Anton Mattle (ÖVP) hat fast zehn Prozentpunkte verloren. Und sieht sich trotzdem als Gewinner.

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FPÖ-Chef Markus Abwerzger (rechts) freut sich über Platz zwei. Anton Mattle will als Spitzenkandidat der ÖVP nicht mit den Freiheitliche koalieren, SPÖ-Chef Georg Dornauer (links) streckt der ÖVP die Hand aus.

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Innsbruck – Das historisch schlechteste Wahlergebnis, fast ein Viertel der Stimmanteile verloren, und trotzdem fühlte sich ÖVP-Spitzenkandidat Anton Mattle am Sonntag wie der Sieger der Tiroler Landtagswahl. "Es hat geklappt, die Aufholjagd war erfolgreich", sagte Mattle angesichts des Endergebnisses, das seiner Liste 34,7 Prozent bescheinigte. 2018 hatte Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) noch 44,3 Prozent geholt.

Mattle rechnete aber anders: Immerhin sei man in manchen Umfragen bei nur 26 Prozent gelegen, insofern sei das Ergebnis als Erfolg zu werten. Für ihn selbst bedeutet dieses Abschneiden, dass er als künftiger Landeshauptmann so gut wie fix ist. Er kündigte an, beim Landesparteivorstand am Montag trotz der massiven Verluste nicht die Vertrauensfrage zu stellen. Vielmehr will er sich auf die bevorstehenden Sondierungsgespräche konzentrieren. Und die will Mattle mit allen führen – außer der FPÖ. Er bleibe bei seinem Nein zu einer Koalition mit den Freiheitlichen, mit allen anderen wolle er jedoch sondieren.

FPÖ und SPÖ Kopf an Kopf

Die wahrscheinlichste Koalitionsvariante dürfte Schwarz-Rot sein. Denn auf Platz zwei zeichnete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FPÖ und SPÖ ab. Beide Parteien legten im Vergleich zu 2018 zu, blieben aber jeweils unter den selbstgesteckten hohen Erwartungen – einem Ergebnis über 20 Prozent – zurück. Die Sozialdemokraten kamen auf 17,5 Prozent (+0,2), die Freiheitlichen auf 18,8 Prozent (+3,3).

Tirol-Korrespondent Steffen Arora analysiert die ersten Ergebnisse der Tiroler Landtagswahl.
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Den Ergebnissen entsprechend zeigten sich auch SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer und FPÖ-Frontmann Markus Abwerzger sehr zufrieden. Wenngleich Abwerzger die weiterhin ablehnende Haltung von ÖVP-Obmann Mattle mit seiner ausgestreckten Hand und anhaltender Gesprächsbereitschaft kommentierte.

SPÖ in Poleposition

SPÖ-Chef Dornauer wiederum sieht sich in der Poleposition, was eine Regierungsbeteiligung anbelangt. Mit zusammen 21 Mandaten hätten ÖVP und SPÖ eine sichere Mehrheit von drei Überhangmandaten im Landtag.

Im Vorfeld hieß es aus ÖVP-Kreisen noch, dass man nur dann für diese Variante bereit sei, wenn mehr als ein Überhangmandat gesichert sei. Noch am Wahlabend zeichnete sich ab, dass Mattle mit dem Rückhalt seiner Partei rechnen können wird. Das war davor, angesichts der desaströsen Umfragewerte, alles andere als sicher. Nachdem aber Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser und Wirtschaftsbundobmann Franz Hörl (beide ÖVP) schon am Sonntag Mattle zum "respektablen Wahlergebnis" gratulierten, dürfte er als nächster Landeshauptmann feststehen. Zugleich machten beide klar, dass sie "keine Experimente" wollen, sprich eine ÖVP-SPÖ-Koalition präferieren.

Auch Dornauer blieb angesichts des Ergebnisses bei seiner Präferenz für eine Zweierkoalition. "Man kann und darf nicht enttäuscht sein", sagte Dornauer. Erstaunliche Ergebnisse erzielte Dornauer in den Gemeinden nahe Sellrain, wo er als Bürgermeister fungiert. "Überall, wo mich die Menschen kennen, vertrauen sie mir", sagte er. Mattle wollte am Sonntag eine Dreierkoalition noch nicht ausschließen: "Ich bleibe auch dahingehend offen."

Grüne verloren

Hinter den drei größeren Parteien kam es zu gröberen Verschiebungen. So musste der bisherige Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen, Federn lassen. Mit 9,2 Prozent hatte Spitzenkandidat Gebi Mair ein Minus von 1,5 Prozentpunkten zu verdauen.

Er wirkte sichtlich enttäuscht angesichts des Verlustes, denn damit ist auch eine Neuauflage der schwarz-grünen Koalition rechnerisch unmöglich geworden. Es handle sich um eine "klare Niederlage" seiner Partei, und er sehe sich nicht als erster Ansprechpartner für eine Regierungskoalition.

Liste Fritz: Wir sind "Tagessieger"

Zum Wahlsieger des Abends wurde die Liste Fritz, die mit 9,9 Prozent laut Hochrechnung ihr bisheriges Ergebnis fast verdoppeln konnte (+4,4). Ob sich auch bei den Mandaten eine Verdoppelung ausgeht, war bis Redaktionsschluss unklar. Vorerst hielt die Liste Fritz bei drei Mandaten.

Listenzweiter Markus Sint deklarierte seine Partei als "Tagessieger". Er zeigte sich zwar für Koalitionsgespräche offen, befürchtete zugleich aber auch, dass die "ÖVP als Tagesverlierer den billigsten und einfachsten Weg gehen wird" – und meinte damit eine schwarz-rote Koalition.

Neos bleiben hinter Erwartungen

Deutlich unter den Erwartungen blieben die Tiroler Neos. Sie waren ambitioniert in den Wahlkampf gestartet, schafften bei ihrem zweiten Antreten in Tirol mit 6,3 Prozent (+1,1) aber nur die Konsolidierung. Das erhoffte dritte Mandat schien außer Reichweite, und somit wurde auch eine Beteiligung an einer etwaigen Dreierkoalition unwahrscheinlicher.

"Ich hätte mir mehr erwartet", sagte Neos-Spitzenkandidat Dominik Oberhofer. Den Pinken wurden in Umfragen bis zu zehn Prozent vorausgesagt. Das kritisierte Oberhofer: Man müsse sich überlegen, ob Parteien nicht auch politische Spiele mit Umfragen betreiben würden. Für die SPÖ sieht er keinen Regierungsauftrag und hoffte am Wahlabend noch auf Möglichkeiten einer Dreierkoalition.

Der Wahlkampf in Tirol blieb bis zuletzt spannend. Von einer "historischen Zäsur" und einer "Richtungswahl" war die Rede. Das dürfte einige Wählerinnen und Wähler mobilisiert haben. Mit 65 Prozent lag die Wahlbeteiligung deutlich über den 60 Prozent aus den Jahren 2018 und 2013. Erwartungsgemäß schafften es die drei Kleinparteien MFG, KPÖ und Mach mit laut Hochrechnungen nicht in den Landtag. (Steffen Arora, Laurin Lorenz, 25.9.2022)