Wolfgang Sobotka sagt, er habe kein Interesse daran, irgendwann Bundespräsident zu werden.
Foto: Robert Newald

Die Armbanduhr von Wolfgang Sobotka geht zehn Minuten vor. Absichtlich. Der Nationalratspräsident neigt zur Unpünktlichkeit und ist sich seiner schlechten Eigenschaft bewusst. "Das mit der Uhr ist ein Spleen", sagt er. Doch der Mensch weiß sich selten selbst zu überlisten. Zum STANDARD-Interview ins Kaffeehaus kommt er exakt zehn Minuten zu spät.

STANDARD: Warum sind Sie eigentlich nicht Präsidentschaftskandidat?

Sobotka: Jobhopping war nie so meines. Der aktuelle Bundespräsident hat meine volle Unterstützung, da muss man keine anderen Personen ins Spiel bringen.

STANDARD: Aber das ist doch auch ein demokratiepolitisches Defizit, wenn die meisten Parteien nicht einmal jemanden aufstellen.

Sobotka: Es war bei vielen zweiten Amtsperioden so, dass man sich mit dem Bundespräsidenten sehr arrangiert hat. Da liegt es nahe, dass man nicht jemanden nur als Zählkandidaten ins Rennen schickt.

STANDARD: Aber 2028 kann man mit Ihrer Kandidatur rechnen?

Sobotka: Ich habe noch nie Überlegungen angestellt, dieses Amt anzustreben.

STANDARD: Das glauben wir nicht.

Sobotka: Ich bin aus einer großen Überzeugung heraus Parlamentarier. Ich halte die Gefahren, denen unsere Demokratie ausgesetzt ist, für so herausfordernd, dass ich – sollte ich bis 2028 überhaupt noch politisch aktiv sein – meine Aufgabe im Parlament sehe. Ich will also nicht Bundespräsident werden.

"Dass da das eine oder andere nicht so gelaufen ist, wie es ein normaler Prozess erwarten ließe, steht auch fest."
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STANDARD: Am Sonntag wird in Tirol gewählt, der ÖVP droht ein massiver Absturz. Auch auf Bundesebene sind die Umfragewerte miserabel. Wen machen Sie verantwortlich?

Sobotka: Auf Bundesebene sind wir schon vergangenes Jahr in den Umfragen abgestürzt. Bereits da war klar, dass wir in Umfragen die Ergebnisse von 2019 nicht halten können. Seither ist unsere Situation stabil. In Tirol findet eine Landtagswahl statt, da geht es in erster Linie um Landesthemen.

STANDARD: Aber wer ist Ihr persönlicher Sündenbock für die desolate Lage der ÖVP?

Sobotka: Dass die permanent unterstellte Korruptionsvermutung einen Generalverdacht nährt, ist nicht gerade ideal. Aber laufend werden Verfahren ergebnislos eingestellt. Wir werden sehen, was am Ende übrigbleibt. Ich bin in meinen 40 Jahren in der Politik unzählige Male angezeigt worden – und noch nie ist irgendetwas daraus geworden.

STANDARD: Es liegen schwarz auf weiß Chats vor, in denen mutmaßlich korrupte Handlungen besprochen werden. Es laufen zahlreiche Ermittlungen rund um ÖVP-Politiker sowie die Partei selbst. Man könnte doch zumindest einmal zugeben: Da ist etwas falsch gelaufen.

Sobotka: Das ist gar keine Frage. Dass die Schmid-Chats unappetitlich sind, ist klar. Dass da auch das eine oder andere nicht so gelaufen ist, wie es ein normaler Prozess erwarten ließe, steht auch fest.

STANDARD: Auch gegen Sie ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs. Andrea Jilek soll von der ÖVP als Wiener Vizelandespolizeidirektorin verhindert worden sein, weil sie als SPÖ-nahe galt. Wurden Sie schon einvernommen?

Sobotka: Nein. Mit mir hat dazu noch niemand Kontakt aufgenommen.

STANDARD: Andere Chats legen nahe, dass Sie einst als Innenminister Parteifreunden unter die Arme gegriffen haben. Darin ist auch von einer Interventionsliste die Rede. Schließen Sie aus, jemals einem Parteifreund zu einem Job verholfen zu haben, obwohl er nicht der Qualifizierteste war?

Sobotka: Das schließe ich aus. Ich habe mich als Innenminister immer an die Empfehlungen der Kommissionen gehalten. Du kannst es dir heute gar nicht erlauben, jemanden zu positionieren, der nicht die Qualifikation hat. Dass man aber jemanden, der aus deiner Gesinnungshaltung kommt, unterstützt, dass das kein Nachteil für ihn sein kann, ist auch selbstverständlich. Ich bin Politiker, es kommen laufend Bürger auf mich zu, die um Unterstützung bitten. Das war es, was auf dieser mystifizierten Interventionsliste gesammelt wurde.

STANDARD: Aber warum nennt man das Intervention?

Sobotka: Intervention heißt sich einschalten, nicht mehr.

