Der Stein von Rosette wurde bei Napoleons Ägypten-Feldzug entdeckt. Er enthält Inschriften in griechischer, demotischer und ägyptischer Hieroglyphenschrift. Die Tafel steht heute im British Museum in London. Champollion besaß eines Kopie des Texts.
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Als Jean-François Champollion sechzehn Jahre alt war, hörte er in Paris eine Messe für koptische Christen. Diese kleine Konfession besaß eine eigene, kryptische Sprache, die nur für die Liturgie verwendet wurde. In der Kirche St. Roch las der Priester die Messe auf Koptisch, was Champollion über alle Maßen faszinierte. Er verkündete, diese fremde Sprache studieren zu wollen, bis er sie "wie seine Muttersprache beherrschte". Es heißt, er habe sich in ihren Wohlklang verliebt. Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum er sich in der Folge mit solchem Einsatz einer fast vergessenen Sprache widmete. Der junge Franzose verfolgte einen kühnen Plan.

Einige Jahre zuvor, im September 1799, hatte ein ungewöhnliches Druckwerk das Haus der Familie Champollion in Grenoble erreicht. Es handelte sich um eine Ausgabe des Courier de l’Égypte, einer Zeitschrift, die vom Ägyptenfeldzug eines aufstrebenden korsischstämmigen Generals namens Bonaparte erzählte, den man später vor allem unter seinem Vornamen Napoleon kennen sollte. Der Courier war die offizielle Zeitschrift dieses Feldzugs, der von einer ganzen Armada von über 160 Forschern begleitet wurde. Das Blatt berichtete vom Fund einer gravierten Steintafel beim Ausheben von Befestigungen in der Mittelmeerstadt Rosette. Die Besonderheit bei dem über eine Dreivierteltonne schweren Block aus granitähnlichem Gestein war seine fragmentarische Inschrift in drei verschiedenen Schriften – dem Griechischen ebenso wie zwei bislang unlesbaren Schriftsystemen, dem Demotischen, einer im antiken Ägypten üblichen Schreibschrift, sowie ägyptischen Hieroglyphen, die schon damals Legendenstatus hatten.

Faible für Ruinen

Es war der Beginn der Epoche der Romantik, mystische Ruinen lösten kollektive Faszination aus. In Ägypten gab es davon reichlich. Wie die Kultur des antiken Rom hatte auch das alte Ägypten eine schier unüberschaubare Menge an steinernen Bauwerken hervorgebracht, die teilweise verfallen, teilweise unter Sand bedeckt auf ihre Wiederentdeckung warteten. Doch während die Schriften anderer antiker Kulturen lesbar waren, stellten die Bilderzeichen auf den ägyptischen Monumenten ein Mysterium dar.

Dass es sich bei den überall gefundenen Bildzeichen von Schlangen, Menschen, Wasser, Augen, Schilfrohren um eine Schrift handeln könnte, war durch die Berichte des antiken Geschichtsschreibers Herodot bereits klar, leider fehlten genauere Angaben, wie sie zu lesen seien.

Einen frühen Versuch der Entzifferung unternahm der jesuitische Universalgelehrte Athanasius Kircher. Er interpretierte die Zeichen als mystisches Rätsel, das wie eine religiöse Schrift gedeutet werden musste, inklusive künstlerischen Freiraums. Zu seinen Lebzeiten galt sein Entzifferungsversuch als erfolgreich, heute ist seine Arbeit überholt. Eine seiner Behauptungen sollte sich aber in der Folge als bedeutungsvoll erweisen. Er war der festen Überzeugung, dass es sich bei der Sprache der Ägypter um nichts anderes als das Koptische handeln musste.

Champollions Leidenschaft für die koptische Sprache war also nicht ohne Hintergedanken. Er interessierte sich schon in frühester Kindheit für die Entzifferung von Schriften. Die erste Schrift, die er entschlüsselte, war allerdings eine sehr lebendige: Er brachte sich selbst mit dem Messbuch der Mutter Lesen und Schreiben bei.

