Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Zeremonie im Naturhistorischen Museum.
Foto: APA / Florian Wieser

Zeiten ändern sich: Was europäische Forschungsreisende in den vergangenen Jahrhunderten von fernen und fremden Völkern in die Heimat mitnahmen und so private wie öffentliche Sammlungen mit exotischen Mitbringseln füllten, wird heute vermehrt zurückgegeben. Die anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) ist bei diesen Bestrebungen derzeit besonders aktiv: In diesem Jahr wurden bereits menschliche Überreste an Indigene aus Hawaii repatriiert.

Nun folgte eine feierliche Zeremonie für Angehörige der Maori und Moriori – Volksgruppen, die in Neuseeland beziehungsweise Aotearoa (so lautet die Maori-Bezeichnung der Inseln) leben. Sie fand am Dienstag im Naturhistorischen Museum statt. Dabei wurden Knochen zurückgegeben, die den Nachforschungen zufolge wahrscheinlich unerlaubt ausgegraben wurden und durch Handel, Tausch und als Geschenke in die osteologische Sammlung des Museums kamen.

Sabine Eggers, Leiterin der Internationalen Osteologischen Sammlung des NHM, im Gespräch mit Te Arikirangi Mamaku-Ironside (Karanga Aotearoa) und Te Herekiekie Herewini (Karanga Aotearoa).
Foto: NHM Wien, Christina Rittmannsperger

Exhumierte Schädel

Im 19. Jahrhundert gelangten die Überreste von Kindern, Jugendlichen, Männern und Frauen der Völker der Maori und Moriori von Aotearoa und Rekohu – vulgo Chathaminseln – ins Museum. Die Chatham Islands liegen südöstlich der neuseeländischen Nordinsel. Die Inselgruppe war über Jahrhunderte von den Moriori besiedelt, ehe sie Mitte des 19. Jahrhunderts von Maori-Stämmen angegriffen wurden.

Neue Herkunftsforschungen legen nahe, dass die Gebeine der beiden Völker damals ohne Erlaubnis exhumiert wurden und über verschiedene Expeditionen und Forschungsreisende ins NHM gebracht wurden. Es handelt sich dabei um 27 Schädel, 20 Schädeldächer sowie 15 lose Unterkiefer und Oberkiefer-Fragmente.

Andreas Reischek reiste im 19. Jahrhundert mehrmals nach Neuseeland und brachte dabei exhumierte Körperteile der ansässigen Völker nach Wien und Linz.
Foto: NHM Wien

Maßgeblich daran beteiligt war offenbar der österreichische Ethnograf Andreas Reischek (1845–1902). Naturwissenschaftliche Kenntnisse hatte sich der gelernte Bäcker und Leibjäger selbst angeeignet. Später wurde Reischek Tierpräparator und bereiste Neuseeland mehrmals. Er setzte die ethnologischen Studien von Ferdinand von Hochstetter fort, der durch seine Novara-Expedition berühmt wurde – die erste Weltumsegelung der Österreichischen Marine, die auch reiseliterarische Bekanntheit erlangte.

Ein romantisierendes Gemälde des Malers Alois Schönn im Naturhistorischen Museum, das ein Māori-Dorf darstellt.
Foto: NHM Wien

Skrupellose Sammelpraktiken

An der Herkunftsforschung beteiligt waren Forschende und Studierende des Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa in Wellington und des Departments für Anthropologie des Naturhistorischen Museums Wien. Das Te Papa-Museum koordiniert mit Unterstützung der neuseeländischen Regierung Repatriierungen aus der ganzen Welt.

Ein Hei-Tiki vor Schachteln, die mutmaßlich die zurückgegebenen Gebeine beinhalten. Bei einem Hei-Tiki handelt es sich um ein Ornament der Māori Neuseelands, das um den Hals getragen wird. Dieses wurde von Herrn Whare Biclois von Te Arawa geschnitzt.
Foto: NHM Wien

Bei der Zeremonie am Dienstag wurden unter anderem heilige Riten der Maori durchgeführt. Im Anschluss wurde das Transferabkommen unterschrieben, ein Geschenkeaustausch durchgeführt und eine Podiumsdiskussion abgehalten. Durch die Repatriierung wolle man sich laut Website des NHM zu "ethischen und moralischen Ungerechtigkeiten durch skrupellose Sammelpraktiken" in der Vergangenheit bekennen.

Abbildung tabu

Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) bezeichnete die Rückgabe in einer Aussendung am Dienstag als "wichtigen Schritt für die Anerkennung geschehenen Unrechts, welches durch umsichtige Provenienzrecherchen belegt werden konnte". NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland zeigte sich zufrieden, "dass wir zum Heilungsprozess beitragen können". Die Rückgabe der Gebeine stelle auch die menschliche Würde und kulturelle Identität der Maori und Moriori wieder her.

Sterbliche Überreste indigener Angehöriger wurden in der Vergangenheit "anthropometrisch untersucht, rassialisiert und nicht selten öffentlich zur Schau gestellt. Dadurch wurden sie ihrer Identität als Vorfahren der lebenden Gesellschaften beraubt" und zu musealen Objekten degradiert, hieß es seitens des Naturhistorischen Museums. Die Abbildung der menschlichen Knochen gilt als "tapu" (tabu) und heilig, wie das NHM mitteilte, weshalb diese auch im Rahmen der Zeremonie nicht präsentiert wurden. (red, APA, 27.9.2022)