"Ich finde es bedauerlich, dass man seinerzeit einen Kanzler aus dem Amt gemobbt hat."
Foto: Robert Newald

STANDARD: Könnte Ihrer Ansicht nach Sebastian Kurz auf die politische Bühne zurückkehren, solange noch Verfahren gegen ihn laufen?

Sobotka: Ich glaube, wir haben einen wirklich hervorragenden Bundeskanzler, der mit aller Kraft die Regierungs- und Parteigeschicke steuert. Und ich glaube auch, dass Sebastian Kurz überhaupt kein Interesse hat, noch einmal in die Politik einzusteigen.

STANDARD: Halten Sie das für bedauerlich?

Sobotka: Ich finde es bedauerlich und bedenklich, dass man seinerzeit aufgrund dieser Vorwürfe einen Kanzler aus dem Amt gemobbt hat.

STANDARD: Wer sollen diese Mobber sein? Werner Kogler? Die Grünen?

Sobotka: Ich glaube, die Situation liegt viel tiefer. Politik mit Anzeigen und Klagen zu machen halte ich für einen schlechten Weg. Wir sehen das ja nicht nur im U-Ausschuss.

STANDARD: Wie groß, meinen Sie, war Ihr Beitrag, dass die Situation im U-Ausschuss in der Vergangenheit immer mal wieder eskaliert ist?

Sobotka: Dort, wo ich einen Beitrag geleistet habe, habe ich mich entschuldigt. Da ist keiner ein Heiliger. Aber ich glaube, ich habe sehr oft dazu beigetragen, dass es deeskaliert. Nur eines geht nicht: Man kann nicht Recht beugen.

STANDARD: Wer beugt Recht?

Sobotka: Jene, die versuchen, den Vorsitzenden mit unlauteren Mitteln zu entfernen, und die die Geschäftsordnung in eine bestimmte Richtung interpretieren möchten.

STANDARD: Experten schlagen im Rahmen einer aktuellen Justizreform vor, dass ein U-Ausschuss Sachverhalte erst untersuchen darf, wenn Ermittlungen und Strafverfahren abgeschlossen sind. Wie sehen Sie das?

Sobotka: Ich bin skeptisch. U-Ausschüsse sind Teil der parlamentarischen Kontrolle. Auch laufende Strafverfahren müssen durch eine demokratisch legitimierte Volksvertretung kontrollierbar sein. Dementsprechend muss im Nationalrat auch die Möglichkeit bestehen, laufende Strafverfahren in U-Ausschüssen zu beleuchten.

STANDARD: Perlt die Kritik an Ihrer Vorsitzführung eigentlich komplett an Ihnen ab, oder denken Sie auch darüber nach, was Sie besser machen könnten?

Sobotka: Das tue ich immer. Was würden Sie mir vorschlagen?

STANDARD: Sie gelten als aufbrausend.

Sobotka: Wenn ich zu aufbrausend bin, versuche ich das zurückzunehmen. Das ist mir ein- oder zweimal passiert. Da entschuldige ich mich. Im U-Ausschuss steht aber leider oft nicht die Sache im Vordergrund, sondern der politische Kampf.

"Ich würde natürlich gerne anders beurteilt werden, denn ich bin kein Streithansl."
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STANDARD: Glaubt man dem APA-Vertrauensindex, sind Sie der unbeliebteste Nationalratspräsident aller Zeiten. Wie konnte das passieren?

Sobotka: Damit muss man leben. Wenn Sie 18 Jahre lang die rechte Hand eines Landeshauptmanns sind und danach Innenminister, wird es tendenziell schwer, einen Sympathiepreis zu gewinnen.

STANDARD: Ihnen gefällt Ihre Rolle?

Sobotka: Nein, ich würde natürlich gerne anders beurteilt werden, denn ich bin kein Streithansl. Es heißt oft, der Sobotka hat zwei Gesichter: Es gibt den eher Feineren und Sensibleren, und es gibt den etwas pointierter Formulierenden. Mittlerweile bin ich aber weniger emotional.

STANDARD: Würden Sie sich eigentlich als Klimaschützer bezeichnen?

Sobotka: Ich habe jedenfalls eine Photovoltaikanlage und eine Warmwasseraufbereitung. Und ich heize derzeit mit eigenem Holz.

STANDARD: Sollte man für Klimaschutz auf Wirtschaftswachstum verzichten?

Sobotka: Ich glaube, es darf nie ein Entweder-oder sein. Es muss ein Sowohl-als-auch sein. Klimapolitik gegen die Menschen wird nicht funktionieren, man muss sie mitnehmen. Es geht um Überzeugungsarbeit, nicht Dirigismus.

STANDARD: In Ihren 40 Jahren, die Sie bereits in der Politik tätig sind – welche war die beste Regierung?

Sobotka: Immer die aktuelle.

STANDARD: Wirklich? Die so unbeliebte aktuelle Koalition?

Sobotka: Ich finde die schwer in Ordnung. (lacht)

STANDARD: Das ist doch geflunkert.

Sobotka: Ganz und gar nicht. Das ist, wie wenn ich Sie frage: Welcher war Ihr liebster Partner? Dann werden Sie auch sagen: der aktuelle – und nicht mein Verflossener. (Katharina Mittelstaedt, Sandra Schieder, 24.9.2022)