Baum als Körper? Körper als Baum? "Headstanding Totem" von Nilbar Güreş.
Foto: Johannes Stoll / Belvedere Wien

Die gute Nachricht zuerst: Die Ausstellung Grow. Der Baum in der Kunst im Unteren Belvedere ist die erste nachhaltige Kunstschau des Wiener Bundesmuseums. Das bedeutet: keine Klebebuchstaben aus Plastik, dafür mit Papierschablonen aufgemalte Wandtexte. Objektkärtchen wurden sogar aus ökologisch abbaubarem Samenpapier hergestellt, das nach Ende der Laufzeit eingepflanzt werden kann, so Kurator Miroslav Haľák.

Dem Ansatz der Nachhaltigkeit sei es aber auch geschuldet, dass für die Präsentation – etwa 60 Prozent speisen sich aus der Sammlung des Belvederes – Leihgaben aus der Nachbarschaft und nicht etwa von Übersee geholt wurden, um die Transportwege kurz zu halten. Einzig eine Skulptur von Giuseppe Penone wurde aus Turin geborgt, so Haľák. Der Rest stammt aus Österreich, Bratislava und Brno. Das ist löblich und bei so einem Thema für das als grünes Museum bewertete Haus eigentlich naheliegend.

Dennoch überwiegen leider die schlechten Nachrichten: Zu viel hat sich die Ausstellung mit dem Thema vorgenommen, zu Wichtiges beiseitegelassen. Grundsätzlich ist an der Idee, eine umfassende Präsentation zu konzipieren, die sich mit einem so oft dargestellten Kunstmotiv beschäftigt und dieses vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart beleuchtet, nichts auszusetzen.

Starker Symbolismus: "Die bösen Mütter" von Giovanni Segantini, 1894.
Foto: Belvedere, Wien

Unscharfe Kombo

Leider fühlt man sich beim Aufbau aber an eine wissenschaftliche Arbeit erinnert und vermisst die Orientierung an der Sinnlichkeit. Um die rund 100 Werke einzuordnen, wurden sie in drei Kapitel aufgeteilt, die sich wiederum in Unterkapitel verzweigen. In der Theorie klingt die Gliederung in Baum der Erkenntnis, Baum des Wissens und Achse der Welt trocken, aber logisch. In der Praxis ist sie unübersichtlich, die Grenzen verschwommen.

Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Baum als Symbol und erstreckt sich von Cranachs Der Sündenfall über Giovanni Segantinis bekanntem Werk Die bösen Mütter bis zu Verwandlungen aus der Mythologie und zeitgenössischer Fotografie von Nilbar Güreş. Spätestens im zweiten Abschnitt, der sich dem Baum als natürliches Motiv widmet, hegt man den Gedanken, hier sei vieles willkürlich in einen Topf geworfen worden: Verkehrte, besprayte Äste von Katharina Grosse und Wolfgang Holleghas abstrakter Holunderzweig werden genauso wie instrumentalisierte Wälder der NS-Propaganda und Landschaftsgemälde gezeigt.

Surreale Baumszene: René Magrittes "La voix du sang (Die Stimme des Blutes)", 1959.
Foto: Bildrecht, Wien 2022

Unbekannte statt omnipräsent

Schließlich versucht das dritte Kapitel, die ersten beiden Teile zu vereinen und zugleich den Baum als Pars pro Toto ökologischer Themen einzuführen: Peanuts-Comicfiguren von Jimmy Zurek, ein Gehirn von Peter Kogler, ein surrealer Baum René Magrittes. Die Zusammenhänge bleiben unerschlossen.

Dass weder Werke von Joseph Beuys noch von Lois Weinberger vertreten sind, verwundert ehrlich gesagt. Der Kurator begründet diese Lücken damit, dass beiden Künstlern erst kürzlich große Ausstellungen im Belvedere 21 ausgerichtet wurden. Anstatt omnipräsente Namen wolle man auch unbekannte Positionen zeigen (viele aus der Slowakei und Tschechien) und natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Aus diesem riesigen Thema könnte man unzählige Ausstellungen schöpfen, so Haľák.

Mit stärkerem Aktualitätsbezug zu Klimathemen wäre das auch durchaus spannend. Mit solch einem Konzept leider nicht. (Katharina Rustler, 27.9.2022)