Dass er also schon mit 16 Jahren über die Entzifferung der Hieroglyphen nachdachte, war für das Sprachengenie Champollion nicht abwegig. Dass es möglich wäre, ließ sich schon seit längerer Zeit vermuten. Mit dem bei Napoleons Feldzug gefundenen Stein von Rosette gab es quasi eine Übersetzungsanleitung. Schon der Courier deutete den Fund der Steintafel richtig und vermutete, der mehrsprachige Text könnte "den Schlüssel" zur Entzifferung der Hieroglyphen liefern.

Als Champollion seine Forschungen intensivierte, konnte er bereits auf einem Fundament aufbauen, das Vorgänger wie der englische Naturforscher und Abenteurer Thomas Young geschaffen hatten. Wenn Young sich nicht mit Künsten wie dem Seiltanz beschäftigte, spürte er Rätseln nach. Ihm gelang es, einzelne Zeichen von Königsnamen richtig zu entziffern.

Das Notizbuch von Champollion, in dem er seine Analysen zu den Hieroglyphen niederschrieb.
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Die Lösung schien plötzlich zum Greifen nahe. Den Durchbruch verhinderte ein Spezifikum des Hieroglyphischen, das den Zeichen Bild- und Buchstabenfunktion zugleich zugesteht.

Champollion half, dass Athanasius Kircher auf der richtigen Spur war, was das Koptische anging. Es handelt sich dabei um die letzte Vertreterin einer sonst ausgestorbenen ägyptischen Sprachenfamilie, zu der auch die Sprache der Pharaonen zählte. Koptisch überdauerte die Zeiten als Liturgiesprache – ähnlich dem Latein in der katholischen Kirche -, bis Champollion es schließlich für seine Forschungen entdeckte (siehe Wissen).

Der Durchbruch

Am 14. September 1822, im Alter von 32 Jahren, gelang ihm der Durchbruch, der, anders als bei vielen anderen Genies der Geschichte, schnell als solcher erkannt wurde.

Den Stein von Rosette sah Champollion übrigens nie mit eigenen Augen, er erhielt 1808 nur eine Kopie des Texts. Die monumentale Tafel wurde nach dem erzwungenen Rückzug Napoleons von den Engländern beschlagnahmt und landete im British Museum in London. Dort ist sie heute noch zu sehen.

Seinen Traum, Ägypten mit eigenen Augen zu sehen, konnte er sich wenige Jahre später allerdings erfüllen. Es sollte seine letzte Reise werden, danach verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, und Champollion starb im Alter von nur 42 Jahren.

Champollions Entzifferung der Hierogylphen war nur die erste einer Reihe von Arbeiten in den folgenden Jahren, die antike Schriften wieder lesbar machten. In mehreren Schritten gelang die Entzifferung der Keilschriften Mesopotamiens, deren früheste Vertreter heute als die älteste Schrift überhaupt gelten. In diesem Fall war nicht einmal die zugrundeliegende Sprache bekannt gewesen. Doch der Lohn für die Schwierigkeiten stellte sich schnell ein. Während die auf teurem Papyrus oder Stein geschriebenen Hieroglyphen hauptsächlich rituelle oder machtpolitische Bedeutung hatten, war die in weichen Ton gedrückte Keilschrift auch eine Gebrauchsschrift. Zeugnis davon geben riesige Bibliotheken, die durchaus mit der legendären Bibliothek von Alexandria zu vergleichen sind. Die Keilschrift-Bibliothek, die in Ninive gefunden wurde, ist allerdings gut erhalten.

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Erst kurz vor seinem Tod bereiste Champollion erstmals Ägypten. Den Stein von Rosette, dem er seine Entzifferung verdankte, sah er hingegen nie.
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Inzwischen sind die meisten antiken Schriften entziffert. Computermethoden und mathematische Häufigkeitsanalysen sind den intuitiven Methoden Champollions heute weit überlegen. Das junge Genie hatte keine Begabung für Mathematik, trotz seiner Freundschaft mit dem Mathematiker Jean Baptiste Fourier, der Teil von Napoleons Ägyptenfeldzug gewesen war und Champollion bei seinem Unternehmen unterstützte.

Heute ist nur noch eine Handvoll Schriften unlesbar, meist wegen eines Mangels an Textbeispielen. Über die meisten antiken Kulturen haben wir Wissen aus erster Hand – auch dank der Pionierleistung Champollions. (Reinhard Kleindl, 24.9.2022)