Nach den ohnehin schon eindeutigen Exit Polls – die aber eben keine Auszählungsstände, sondern Umfragedaten auswerten – machten es die ersten Hochrechnungen des Staatssenders RAI kurz nach Mitternacht endgültig klar: Die postfaschistischen Fratelli d'Italia können mit rund einem Viertel aller Stimmen (25,6 Prozent) rechnen; ihre Bündnispartner – die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini und die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi – erhielten nach dieser Hochrechnung 8,6 Prozent respektive 8 Prozent.

Schon am Weg zum Wahllokal schien sich Giorgia Meloni ihres Sieges sicher zu sein.
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Insgesamt lag das rechte Wahlbündnis demnach mit insgesamt 43,3 Prozent der Stimmen in Führung. Die Zahlen waren jene für den Senat, sehr ähnlich sah die Lage aber auch im Abgeordnetenhaus ab – beide Parlamentskammern sind in Italien gleichberechtigt.

Weil ein Drittel der Parlamentssitze in beiden Fällen im Mehrheitswahlrecht vergeben wird, wird der Vorsprung des Rechtsblocks sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat für eine komfortable Mehrheit reichen. Damit wird Italien wohl zum ersten Mal eine Ministerpräsidentin erhalten: Die 45-jährige Römerin Giorgia Meloni.

Diese trat um 2.35 Uhr in der Nacht vor die Kameras und stellte dabei ihre Führungsanspruch klar. Ein Endergebnis gebe es zwar noch nicht, räumte sie ein, allerdings sei schon jetzt ein klarer Auftrag der Bürgerinnen und Bürger für die Rechtsallianz erkennbar – unter der Führung ihrer Fratelli d'Italia. Die Zeiten seien schwierig, so Meloni, ihr Ziel sei es, Italien "wieder stolz zu machen". So lautete auch der Spruch auf ihren Werbeplakaten. Zudem kündigte sie an, für alle in Italien regieren und das Land einen zu wollen. Zugleich aber sprach sie von einer "Nacht des Stolzes und des Sieges", den einige nicht mehr miterleben könnten – wen genau sie mit der Bemerkung meinte, sagte sie nicht.

Zu Wort meldeten sich gleich in der Nacht auch die Chefs des PD, Expremier Enrico Letta, und der Fünf-Sterne-Bewegung, Expremier Giuseppe Conte. Beide kündigten an, ihre Parteien angesichts des Ergebnisses in die Opposition führen zu wollen.

Chancenlose Linke

Die Mitte-links-Parteien und die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung, die sich nicht auf ein schlagkräftiges Bündnis einigen konnten, blieben chancenlos. Am besten schnitt in diesem Lager der sozialdemokratische PD mit 19,3 Prozent ab, gefolgt von den Fünf Sternen mit 16,2 Prozent und der neuen Mitte-Gruppierung Azione+IV mit 7,4 Prozent.

Trotz der statistischen Ungenauigkeiten der ersten Hochrechnungen dürfte sich angesichts des großen Vorsprungs am Endresultat – also am Sieg Melonis und der drei Rechtsparteien – nichts mehr ändern. Gewählt wurden erstmals nur noch 400 Abgeordnete und 200 Senatoren: Das sind insgesamt 345 Parlamentarier weniger als bei den letzten Wahlen im Frühjahr 2018, weil in der Zwischenzeit die Sitzzahl im Parlament um einen Drittel verkleinert wurde.

Nun wird Staatspräsident Sergio Mattarella seine üblichen Konsultationen mit den Parteiverantwortlichen durchführen. Das Staatsoberhaupt hat die alleinige Kompetenz, die Ministerriege und den Regierungschef oder – in diesem Fall zum ersten Mal – die Regierungschefin zu ernennen. Angesichts der sich abzeichnenden klaren Mehrheitsverhältnisse im Parlament und des Umstands, dass Melonis Fratelli d'Italia mehr Stimmen erzielt haben als ihre Bündnispartner zusammengenommen, bleibt Mattarella freilich kaum Spielraum: Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, wird er Meloni voraussichtlich etwa Mitte Oktober die Ernennungsurkunde überreichen und ihr den Amtseid abnehmen, nachdem sich am 13. Oktober das Parlament konstituiert hat.

Gewaltige Herausforderungen

Die wahrscheinlich erste Ministerpräsidentin Italiens steht vor gewaltigen Herausforderungen. Konsumenten- und Gewerbeverbände haben errechnet, dass jede dritte italienische Familie wegen der explodierenden Energiepreise in den verbleibenden Monaten des Jahres nicht mehr in der Lage sein wird, die Strom- und Gasrechnungen zu begleichen. Die allgemeine Teuerung, die zuletzt auf neun Prozent gestiegen ist, erodiert die Kaufkraft zusätzlich.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung des parteilosen Mario Draghi mit ihren bisherigen Hilfspaketen die Maßnahmen weitgehend ausgereizt hat, die ohne massive Neuverschuldung noch möglich waren.

Am Sonntag in seiner Gesamtheit unschlagbar: das Trio Giorgia Meloni, Silvio Berlusconi und Matteo Salvini (v. li.).
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Der Schuldenberg Italiens hat ohnehin horrende Ausmaße angenommen. Er betrug schon vor der Pandemie rund 130 Prozent der Bruttoinlandprodukts; nach sechs Corona-Hilfspaketen und einem massiven Wirtschaftseinbruch liegt er nun bei 150 Prozent – und schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik erheblich ein. Die steigenden Zinsen und die Einstellung der Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank schweben zudem wie ein gigantisches Damoklesschwert über Italien – schon ein Anstieg der Zinsen um nur ein einziges Prozent erhöht die Ausgaben Italiens für den Schuldendienst um 30 Milliarden Euro.

"Herzklopfen"

Sie bekomme "Herzklopfen", wenn sie an die Herausforderungen denke, die auf sie warten könnten, räumte Meloni im Wahlkampf unumwunden ein. Schwierig dürfte es für die neue Regierung auch werden, einen Konsens bezüglich des Ukrainekriegs zu finden. Giorgia Meloni und ihre Fratelli d'Italia stehen zwar relativ glaubwürdig zur Nato, zu den Waffenlieferungen an Kiew und zu den Sanktionen gegen Moskau. Ihre beiden Bündnispartner Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega und Silvio Berlusconi dagegen sind Putin-Verehrer und haben nie einen Hehl aus ihrer Ablehnung gegen die Waffenlieferungen und die Sanktionen gemacht.

Ein Problem jeder künftigen Regierung ist auch die Politikverdrossenheit großer Bevölkerungsteile. Beispiel: Am Sonntag hatten um 19.00 Uhr nur 51 Prozent der wahlberechtigten Italienerinnen und Italiener ihre Stimme abgegeben – deutlich weniger als bei den letzten Parlamentswahlen im Frühling 2018, als zur gleichen Zeit schon 58 Prozent zur Urne gegangen waren. Das Zwischenresultat ließ erahnen, dass die Stimmbeteiligung auf ein neues Rekordtief fallen könnte. (Dominik Straub aus Rom, 26.6.2022)