Der britische Fünf-Uhr-Tee entschädigt selbst steifgefrorene Britinnen: mit "scones" voll Rahm und Konfitüre.

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Um ihrer verewigten Königin das allerletzte Geleit zu geben, war Englands Landeskindern keine Mühe zu groß. Nach ihrer Väter Sitte bildeten die Britinnen eine Warteschlange, die mehr Kilometer maß als der natürliche Lauf der Themse. Auch ohne Queen besitzen Albions Kinder eine natürliche Eignung für das Geschäft des Wartens: Sie wissen, dass am Zielort Gurkensandwichs ihrer harren – oder mürbe "scones" mit Häubchen aus verklumptem Rahm.

Mir, einem ebenso kleinen wie genäschigen Babyboomer, erschien Warten stets als lohnender Zeitvertreib. In den Reformjahren der Ära Kreisky pflegte man Kinder und Haustiere mit der Inaussichtstellung lukullischer Prämien gefügig zu stimmen. Jeder Besuch der nahen Fleischhauerei gipfelte in einem Gunsterweis. Kaum war der Lungenbraten über die Theke gewandert, schnitt der in Pantoffeln steckende Metzger – er laborierte an offenen Stellen an den Füßen – ein Extrawurstrad vom Block herunter, um es mir feierlich zu überreichen. Natürlich war ich jedes Mal Feuer und Flamme, wenn es hieß: "Ich muss zum Fleischhauer, gehst du mit?"

Mit den Jahren begannen die Prämien zu schrumpfen. Vergebens hoffte man, endlich Bekanntschaft mit einem Herrn namens "Godot" zu schließen. Aus wohlschmeckenden Wurstblättern wurden abstrakte Ideale. Unausgesetzt hieß es: "Übe Geduld." Einmal, in den Gesellenjahren meiner journalistischen Tätigkeit, wurde ich in die Festspielstadt Salzburg beordert: Der große Regisseur Peter Stein sei gesonnen, mich zum Interview zu treffen. Die Verabredung lautete auf Nachmittag um drei.

Als ich gegen 18 Uhr fragend auf des Meisters Assistentin blickte, lotste mich die freundliche Dame in ein berühmtes, an der Salzach gelegenes Kaffeehaus: Dort saß der Genius und löffelte gemeinsam mit seiner Herzensdame einen Eisbecher, größer als jede Bombe Surprise. Wie sich herausstellte, beabsichtigte er keinesfalls, Eis und Zeit mit mir zu teilen.

Ich beendete das Warten im Zug nach Wien. Mir selbst gegenüber beteuerte ich, der Ausgang der Begegnung sei mir wurst. (Ronald Pohl, 28.9.2022)