". Bald sind Wahlen.

Nehammer könnte man als Idealisten im Trio sehen: Er will alles gut machen, einerseits im Konzert der EU-Regierungschefs europäische Solidarität zeigen, aber auch Härte mit EU-Sanktionen. Er betont andererseits deutlich, dass "Gespräche so wichtig sind wie nie zuvor", auch mit den Russen.

Insgesamt zeigt sich Ratlosigkeit. Kurz nach der Putin-Rede trafen sich übrigens die EU-Außenminister und kamen überein, dass es neue Sanktionen gegen das Putin-Regime geben soll, vor allem im Bereich Wirtschaft und Technologie. Das braucht Vorbereitung. Mitte Oktober soll darüber in Brüssel entschieden werden. Bis dahin gilt in der Weltgemeinschaft der 193 UN-Staaten weiter das Prinzip Hoffnung. (Thomas Mayer aus New York, 22.9.2022)