Die FTC ist für die Regulierung von Facebook und Amazon zuständig.

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Der Antritt Lina Khans als Chefin der US-amerikanischen Kartellbehörde FTC im Juni 2021 wurde von Jubelrufen progressiver Kräfte und Anfeindungen großer Tech-Konzerne begleitet. Denn laut der 33-jährigen Rechtswissenschafterin haben Amazon, Meta und Co eine überbordende Marktmacht, die dem Wettbewerb und somit den Verbraucherinnen schadet. Ein Standpunkt, den sie schon 2017 in einem wissenschaftlichen Paper namens "Amazon’s Antitrust Paradox" formulierte. Damals noch als Studentin an der University of Yale. Entsprechend groß waren die Hoffnungen, aber auch Befürchtungen, dass Khan nach ihrer Angelobung das eingerostete Kartellrecht wachrütteln und deutlich aggressiver gegen Monopolisierung vorgehen könnte.

Anvisierte Unternehmen gingen sofort in die Offensive. Meta (damals noch Facebook) und Amazon unterstellten Khan wegen ihrer frühen Publikation Befangenheit und stellten in Frage, dass Untersuchungen ihrer Geschäftspraktiken unter ihrer Führung unparteiisch seien. Ein erfolgloser Diskreditierungsversuch. Nur zwei Monate nach ihrem Antritt reichte die FTC eine nachgebesserte Klageschrift gegen Facebook ein, die als letzte Maßnahme eine Abspaltung von Whatsapp und Instagram in den Raum stellt.

Stillstand statt Revolution

Seitdem ist ein ganzes Jahr vergangen, in dem die Behörde zwar eine Reihe weiterer Untersuchungen anstieß. Von der großen Revolution, die Medien vor Khans Antritt heraufbeschworen hatten, fehlt aber jede Spur. Anlässlich der bevorstehenden Midterm-Wahlen, mit der die Machtverteilung im US-Kongress neu geordnet werden könnte, stellt sich deshalb die Frage: Was ist aus den Ambitionen der Kartellhüterin geworden – und welche Probleme kommen auf sie zu, falls die Legislative ab November unter republikanischer Mehrheit agieren sollte?

Zur Beantwortung dieser Frage muss man einen Schritt zurücktreten und einen Blick auf die Nominierung der obersten Kartellhüterin werfen. Ursprünglich wurde Präsident Joe Bidens Vorschlag, Khan zur FTC-Kommissarin zu ernennen, im Juni 2021 vom Senat mit großer Mehrheit bestätigt. Mittlerweile besteht unter US-Politikerinnen und -Politikern Konsens darüber, dass die mächtigsten Tech-Konzerne stärker in die Mangel genommen werden müssen. Ins Negative kippte die oppositionelle Unterstützung Khans erst dann, als klar wurde, dass sie die Behörde leiten soll.

Seither stemmen sich die Republikaner gegen die Vorhaben der Federal Trade Commission und kündigten an, diese genauer unter die Lupe nehmen zu wollen, falls sie im November eine Mehrheit im Kongress gewinnen sollten. Die FTC-Chefin ist verpflichtet, regelmäßig Rechenschaft vor dem Kongress abzulegen – was der führenden Partei eine Machtposition bietet, die mitunter für die Verschleppung von Prozessen missbraucht werden könnte.

Die 33-jährige Rechtswissenschafterin Lina Khan sitzt seit Juni letzten Jahres an der Spitze der FTC.
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Doch "wo hakt es eigentlich?", könnte man sich fragen. Vor allem dann, wenn man bedenkt, dass die ebenfalls demokratisch geführte Antitrust Division des US-Justizministeriums vergleichbare Kartellklagen gegen Apple vorzubereiten scheint – ohne einen ähnlichen Widerstand zu erfahren.

Parteipolitik versus Kartellrecht

Inhaltliche Meinungsverschiedenheiten dürfte es in Wirklichkeit kaum geben. Eine wichtige Rolle spielen stattdessen parteipolitische Interessen, sagt Viktoria Robertson, Leiterin der Abteilung für Kartellrecht und Digitalisierung an der Wirtschaftsuniversität Wien, dem STANDARD: "Lina Khan wird vorgeworfen, dass sie zu progressiv, zu links, teilweise sogar, dass sie marxistisch sei." Den Republikanern sei es aber insbesondere ein Dorn im Auge, dass Khan ihre Befugnisse ausgeweitet hat. Einerseits, indem sie neue, progressivere Beraterinnen und Berater anheuerte. Andererseits, indem sie die Regelsetzungsbefugnis der FTC neu ausschöpfen möchte, um das Verhalten der Online-Giganten zu lenken. Außerdem hat sie ein neues Vorgehen für die Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen eingeführt. Seither werden Fusionen nicht mehr ausdrücklich befürwortet. Stattdessen behält die FTC sich vor, einzugreifen, falls sie zu einem späteren Zeitpunkt doch noch Bedenken haben sollte.

