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Ungewissheit ist für viele Menschen allein im Job ein täglicher Begleiter.
Foto: Getty Images/Roos Koole

Für viele Menschen ist die Unsicherheit durch Inflation, Klimawandel und Krieg etwas Neues, mit dem sie zurechtkommen müssen. Nicht jeder hat gelernt, wie man mit dem Gefühl umgeht, unvorhersehbare Situationen bewältigen zu können. Vier Personen mit Jobs aus unterschiedlichen Branchen erzählen, was man von ihnen über den Umgang mit Ungewissheit lernen kann.


"Im Umgang mit Ungewissheit hilft mir vor allem Humor."
Foto: Regine Hendrich

Lisa Wessely, Suchthelferin beim Verein Dialog in Wien:

Wenn illegale Substanzen missbraucht werden, ist immer eine Gefahr dabei, also eine erhöhte Sterblichkeit. Ich helfe in der Suchtprävention Angehörigen oder Partnern dabei, den Alltag zu Hause noch normal leben zu können und nicht ständig alles dramatisch sehen zu müssen. Die Klientinnen selbst sind oft Personen, die das Gefühl haben, sie seien von außen bestimmt, und sie haben in zahlreichen Lebensbereichen Unsicherheiten. Deswegen ist generell ein wichtiger Punkt: Selbstwirksamkeit erlernen. Wenn man sich bewusst wird, dass es auch Dinge im Leben gibt, die man selbst in der Hand hat und beeinflussen kann, kann das präventiv wirken. In Gesprächen versuche ich oft zu vermitteln: Ich kann die Reaktionen anderer nicht beeinflussen, aber ich kann etwas an mir selbst ändern. Eine Ungewissheit, die ich aber in meinen zwanzig Jahren spannend finde, ist, dass ich nie weiß, wer zum Erstgespräch kommt, und mich immer neu auf die Geschichte eine Person einlasse. Es kommen obdachlose Personen oder Leute, die sehr angesehene Berufe haben.

Die meisten haben einen starken Wunsch, die Sucht in den Griff zu kriegen, aber auch eine große Angst davor. Deswegen weiß man nie, ob sie abbrechen oder nicht. Diese Ungewissheit kann belasten. Um es für mich leichter zu machen, tausche ich mich im Team aus. Mich auch immer wieder abzugrenzen ist mir wichtig, denn Suchtpatienten können oft sehr schillernd und verführerisch sein, ihre Themen können einen sehr einnehmen. Nach einem harten Tag gehe ich oft noch spazieren oder ins Kaffeehaus. Hilfreich ist auch, bewusst unvoreingenommen in Gespräche zu gehen, die Person so zu nehmen, wie sie eben ist, und trotzdem meine Ungewissheiten transparent zu machen. Ich kann nie jemandem sagen, wie es genau weitergeht, was genau passieren wird, und das gebe ich vor allem bei Angehörigen offen zu. Was mir aber hilft, gerade in diesem sozialen Bereich, ist Humor. Man muss schauen, wann er angebracht ist, aber ich habe mit vielen Klientinnen schon sehr viel gelacht, auch wenn es alles irgendwie furchtbar ist.


"Es kann ständig zum schlagartigen Einsatz kommen."
Foto: höbarth

Michael Fuchs, Oberst und Bataillonskommandant beim Bundesheer:

Als Bataillonskommandant habe ich die Verantwortung über 270 Kadersoldaten, rund 30 Rekruten und mehr als 1000 Milizsoldaten. Die Ungewissheit begleitet uns tagtäglich. Denn wir sind jene Kräfte, die alarmiert werden, wenn die anderen Einsatzkräfte nicht mehr ausreichen. Wir müssen für alles gewappnet sein. Deswegen müssen wir flexibel sein. Denn wer flexibel bleibt, kann sich Lageveränderungen schnell anpassen. Stets bereiten wir uns auf den Worst Case vor, haben ständig Einsatzvorbereitungen und Übungen, denn es könnte jederzeit schlagartig zu einem Einsatz kommen, wie zum Beispiel beim Terroranschlag in Wien, als wir mit gepanzerten Fahrzeugen Richtung Wien fahren mussten. So kann man der Ungewissheit auch ein bisschen entgegenwirken. Dann gibt es aber wieder so untrainierbare Situationen wie zum Beispiel im Kosovo, als wir mit Panzern durch einen Wochenmarkt gefahren sind. Dabei haben wir die Autotür einer Frau mitgenommen, die sie gerade öffnete. Innerhalb von Minuten waren wir von einer Menschentraube umgeben und wussten nicht, was diese machen wird. Aber ein Prinzip funktioniert immer: Ruhe bewahren, erst eine Lagefeststellung machen und wenn sich während des Prozesses etwas verändert, dann lieber wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel zum Ausgangspunkt zurückkehren und die Lage neu beurteilen. Das Muster hat man irgendwann gelernt. Wichtig ist bei Ungewissheiten meiner Ansicht nach auch, eine Situation immer von allen Seiten zu betrachten, zu schauen, was man vom Umfeld erwarten kann und was man selbst tun kann. Dieses militärische Verfahren habe ich auch ins Private mitgenommen – und bin damit immer gut gefahren. Am besten erst die Fakten sammeln, nicht aus dem Bauch heraus etwas entscheiden. Klar ist das bei uns auch mal dabei, aber ein Bauchgefühl kann keine Daten und Fakten aufheben.

