Die landwirtschaftlichen Flächen in Europa werden immer größer – entsprechend viele Pestizide werden eingesetzt. Ihre Rückstände landen im Wasser und in den Böden.

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Wenn Landwirtinnen und Landwirte dieser Tage auf den Äckern ihre Wintergerste und Winterroggen ausbringen, sprühen sie häufig auch Herbizide mit Flufenacet – einem Wirkstoff, der eigentlich nur unerwünschte Gräser vernichten soll. Immer öfter wird dessen Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA) aber auch im Trinkwasser nachgewiesen. Das Problem dabei: TFA lässt sich kaum wieder aus dem Wasser herausfiltern, ist für Algen giftig, und auch für Säugetiere könnte es schädlich sein. Studien dazu laufen.

Trotz der Risiken hat sich der Absatz von Herbiziden mit Flufenacet allein zwischen 2014 und 2020 verdoppelt, lässt das deutsche Umweltbundesamt wissen. In Österreich sind die Zahlen seit 2014 bereits auf einem konstant hohen Niveau – sie verdreifachten sich zuvor zwischen 2009 und 2014. Heute sind 23 Herbizide mit dem Wirkstoff in Österreich zugelassen.

Die EU hat Flufenacet wegen dessen "ungünstiger Eigenschaften" auf eine Liste mit potenziell gefährlichen Pestizid-Wirkstoffen gesetzt. Der Einsatz dieser sogenannten Substitutionskandidaten ist zwar nicht verboten. Die EU-Staaten sollen die insgesamt 53 Stoffe jedoch, wo überall möglich, durch harmlosere Pflanzenschutzmittel ersetzen.

Kein einziger Substitutionskandidat wurde ersetzt

Mit dieser Regelung soll seit 2015 der Einsatz von Alternativen zu toxischen Pestiziden angeschoben werden – bislang ist dieses Vorhaben gescheitert. Das zeigt ein neuer Bericht der Umweltorganisation Pesticide Action Network (PAN) Europe, der dem Standard und dem Journalistenteam Investigate Europe vorab vorlag. Kein einziger Substitutionskandidat sei bislang durch eine nicht-chemische Alternative ersetzt worden, heißt es dort.

In Österreich sind 37 der 53 Wirkstoffe der Substitutionsliste in Pestiziden enthalten, die aktuell zugelassen sind. Insgesamt sind diese wiederum in 353 Pflanzenschutzmitteln zu finden, so die Umweltorganisation Global 2000, die österreichische Partnerorganisation von PAN Europe. In knapp jedem fünften Pestizid, das momentan in Österreich verkauft wird, ist ein solcher Wirkstoff zu finden.

Österreich liegt damit im EU-Mittelfeld. In Ungarn werden mit 48 Wirkstoffen die meisten Substitutionskandidaten eingesetzt, in Dänemark mit 15 mit Abstand die wenigsten.

"Chemische Vielfalt" gegen Schädlingsresistenz

Warum blieb die EU-Initiative, die zentral für die Pestizidregulierung sein sollte, so wirkungslos? Verantwortlich dafür könnte laut dem PAN-Bericht ein kaum bekanntes Gremium sein: die Pflanzenschutzorganisation für Europa und den Mittelmeerraum (EPPO). Das ist eine internationale Organisation, der 52 Staaten angehören, darunter auch alle EU-Mitgliedsstaaten. Im Jahr 2011 hatten EPPO-Experten im Auftrag der EU einen Leitfaden erstellt, der den Mitgliedsstaaten dabei helfen soll zu bewerten, ob die ausgewiesenen Substanzen durch andere Mittel ersetzt werden können.

Doch tatsächlich habe das Papier dazu geführt, dass die Wirkstoffe, die auf der Liste landeten, weiter eingesetzt werden, kritisieren PAN Europe und Global 2000. Der Grund dafür seien Formulierungen im Leitfaden. Darin heißt es etwa, dass eine "ausreichende chemische Vielfalt" nötig sei, um zu vermeiden, dass Schädlinge Resistenzen entwickeln. Das betont EPPO auch auf Nachfrage: Eine Vielfalt von Wirkungsweisen gegen einen Zielschädling sei wichtig.

Dieses Prinzip findet sich auch in dem Leitfaden wieder, der den Behörden bei der Anwendung des Substitutionsprinzips helfen soll. In der Praxis, analysieren die Umweltorganisationen, führe das dazu, dass die Bewertung ende, bevor nicht-chemische Alternativen in Erwägung gezogen werden.

Suche nach Alternativen

"Damit fördert der Leitfaden die Zulassung von mehr und mehr toxischen Pestizidprodukten", schreibt PAN in dem Bericht, den die Organisation heute anlässlich des 60-jährigen Jubiläums von Rachel Carsons Sachbuch Der stumme Frühling veröffentlichte.

Nicht nur PAN Europe, auch die EU-Kommission selbst räumte 2018 ein, dass die derzeitige Regelung nicht greife. "Die Vorschriften für Wirkstoffe, die für eine Substitution in Frage kommen, sind ineffektiv und ineffizient und haben nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht", schreibt sie. Allerdings spricht die Kommission dabei von einem Mangel an Alternativen.

Laut dem Biologen Dave Goulson von der Universität Sussex mangle es jedoch nicht an Alternativen. Vielmehr fehle es an Unterstützung für die biologische oder integrierte Landwirtschaft, in der Pestizide als letzter Schritt genutzt werden.

"Zurzeit haben wir ein Agrarsystem, in dem die meisten Ratschläge für Landwirte von Agronomen kommen, die für Pestizidfirmen arbeiten", sagte er zu Investigate Europe. Es überrasche daher nicht, dass sie Pestizide als erste und oft einzige Lösung sehen. "Es gibt Wege, um den Einsatz chemischer Pestizide stark zu reduzieren", ergänzte er. Nur müsse das Wissen dazu stärker gefördert werden.

Mehr Rückstände von Substitutionskandidaten in Obst

Da das aber kaum geschieht, wird auf europäischen Feldern statt mit biologischen Methoden weiter viel mit chemischen Wirkstoffen gearbeitet. Das hat Folgen: Neben den TFA-Rückständen im Wasser, stellte PAN Europe auch bei verschiedenen Obstsorten eine steigende Belastung mit Substitutionskandidaten fest. Für Äpfel etwa sei sie EU-weit von 17 Prozent im Jahr 2011 auf 34 Prozent im Jahr 2020 gestiegen. Für Birnen habe sie im selben Zeitraum von 26 auf 49 Prozent zugenommen, für Weintrauben von 31 auf 46 Prozent.

In Österreich sei sie noch etwas höher: Hier sei sie 2020 bereits bei 39 Prozent gelegen. "Diese Daten liefern keinen Hinweis, dass das Substitutionsprinzip funktioniert", so Helmut Burtscher-Schaden von Global 2000. Das Gegenteil sei der Fall. (Alicia Prager, Nico Schmidt, Investigate Europe, 27.9.2022)