Auch im Ausland – hier im kanadischen Ottawa – wird protestiert.

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Auch mehr als zehn Tage nach dem Tod von Mahsa Amini kommt der Iran nicht zur Ruhe. Ganz im Gegenteil: Auf den Straßen Teherans und anderer Städte im Land sammelten sich am Wochenende wieder tausende Menschen, um gegen die Diskriminierung von Frauen und mittlerweile auch gegen das Herrschaftssystem an sich zu protestieren. Beantwortet wird dies mit hartem Vorgehen der Sicherheitsorgane und mehreren Gegendemonstrationen.

Während die Polizei wieder zahlreiche Festnahmen durchführte – allein im Norden des Landes binnen zwei Tagen mehr als 1.000 –, agieren die Protestierenden nun auch schärfer und aggressiver. Parolen wie "Tod dem Diktator", "Das ist das Jahr des Blutvergießens!" oder "Lieber sterben wir, als weiterhin Erniedrigung zu ertragen!" sind immer wieder auf den Demonstrationen zu hören. Augenzeugen zufolge setzen die Teilnehmer Autos und Mülleimer in Brand, beschädigen öffentliche Gebäude und verprügeln Polizisten.

Anzahl der Toten widerspricht sich

Es sind die größten Proteste im Iran seit dem Jahr 2019. Damals entfachten erhöhte Treibstoffpreise den Zorn in der Bevölkerung. Geschätzt 1.500 Menschen kamen ums Leben, als die Behörden die Demonstrationen brutal niederschlugen. Bei den aktuellen Protesten, die am 17. September ihren Anfang nahmen, sind laut iranischem Staatsfernsehen bisher 41 Menschen gestorben.

Allerdings gibt die in Oslo ansässige NGO Iran Humans Rights (IHR) an, dass beim harten Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten mindestens 76 Menschen getötet worden. Von der Organisation erlangte Videoaufnahmen und Sterbeurkunden zufolge werde "scharfe Munition direkt auf Protestierende abgefeuert", erklärte IHR-Direktor Mahmood Amiry-Moghaddam am Montag. Trotz Hunderter Festnahmen reißen die Proteste im Iran nach dem Tod der jungen Mahsa Amini nicht ab.

Amiry-Moghaddam rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, "entschieden und vereint konkrete Schritte" gegen die "Tötung und Folter" von Demonstranten zu unternehmen. Der Organisation zufolge seien in 14 Provinzen des Landes Todesfälle gezählt worden, 25 allein in Masandaran am Kaspischen Meer. In Teheran seien drei Tote zu beklagen, hieß es.

Botschafter einbestellt

Das Regime schlägt mittlerweile international um sich und attackiert mehrere Länder für ihren Umgang mit der Protestbewegung. Bereits am Sonntag bestellte das iranische Außenministerium die Botschafter Großbritanniens und Norwegens ein. Als Grund wurden Einmischung und angeblich feindselige Berichterstattung genannt.

Einen Tag später wurden dann die USA ins Visier genommen. "Washington versucht stets, die Stabilität und Sicherheit des Landes zu schwächen, auch wenn es immer dabei scheitert", sagte Nasser Kanaani, Sprecher des iranischen Außenministeriums. Dies werde nicht unbeantwortet bleiben, kündigte er an.

Via Instagram legte er nach und warf den USA sowie einigen europäischen Ländern vor, einen tragischen Zwischenfall zu missbrauchen und Randalierer zu unterstützen, während man die "Millionen Menschen auf den Straßen ignoriert, die das System unterstützen".

Sanktionen gegen Sittenpolizei

Am Wochenende hatte Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, erklärt, man hätte "konkrete Schritte" unternommen, um die Sittenpolizei zu sanktionieren und der Bevölkerung den Zugang zum Internet zu erleichtern. Die aktuell laufenden Atomverhandlungen würden dabei keine Rolle spielen. "Die Tatsache, dass wir mit dem Iran über sein Atomprogramm verhandeln, hat keinerlei Auswirkungen auf unsere Bereitschaft und unsere Vehemenz, uns zu dem zu äußern, was auf den Straßen des Iran geschieht", sagte Sullivan dem Sender CBS News.

In Wien und in Berlin wurden am Montag die jeweiligen iranischen Botschafter einbestellt. Das österreichische Außenministerium verurteilte den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch die Sicherheitsbehörden gegen Demonstranten "auf das Schärfste".

Untersuchung angeordnet

Mahsa Amini war zunächst ins Koma gefallen und dann am 16. September verstorben, nachdem sie wegen eines Verstoßes gegen die strenge islamische Kleiderordnung von der Sittenpolizei festgenommen worden war. Die Protestbewegung wirft der Behörde Gewaltausübung bei der Einvernahme vor, die Behörde dementiert. Präsident Ebrahim Raisi ordnete eine Untersuchung des Falls an. (Kim Son Hoang, 26.9.2022)