Der Pädagoge war jahrzehntelang in einer Wiener Mittelschule tätig. Zwischen 1990 und 2010 war dieser mit Unterbrechungen aber auch Betreuer von Kindern und Jugendlichen in einem Sommer-Feriencamp am Wolfgangsee.

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Die Missbrauchscausa rund um den Lehrer einer Wiener Mittelschule zieht immer weitere Kreise. Wie berichtet soll der Pädagoge zahlreiche Schüler missbraucht sowie kinderpornografisches Material angefertigt haben. Es gibt zumindest 25 Opfer, die laut den polizeilichen Ermittlungen bisher auf Fotos und Videos identifiziert werden konnten. Weitere vier mögliche Opfer haben sich zuletzt gemeldet.

Der Fall kam nach einer Anzeige im Frühjahr 2019 auf. Nach einer Hausdurchsuchung und noch vor seiner geplanten Beschuldigteneinvernahme im Mai 2019 beging der Betroffene Suizid. Die Staatsanwaltschaft Wien stellte die Ermittlungen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen sowie Herstellung und Besitzes von kinderpornografischem Material in weiterer Folge ein.

Jahrelang in Wiener Sportvereinen und Feriencamps tätig

Der Pädagoge war nach STANDARD-Recherchen aber auch jahrelang in führenden Funktionen in Wiener Sportvereinen sowie in einem großen Feriencamp im Bundesland Salzburg tätig. Ein ehemaliger Teilnehmer an diesem Sommercamp sagte dem STANDARD, dass es auch dort einen sexuellen Übergriff durch den Betreuer gegeben habe. Dieser habe sich bereits im Jahr 2006 zugetragen, damals war der Camp-Teilnehmer 13 Jahre alt. Zunächst seien die Übergriffe im Rahmen einer Massage nicht als solche erkannt worden. Erst sieben Jahre später – im Rahmen einer Therapiesitzung – sei ihm dann als mittlerweile Erwachsenem bewusst geworden, dass der Betreuer mögliche sexuelle Übergriffe gesetzt habe.

Im Jahr 2013 erfolgte laut dem damaligen Camp-Teilnehmer eine Anzeige zu den Übergriffen im Salzburger Feriencamp. Die Aussage wurde in Niederösterreich gemacht. Die Landespolizeidirektion Niederösterreich bestätigte auf STANDARD-Anfrage am Dienstag auch, dass es damals in dieser Causa eine Einvernahme gegeben habe. Der Akt sei dann in ein anderes Bundesland weitergeschickt worden.

Aber weder bei der Staatsanwaltschaft Wien noch bei den Staatsanwaltschaften Wels und Salzburg war eine Anzeige gegen den Pädagogen aus dem Jahr 2013 bekannt. Bei der Staatsanwaltschaft Wels gab es "kein Ermittlungsverfahren", wie es hieß. Der betroffene Pädagoge war mit Unterbrechungen von 1990 bis 2010 als Betreuer im Feriencamp tätig, wie ein Vertreter des veranstaltenden Vereins bestätigte.

Hinweise auf mögliche Mittäter

Am Dienstag wurde zudem bekannt, dass es im Missbrauchskomplex Hinweise auf mögliche Mittäter geben könnte. Diesen Verdacht äußerte eine Rechtsanwaltskanzlei, die ein Opfer vertritt, in einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien. Demnach gibt es gegen zwei weitere namentlich bekannte Personen den Verdacht des Missbrauchs von Unmündigen sowie den Verdacht des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses. Die beiden Betroffenen sollen mit dem Wiener Pädagogen gut bekannt und über die Sportvereinsszene vernetzt gewesen sein. Beide sollen zudem ebenfalls in einem Ferienlager für die Kinderbetreuung zuständig gewesen sein.

In der Anzeige wird auch erwähnt, dass laut einer Zeugin einer der Betroffenen in der Schule "ein- und ausgegangen" sei. Dieser habe auch an Schulveranstaltungen teilgenommen, obwohl er keine Lehrkraft gewesen sei.

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien teilte am Nachmittag mit, dass die Sachverhaltsdarstellung nunmehr eingelangt sei, sie "wird geprüft". Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Bildungsdirektion für Wien und die eingesetzte Kommission haben in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA angegeben, keine Kenntnis über mögliche Mittäter zu haben – ansonsten hätte man sich mit einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft gewandt. Die bei dieser eingegangenen Sachverhaltsdarstellung kenne man nicht. Sollte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen erneut aufnehmen, könne der Schulbezug sicher leichter aufgeklärt werden.

Mehr als tausend Ex-Schüler werden per Brief kontaktiert

Zuletzt gab die Wiener Bildungsdirektion bekannt, dass mindestens 1.000 ehemalige Schülerinnen und Schüler sowie Ex-Pädagogen der betroffenen Bildungseinrichtung im zweiten Bezirk ab dem Jahr 2004 per Brief kontaktiert werden. Das Jahr 2004 wurde deshalb gewählt, weil die ersten Übergriffe des Lehrers in diesem Jahr stattgefunden haben sollen. Lehrer war der Betroffene bereits seit dem Jahr 1996

In dem Brief wird erwähnt, dass "der Vorwurf von Übergriffen im Raum" stehe. "Als Schulbehörde ist es uns ein Anliegen, die Umstände so umfassend wie möglich aufzuklären", heißt es. Verwiesen wird hier auch auf die seit dem Jahr 2020 tätige Kommission. "Sollten Sie als ehemaliger Schüler / ehemalige Schülerin dazu Fragen haben, sich austauschen wollen oder psychosoziale Beratung und Unterstützung brauchen, wenden Sie sich bitte an eine der folgenden Anlaufstellen:

– Schulpsychologischer Dienst
Telefon: +43 1 525 25 – 77550, E-Mail: schulpsychologie@bildung-wien.gv.at

– Kinder- und Jugendanwaltschaft
Telefon: +43 1 4000 – 85920, E-Mail: post@jugendanwalt.wien.gv.at

– Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien
Telefon: +43 1 4000 – 8011, E-Mail: service@ma11.wien.gv.at

Wenn Sie sich mit Informationen oder Hinweisen direkt an die Untersuchungskommission wenden möchten, kontaktieren Sie uns bitte per E-Mail: kommission@bildung-wien.gv.at", heißt es weiter. Die Angebote könnten freiwillig und auch anonym angenommen werden. (David Krutzler, 27.9.2022)