Andie MacDowell beim Cannes-Film-Festival im Sommer 2021. So lassen sich graue Haare aushalten.

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Frauen müssen sich oft eine Strategie zurechtlegen für Dinge, die ohnehin passieren. Dinge, auf die man keinen Einfluss hat, Dinge, die für Männer deutlich weniger oder kaum eine Rolle spielen. Alt werden zum Beispiel. Es muss gar nicht viel um die Ecke gedacht werden, um zu dem Schluss zu kommen: Grundsätzlich ist Altwerden was ziemlich gutes. Schließlich hört man erst auf zu altern, wenn man stirbt. So weit, so gut also.

Natürlich ist trotzdem das Altern ein Riesentheater, weil eben die Sache mit dem Tod immer irgendwie mitschwingt. Für Frauen ist es aber nochmal aus vielen anderen, viel weniger dramatischen Gründen, so eine Sache. Frauen müssen schönheitsmäßig schlicht noch immer mehr liefern als Männer. Wer vor den Regalen mit Beautyprodukten steht, könnte meinen: Der Feminismus hat versagt. AHA-Peelings, Retinol-Booster und Augencremes, die mit einem bügeleisenartigem Aufsatz aufgetragen werden. Da stehen Verpackungen mit Begriffen, Kürzeln und Lösungsangeboten für Probleme, derer sich Frauen vor zehn Jahren noch gar nicht gewahr waren.

Es ist also kompliziert geworden, und deshalb stellt sich vermehrt die Frage: Wo noch mitmachen? Was sein lassen? Und welche Anforderungen sind schlicht eine Freiheit? Eine Userin schreibt auf die Frage unserer aktuellen "Feministischen Gewissensfrage", welcher Schönheitsarbeit sie so nachgeht:

Zurück zu der Frage, ob der Feminismus dahingehend versagt hat, dass Frauen sich noch immer an ihren Körpern abrackern müssen. Nein, hat er nicht. Der Kapitalismus war nur stärker. Besonders ungut wird es aber, wenn Frauen auf ihre feministische Standfestigkeit in puncto Schönheitsarbeit abgeklopft werden. Nach dem Motto: Na? Politisch doch nicht so sattelfest? Aber auch dahingehend haben Feministinnen ein paar Pflöcke eingeschlagen, und inzwischen wissen die meisten, dass wegen eines Lippenstifts oder einer Haartönung die Bücher von bell hooks, Laurie Penny oder Simone de Beauvoir nicht gleich explodieren.

Trotzdem ist die Sache nicht so einfach, und das zeigt sich wie so oft bei prominenten Frauen: Insbesondere wenn es um graue Haar geht, kommt rasch eine gewisse Empowerment-Schwingung auf. Für die 64-jährige Andie MacDowell gab es zum Beispiel viel Beifall dafür, dass sie sich mit 64 Jahren nicht mehr die Haare Brünett färbt. Die "Vogue" machte sie gleich mal zur "Göttin der Silbermähne". MacDowell selbst begründete ihren Entschluss so: Sie habe sich "noch nie so stark gefühlt". Sie fühle sich nun viel "aufrichtiger" und habe das Gefühl, "sich nicht mehr zu verstellen. (...) Ich fühle mich so, als würde ich mich genau so akzeptieren, wie ich bin. Ich fühle mich wirklich wohl. Und in vielerlei Hinsicht finde ich, dass meine Gesichtszüge so noch mehr zur Geltung kommen. Ich habe einfach das Gefühl, dass es zu mir passt."

Also, Andy McDowell fühlt sich offenbar wohl. Doch nein, Frauen, die ihre grauen Haare färben, verstellen sich nicht. Und trotz verbaler Body-Positivity-Parade geht es letztlich doch wieder nur darum, gut auszusehen, weil die grauen Haar ja gut zu den Gesichtszügen passen. Das und der Kollege und Autor einer Kolumne im "Süddeutsche Zeitung Magazin" bringen es auf den Punkt: Es muss alles gut zusammenpassen. Mit dem Gesicht, den Klamotten – in McDowells Fall war es Prada und Versace bei ihren ersten großen Auftritten mit grauer Wallmähne. Das strahlenden Lächeln muss auch passen. Man stelle sich vor, griesgrämig, in Farben, die nicht zu Grau passen, gekleidet. Ohne Make-up, ohne Erfolg. In Wahrheit ist das Canceln einer bestimmten Schönheitsarbeit wie etwa Haarefärben also oft mit sehr viel Kompensationsleistungen verbunden, damit es das gesellschaftliche Umfeld einer nicht Übel nimmt.

Graue Haare für die fade Ehe

Und noch ein Beispiel dafür, dass ein Graue-Haare-Statement nach hinten losgehen kann. In der "Sex and the City"-Fortsetzung "And Just Like That ..." trug die Am-ehesten-noch-Feministin Miranda ihr Haar ungefärbt. Klar, dass das vor Ausstrahlung der lange erwarteten Fortsetzung ein Riesenthema war. Doch die Geschichte geht in keine gute Richtung: Die grauen Haare trägt sie parallel zu ihrem Eheleben, das sie zunehmend unglücklich macht. Dann lernt Miranda Che kennen, nichtbinär und relativ bald die heiße Affäre von Miranda. Die ist von Che und den neuen genderfluiden Möglichkeiten hin und weg. Sie verlässt ihren Mann und entscheidet sich für Che. Und siehe da: Mit der Liebe, der Leidenschaft und dem Sex müssen die grauen Haare weichen. In der letzten Szene mit Miranda in dieser Staffel hat sie wieder ihr leuchtend rotes Haar. Das Leben hat sie wieder, das scheint die Botschaft zu sein.

So wird das jedenfalls nichts mit einem entspannten Umgang mit dem Älterwerden von Frauen, und solange die Lage so ist, wie sie ist, sei es jeder feministisch geneigten Frau gegönnt, bei einem weniger drängenden Thema wie diesem mal den geringsten Weg des Widerstands zu gehen. (Beate Hausbichler, 29.9.2022)