"Ich sehe schlimmes, aber lasse mich davon nicht einnehmen."
Foto: privat

Leyla A.*, Content-Moderatorin für Facebook

Ich muss mir alles ansehen, was Leute auf Facebook und Instagram als anstößig melden. Wenn die Postings gegen die Richtlinien verstoßen, muss ich sie löschen. Ich sehe also laufend Gewalt, Kindesmissbrauch und Pornografie. Nach vier Jahren habe ich mich irgendwie daran gewöhnt, auch wenn das schlimm klingt. Man rechnet irgendwann schon mit furchtbaren, verstörenden Videos. Es gibt Inhalte, die mich sehr traumatisiert haben, ein Video hat mir auch Albträume bereitet. Ich möchte nicht sagen, was ich da gesehen habe. Es gibt schon sehr viele Idioten und schreckliche Menschen auf der Welt. Ich bereite mich mental vor, indem ich auf unsere interne Plattform schaue, die uns anzeigt, welche News gerade viral gehen. Wenn ich mich im Dienst überfordert fühle, nehme ich mir bewusst Pausen, gehe raus und distanziere mich somit ein Stück weit vom Geschehen. Das macht mich wieder bereit für unvorhergesehene Bilder, mit denen ich mich wieder und wieder befassen muss. Die Abgrenzung funktioniert nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Ich höre mir beruhigende Affirmationen an oder meditiere. Ich versuche auch, die positiven Seiten zu sehen, ohne unrealistisch zu werden. Anfangs habe ich in gewisser Weise die Hoffnung in die Menschheit verloren. Jetzt habe ich eine Art Schutzmechanismus entwickelt. Ich sage mir: Schlimmes kann immer auf einen zukommen, das muss man leider akzeptieren. Man sollte sich aber nicht völlig davon einnehmen lassen. Ich sehe ja viele unterschiedliche Videos, nicht immer nur extrem schlimme. Manchmal stoße ich auf lustigen Inhalt ohne Gewalt und Hass, über den ich lachen muss. Das zeigt mir, dass es bei all dem Schlimmen auf der Welt auch immer Lichtblicke gibt. Privat suche ich mir immer Aktivitäten mit Freunden, auf die ich mich freue. Die Vorfreude ist für mich wichtig, wenn ich mal wieder überfordert bin, von dem, was ich tue. Ich habe gelernt, mir selbst wichtig zu sein und mir Grenzen zu erlauben. * Name zum Schutz der Protagonistin geändert.

"Manche Risiken muss man eingehen, sonst stagniert man."
Foto: Christian Fischer

Nataša Alber, Risk-Managerin bei der Raiffeisen Bank:

Für jede Entscheidung im Kreditgeschäft braucht man das Risikomanagement. Kunden haben einen Finanzierungswunsch, kommen zur Bank, stellen einen Kreditantrag, und dann werden sie von uns begleitet. Dabei ist keiner wie der andere, nie. Die eine Kundschaft hat vielleicht eine Bäckerei, eine andere produziert etwas anderes – man muss sich in jeden neu hineinversetzen. Dabei ist egal, ob wir uns in einer Krisenzeit befinden oder in ruhigeren Zeiten: Kalkulieren muss man immer. Auch im privaten Leben rechnen Menschen ihre Reserven ein. So ist es im Risiko auch. Wir schauen Zins- und Währungsrisiken oder den Konjunkturabschwung an. Und dann muss man Risiken eingehen, sonst stagniert man und entwickelt sich nicht weiter. Wichtig ist, Entscheidungen transparent darzustellen. Wenn man es mit Unsicherheiten zu tun hat, muss man verantwortungsvoll bleiben und sollte Entscheidungen nicht zu lange hinauszögern. Sie können eben kein sicheres Kreditgeschäft haben. Das ist unabhängig davon, ob wir uns in Covid-Zeiten befinden oder die Energiepreise hoch sind und eine starke Inflation herrscht: Ich muss immer eine Einschätzung zu einer Geschäftsbeziehung haben. Das ist natürlich schwierig, denn es ist so ähnlich, als würde man in die Glaskugel sehen. Ich bin im Krieg aufgewachsen, mit all den Unsicherheiten, die dazugehören. Dann bin ich nach Österreich gekommen und habe ein ganz anderes Land kennengelernt. Das hat mir gezeigt: Es muss immer einen Plan B geben. Wir sind in gewisser Weise auch Sparringspartner unserer Kunden, denn bestimmte Themen für ihren Finanzierungsplan auszuarbeiten ist nicht leicht. Aber Wachstum entsteht nie aus der Komfortzone heraus. Man muss die Bereitschaft haben, Neues auszuprobieren – und die Learnings davon mitzunehmen. (Melanie Raidl 28.9.2022)