Kon-takt! Der privat recht schüchterne Teenager Peter Parker bei seinem ersten Außendiensteinsatz als Superheld Spider-Man im Spätsommer 1962.

Foto: Marvel

Das "Peter-Parker-Prinzip" dürfte weltweit bekannt sein, weil es hier schließlich um den altgedienten Superhelden Spider-Man geht: "Mit großer Macht kommt große Verantwortung." Dieser moralische Leitsatz hat seinen Ursprung eigentlich in dem im ersten Jahrhundert nach Christus verfassten Evangelium nach Lukas (Lk 12,48). Er wurde über das Komitee für öffentliche Sicherheit während der Französischen Revolution herauf über Winston Churchill und schließlich auch Superman 1948 in seinem Debüt Superman Comes To Earth recht häufig zitiert und gilt als popkulturelles Allgemeingut. Möglicherweise noch ein paar Tausend Jahre vor dem heiligen Lukas lehrte ihn "vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis" auch schon Jedi-Meister Yoda aus Star Wars.

Peter Parker, der als Spider-Man gerade 60-jähriges Dienstjubiläum feiert, hörte ihn von seinem gleich zu Beginn auch schon wieder als Raubüberfallopfer erschossenen Ziehvater "Onkel Ben" jedenfalls schon beim Comics-Debüt im Spätsommer 1962. Wie auch der seit demselben Jahr wütende Hulk alias Dr. Bruce Banner wurde Peter Parker in der Hochzeit des Kalten Krieges ein Opfer radioaktiver Strahlung. Der Biss einer kontaminierten Spinne machte den schüchternen Teenager zum seit damals niemals alternden Superhelden im Kampf gegen das Böse. Das Böse ist bekanntlich immer und überall.

Rächer der Enterbten

Der Erfolg war anfangs nicht abzusehen. Die Idee, einen verklemmten Teenager aus dem New Yorker Stadtteil Queens zum Rächer der Enterbten zu machen, der aus seinen Händen Spinnweben spritzt, Schurken mit Superpower kaltstellt und sich durch die Festgemeinde und die ewigen Hochhausschluchten des zwar regelmäßig im Häuserkampf schwer beschädigten, aber letztlich unkaputtbaren New York hantelt, so ein Blödsinn! Das ist doch nicht realistisch! Im gern für Weltuntergangsszenarien als Kulisse eingesetzten Big Apple scheiterten schließlich schon King Kong und später Godzilla. Und die trugen keine lächerlichen Masken und hatten keine moralischen Skrupel. Gegenüber Spider-Man bestanden bei Marvel anfangs zumindest schwerwiegende Vorbehalte.

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Abgesehen von einer mimisch wenig variationsreichen Maske, die die Ausdrucksmöglichkeiten eines Bilderheftchens doch relativ einschränkt, handelt es sich bei einer Spinne ja auch nicht gerade um eine der auf den vorderen Rängen der Beliebtheitsskala unter den Ekeltieren rangierenden Sympathieträgerinnen. Ja, klar, in der Schule lernen wir, dass eine Spinne ein nützliches Lebewesen ist, das lästige Fliegen und so frisst. Allerdings will man definitiv nicht, dass einem so eine in den Medien gerade gehypte Nosferatu-Spinne nachts über das Gesicht krabbelt. Sagen wir so, Menschen, die sich daheim im Terrarium eine Vogelspinne halten, sind in Wahlkämpfen eine vernachlässigbare Ansprechgruppe.

Während also der hoppertatschige Nerd Peter Parker als von Comic-Legende Stan Lee erfundener Spinnenmensch bis heute gegen knapp 40 Schurken wie Dr. Doom, Electro, Green Goblin oder Venom kämpft, muss man sich schon auch wundern, wie unglaublich hoch nach wie vor seine Beliebtheitswerte sind. Die ursprünglichen Comics-Hefteln sind längst global erfolgreichen TV-Serien, Faschingskostümen für Vorschulkinder, hunderten Fanartikeln wie Kugelschreibern und Ausmalbüchern und vor allem Blockbustern im Kino gewichen. Spider-Man dürfte der heute neben dem vom Himmel auf die Erde gefallenen Thor und dem ebenfalls auf Radioaktivität als nachhaltigem Energieträger setzenden Iron Man kommerziell der erfolgreichste Held des Marvel-Universums sein.

Das Kind im Manne

Thor und bald auch Iron Man feiern neben Spider-Man und Hulk übrigens ebenfalls ihren Sechziger. In deren Kinoverfilmungen tauchte Kindsvater Stan Lee übrigens so wie auch bei Spider-Man und zuletzt posthum in Avengers: Endgame 2019 in Cameo-Auftritten auf. Spider-Man machte in Endgame eine blasse Figur. Im Gegensatz zu Lees Schöpfungen Fantastic Four, Dr. Strange, Daredevil oder X-Men muss Spider-Man der ewig schüchterne Teenie bleiben, der körperlich privat nicht einmal zu Petting-Kontakten kommt.

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Der erwähnte Venom hauste übrigens ursprünglich einmal als Symbiont aus dem Weltall und schwarz gefärbtes böses Alter Ego in Spider-Man. Wenn alle Gegner besiegt sind, muss man gegen sich selbst kämpfen. Dem gelernten Österreicher muss man nicht erklären, dass man sich im Zweifel gern selbst eine in die Goschen haut. Das Leben als Peter Parker ist langweilig genug. Der Spider-Man-Symbiont wechselte dann auch bald den Wirt und wurde im Journalisten Eddie Brock zu Venom. Der im Kino von Tom Hardy gespielte und trotz kannibalistischer Neigungen zum guten Psychopathen gewordene Venom ist übrigens nicht mit dem artverwandten irren Killer Carnage aus dem Spider-Man-Universum zu verwechseln. Ja, es bleibt kompliziert.

Ein mehrere Kilo schwerer Prachtband von Spider-Mans frühen Jahren 1962 bis 1964 ist übrigens aktuell im Taschen-Verlag erschienen. Vom Kaufanreiz her vertraut das symbiotische Kind im Manne bei diesem Buch übrigens ganz auf seinen Wirt. (Christian Schachinger, 28.9.2022)