Israels Premierminister Jair Lapid forderte mehr Rechte für Palästinenser.


Foto: IMAGO/Pacific Press Agency/Lev Radin

Wenn ein Regierungschef vor der UN-Generalversammlung mehr Rechte für Palästinenser fordert, ist das meistens kein Israeli. Jair Lapid, Israels Premierminister, tat auf den ersten Blick genau das: Er sprach sich für eine Zwei-Staaten-Lösung aus, also für die Gründung eines Palästinenserstaates in Israels Nachbarschaft. Für manche kam das überraschend.

In Israel wird eine solche Lösung nämlich immer unpopulärer. Lapid, der Chef der zweitgrößten Partei im israelischen Parlament und deren Spitzenkandidat bei der Wahl am 1. November, wollte mit seiner Rede also eher nicht die israelische Mehrheit beeindrucken. Darin hebt sich der 58-Jährige schon einmal gründlich von seinem Widersacher ab, dem Rechtspopulisten Benjamin Netanjahu.

Der nutzt Außenpolitik vor allem für die eigene Imagepflege. Lapid hingegen, der erst vor zehn Jahren von seiner Karriere als TV-Moderator in die Politik gewechselt war, geht es um seine Vision für einen jüdischen Staat. Ein solcher solle Israel bleiben, davon ist Lapid überzeugt.

Israel braucht klare Grenzen

Der Sohn eines Holocaustüberlebenden und Enkel eines im Konzentrationslager Mauthausen ermordeten ungarischen Juden weiß, dass es in Zeiten eines weltweit ansteigenden Antisemitismus wichtiger denn je ist, dass Israel ein sicherer Zufluchtsort bleibt. Möglich ist das nur, wenn Israel klare Grenzen erhält, die auch von den Nachbarn respektiert werden. Derzeit ist das nicht der Fall.

Der dreifache Vater Lapid hat immer wieder betont, dass er einen Palästinenserstaat vor allem deshalb begrüßt, "weil es das Beste für die Israelis ist". Dass er eigene Vorteile höheren Zielen unterzuordnen vermag, hat Lapid schon im Juni 2021 bewiesen, als er dem rechten Kleinparteichef Naftali Bennett den Vortritt als Premierminister ließ, um das Land aus der Demokratiekrise zu befreien.

Ein solcher Schritt verlangt Kreativität, und die besitzt der langjährige Schriftsteller und Schauspieler allemal. Als Amateurboxer ist ihm auch Standvermögen nicht fremd. Die Kritik, die dem in zweiter Ehe Verheirateten nun aus rechten Kreisen wegen seiner UN-Rede entgegenschlägt, wird er aussitzen. Punkten will er ohnehin bei einer anderen Wählergruppe: den israelischen Arabern. Viele von ihnen wollen nicht wählen. Wenn Lapids Aussagen sie an die Urnen lockt, dann nützt das vor allem seinem eigenen Lager. Und während sich Netanjahu schon siegessicher gibt, könnte Lapid im Winter für Überraschungen sorgen. Es wäre nicht das erste Mal. (Maria Sterkl, 25.9.2022)

Bloomberg Markets and Finance