So geschehen zum Beispiel bei der Übernahme des Hollywoodstudios MGM durch Amazon. Diese wurde zwar nicht untersagt, gleichzeitig in einem "close at risk letter" aber die Warnung ausgesprochen, dass man den Deal auch später anfechten werde, falls ein Gesetzesverstoß festgestellt wird. Auf denselben Regeln beruht auch die Klage gegen Meta, immerhin liegt der Kauf von Instagram zehn Jahre zurück.

Offener Widerstand

Kritik an dieser Neuerung drücken die die zwei republikanischen FTC-Kommissare Noah Phillips und Christine Wilson aus, indem sie konsequent gegen von Khan eingebrachte Maßnahmen stimmen. In Wirklichkeit sind ihnen derzeit aber die Hände gebunden. Die Kommission hat fünf Plätze, von denen sich drei in demokratischer Hand befinden. Da für die Einleitung eines Verfahrens eine einfache Mehrheit genügt, kann Khan diese also ohne die Zustimmung der Opposition ins Rollen bringen. Zumindest seit kurzem.

Tatsächlich besteht die aktuelle Verteilung der Kommissionssitze erst seit dem 16. Mai. Damals wurde der Anwalt Alvaro Bedoya zum Commissioner ernannt. Eigentlich hätte er den Posten schon im Oktober letzten Jahres übernehmen sollen, nachdem die Amtszeit von Rohit Chopra endete. Eine Rechnung, die ohne den Handelsausschuss des US-Senats gemacht wurde. Um eine demokratische Mehrheit an der FTC-Spitze zu verhindern, blockierte dieser die Berufung Bedoyas über mehrere Monate. Laut Robertson war diese Pattsituation mit Grund dafür, dass Khan gar nicht vorantreiben konnte, wofür sie eingesetzt wurde.

Mögliche Blockade

Interessant ist das auch deshalb, weil die eingangs beschriebene Klage gegen den Meta-Konzern von ihrem Vorgänger Joseph Simmons, den 2017 Donald Trump als Kommissar nominiert hatte, angestoßen wurde. Auch alle anderen Klagen und Untersuchungen – sei es jene zum Microsoft-Activision-Deal oder jene zur Übernahme des Pharmaunternehmens Medical One durch Amazon – weichen nicht vom kartellrechtlichen Kurs der Konservativen ab. Die Unzufriedenheit mit Khan an der Behördenspitze scheint jedoch zu überwiegen.

Mit ihrem wissenschaftlichen Paper Amazon's Antitrust Paradox sorgte Khan schon als Studentin an der University of Yale für Aufsehen.
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Laut Robertson haben die Republikaner deshalb bereits angekündigt, Untersuchungen gegen Khan einleiten zu wollen, falls die eigene Partei bei der Wahl am 8. November eine Mehrheit im Kongress erlangen sollte. Aber nicht nur das: Eine Mehrheit im Kongress biete die Möglichkeit, das Budget zu kürzen. "Das ist ein bekanntes Instrument, um Wettbewerbsbehörden zu blockieren. Wenn sie keine Mittel haben, dann können sie auch nicht entsprechend agieren", erklärt die WU-Professorin.

Keine realistischen Erwartungen

Selbst wenn dieses Szenario eintreten sollte, Khans Amtszeit endet erst am 26. September 2024. Bis dahin wird sie zwar keinen Umbruch im US-amerikanischen Kartellrecht bewirken können. Zu alt und konservativ ist dieses historisch gewachsene System. Sehr wohl ist es aber möglich, dass sie einen Grundstein für die kommenden Jahre legt.

"Sie kann die Richtung vorgeben und hat Einfluss. Aber gleichzeitig hat die FTC mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen mit einer gewissen Tradition und einer bestimmten Art, in der sie immer schon gearbeitet haben", sagt auch Robertson. Ob Lina Khan ihre restliche Amtszeit mit parteipolitischen Querelen oder kartellrechtlichen Untersuchungen verbringen wird, entscheidet sich in den kommenden Monaten. Klagen wie jene gegen den Facebook-Konzern Meta könnten jedenfalls eine Grundlage für Diskussionen mit der Opposition bieten. (Mickey Manakas, 2.10.2022)