Immerhin Gareth Southgate glaubt, dass er der ideale Teamchef für England ist. Fans und Medien sind anderer Meinung.

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Hansi Flick schaut sorgenvoll drein, Deutschland hatscht.

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England gegen Deutschland ist prinzipiell ein Hit, mehr hat der Fußball kaum zu bieten. Das Wembley ist am Montag natürlich ausverkauft. Aber die Vorzeichen sind diesmal speziell. Die Gastgeber halten nach fünf Runden der Nations League bei zwei Zählern, sind fix abgestiegen. Der Gast hat ein 0:1 gegen Ungarn zu verdauen.

Ausgepfiffen von den Fans, zerrissen in den heimischen Medien – doch Gareth Southgate strotzt weiter vor Selbstsicherheit: "Ich denke, ich bin die richtige Person, um die Mannschaft ins Turnier zu führen", betonte der englische Nationaltrainer, "ohne Zweifel." Doch die Skepsis ist enorm, das Mutterland des Fußballs befindet sich knapp acht Wochen vor WM-Start im Panikmodus.

Das rein sportlich eigentlich bedeutungslose Heimspiel gegen Deutschland wird am Montag (20.45 Uhr, live RTL) zum Charaktertest. "Im Fußball gibt es manchmal diese Momente, in denen man tief in sich gehen muss, als Spieler, als Team, als Trainer, um zu sehen, wo wir uns verbessern können. Dies ist definitiv ein solcher Moment für uns", sagte Kapitän Harry Kane.

Unzufriedenheit mit Southgate

Mit dem 0:1 in Italien war der Abstieg aus der ersten Liga der Nations League am Freitag besiegelt, nur zwei Punkte aus fünf Spielen ist der schlechteste Lauf seit 30 Jahren. "Eine dunkle Phase", titelte der "Guardian", die "Sun" schrieb von einem "trostlosen Abend". In einer Umfrage des Boulevardblatts haben 83 Prozent der Fans für eine Entlassung Southgates votiert.

Die mitgereisten Anhänger hatten ihren Teamchef ausgebuht. Die Medien spekulieren bereits über Nachfolgekandidaten wie Mauricio Pochettino oder Newcastles Eddie Howe. Doch Southgate gibt sich betont gelassen, strahlt vor dem Klassiker im ausverkauften Wembley-Stadion zum Abschluss der Nations League Ruhe aus. "Es gibt viele positive Signale von uns als Mannschaft", sagte er: "Wir werden das zurechtrücken."

Keine Begründung

Auch Kane sieht in der Mannschaft anders als in der Öffentlichkeit noch "keine Panik", so der Starstürmer. "Als Gruppe wissen wir, worum es uns geht, und wir werden uns durch diese schwierige Phase kämpfen." Noch kein einziger Treffer gelang den Three Lions in der Nationenliga aus dem Spiel heraus, Kane traf im Hinspiel in Deutschland vom Punkt. "Eine exakte Begründung, warum wir nicht treffen, ist schwierig. Wir kommen in die richtigen Zonen, aber wenn wir liefern müssten, fehlt das letzte Stück Qualität", sagte Southgate.

Die Probleme der Engländer ähneln also jenen der Deutschen, die sich zuletzt ebenfalls deutlich zu harmlos zeigten, in Leipzig gegen Ungarn 0:1 verloren. Das Duell mit der DFB-Elf ist für den Vizeeuropameister die Generalprobe für das WM-Auftaktspiel gegen den Iran am 21. November. "In der Vergangenheit hatten wir eine Reihe von Freundschaftsspielen oder was auch immer, und dann sind wir in Turniere gegangen, und das war das erste Mal, dass wir auf hochklassige Gegner getroffen sind, und das hat uns ziemlich oft ins Gesicht geschlagen", sagt Southgate. Nun habe der EM-Zweite gegen einige Spitzenmannschaften gespielt und werde bei der WM "dadurch besser sein".

Bayern-Krise als Gift für die DFB-Elf

Die Deutschen sind momentan ebenfalls in erster Linie schlecht. Thomas Müller war nach dem 0:1 fassungslos. "Es wird immer dunkler, das ist gerade auch unsere Gefühlswelt", sagte er. "Ich bin bedröppelt." Joshua Kimmich, zuvor fast überhaupt nicht im Spiel, ärgerte sich "brutal". Serge Gnabry gab lieber kein Interview. Die besorgniserregende Formkrise der Bayern-Stars ist wie Gift in die Nationalmannschaft gesickert.

Müller, Kimmich, Gnabry oder Leroy Sane sollen sich mit Manuel Neuer zum Gerüst verbinden, auf das Hansi Flick seine Mannschaft stützt. Das Gerüst wackelt. Für den Bundestrainer ist das keine zwei Monate vor dem WM-Start gegen Japan am 23. November eine äußerst beunruhigende Nachricht. "Oft war die Nationalmannschaft der Ort, an dem man es in eine andere Richtung gebracht hat", sagte Flick, "das haben wir gehofft, dass wir die Vereine unterstützen können." Oder: den Verein, ohne dessen Spieler es nichts werden wird mit dem WM-Titel. Die Krise sitzt aber anscheinend so tief, dass dies nicht geht.

Hoffen auf Musiala

Flick muss sich nun sehr gut überlegen, was er tut. Die Behäbigkeit im Ungarn-Spiel schrie nach den Dribblings und der Kreativität eines Jamal Musiala. Der wird vom Coach in den Himmel gelobt, ist aber Bayern-Spieler und demnach ebenfalls von schwerer Last bedrückt. Zudem müsste Flick, wollte er Musiala von der Leine lassen, das Denkmal Müller zum Einsturz bringen.

Um die Teilnahme am Finalturnier der Nations League spielen Ungarn und Italien, beide sind in Katar nicht dabei. Den Ungarn reicht in Budapest ein Remis. (sid, red, 26.9.2022)