Der Modehandel erlebt heuer nach Jahren schwerer Krise Aufwind. Die seit 2019 verlorenen Umsätze holt die Branche nicht zurück.

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Wien – Gut 760 Euro. So viel gibt heuer jeder Haushalt im Einzelhandel mehr aus, ohne auch nur ein Minzblatt mehr im Einkaufskörberl zu haben", sagt Andreas Kreutzer. Knapp vier Milliarden Euro werden in Österreichs Handel bis Jahresende von der Inflation gefressen, rechnet der Marktforscher vor.

Dass die Preise quer durch alle Wirtschaftsbereiche angesichts der Krise auf den Energiemärkten aus purer Not heraus steigen, bezweifelt er. Das Jahr 2022 werde dazu benutzt, die Wertschöpfung zu verbessern und Preiserhöhungen nachzuholen, die sich zuvor nicht durchsetzen ließen, ist Kreutzer überzeugt.

"Die Welt ist nicht gut"

Jeder knalle auf die tatsächlichen Kostensteigerungen selbst noch was drauf. "Das ist kein Vorwurf, sondern Fakt. Die Welt ist nicht gut." Letztlich verteuerte sich das Leben der Österreicher damit im August um mehr als neun Prozent.

Der Chef von Kreutzer Fischer & Partner spart nicht mit Beispielen. Für Flugtickets etwa müsse heuer um 26 Prozent mehr ausgelegt werden. Dabei habe sich weder das Personal der Airlines signifikant verteuert, noch gebe es hohe Abschreibungen. Kerosin mache weniger als ein Viertel ihrer Gesamtkosten aus.

Die Preise in der Gastronomie zogen um neun Prozent an. Der Wareneinsatz mache aber nur die Hälfte ihrer Kosten aus, und dieser habe sich nicht um 18 Prozent verteuert. Für Kreutzer ebenso wenig nachvollziehbar ist teureres österreichisches Mehl. "Es gibt keinen Grund dafür, außer steigende Weltmarktpreise."

Der Marktforscher erinnert an hoch konzentrierte Rohstoffindustrien. "Am Ende der Wertschöpfungskette steht der Handel und bekommt oft zu Unrecht die Watschen ab." Dieser sei starkem Wettbewerb ausgesetzt, habe wenig Spielraum für höhere Margen. Mode etwa koste heuer annähernd gleich viel wie im Vorjahr. Zu groß ist die Angst der Unternehmen, Kunden an günstigere Konkurrenten zu verlieren.

Österreichs Handel ist hochgradig nervös. Die Branche befürchtet, bei den geplanten Energiekostenzuschüssen der Regierung ausgespart zu werden. Die Lohnrunde für eine halbe Million Beschäftigte steht an und wird mehr denn je zur Gratwanderung. Die Konsumlust ist zwar zurückgekehrt. Ausgelebt wird diese aber lieber in der Freizeitwirtschaft.

Geschäft mit Freizeit boomt

Investiert wird in Reisen, Kultur, Sport und Gastronomie. Klassische Güter, die weder viel Erlebnis noch schnellen Konsum versprechen, haben das Nachsehen. Kreutzer beobachtet diesen Trend seit Jahrzehnten. Nach kurzer pandemiebedingter Pause schließe Österreich, wie er festhält, daran wieder nahtlos an.

Unterm Strich würden dem Einzelhandel heuer zwischen 73 und 74 Milliarden Euro Umsatz bleiben, geht aus seinen Untersuchungen für den Handelsverband hervor. Kreutzer erwartet ein Plus von fünf Prozent, das jedoch zur Gänze inflationsgetrieben sei. Real zeichne sich ein Minus von 0,3 Prozent ab.

Deutlich erholt hat sich heuer infolge von Nachholeffekten der stationäre Textilhandel. Kreutzer sieht hier preisbereinigt 17 Prozent höhere Ausgaben. Die guten Prognosen dürften freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Branche seit dem Ausbruch von Corona drei Milliarden Euro an Umsatz einbüßte.

Der Boom des Lebensmittelhandels, des großen Gewinners der Lockdowns, flachte ab: Wirte holen sich Kunden zurück, die in Supermärkten wiederum zu günstigeren Marken greifen. Auch mit Elektrogeräten, Hausrat und Möbeln haben sich viele Österreicher gut eingedeckt. Reales Wachstum ist hier 2022 wohl nicht mehr drin.

Onlinehandel schwächelt

Eine Zäsur erleben einzelne Sparten des Onlinehandels, der seit zehn Jahren fast ungebremst Marktanteile eroberte. Kreutzer zufolge werde der Web-Absatz heuer nur um zwei Prozent zulegen. Zu spürbaren Verschiebungen sei es hier schon 2021 gekommen, als der durchschnittliche Umsatz pro Paket deutlich sank.

Rainer Will, Chef des Handelsverbands, malt ein düsteres Bild seiner Branche. Fast jeder zweite Händler drohe heuer infolge der hohen Inflation und steigenden Energiekosten in die Verlustzone abzurutschen. An die 6000 Geschäfte stünden vor der Schließung, was das Bild vieler Innenstädte beeinträchtigen werde.

Will pocht auf einen Energiekostenzuschuss. Der Haken am bisher angekündigten Hilfspaket sei, dass nur Betriebe, deren Energiekosten drei Prozent der Produktionskosten übersteigen, gefördert würden. Damit falle, entgegen den Zusagen der Regierung, de facto kein Händler in die Regelung. Das EU-Recht sehe jedoch auch Hilfen für jene vor, deren Energierechnung sich mehr als verdoppelte. Falle der Handel unter den Tisch, drohe nachhaltiger Schaden. (Verena Kainrath, 27.9.2022)