In ihrem Gastbeitrag schreibt Beatrice Stude über eine Fahrrad-Initiative, die 2021 in Barcelona begonnen hat und nun auch in Wien angekommen ist.

8.45 Uhr freitagmorgens in Barcelona: Vor der Escola Joan Miro, einer Schule in Eixample, radeln um die hundert Menschen auf der Straße: eine Fünfjähre auf ihrem Roller, ein Elfjähriger wie auch eine Mutter, die vom Fahrrad winkt. Es ertönt ein Klingelkonzert, noch mehr Kinder und Eltern rollen auf ihren Fahrrädern vorbei, bis schließlich das Polizeiauto das Schlusslicht bildet. Jetzt übernehmen wieder die Menschen auf Mopeds, in Autos und Lkws – sie beenden die Ruhe durch Hektik mit Lärm und Gestank.

Barcelona, Hamburg – Wien?

2021 erfinden Eltern in Barcelona den Bicibus: Sie fahren gemeinsam mit ihren Kindern im Radkonvoi in die Schule, begleitet von der Polizei. Bicibus, also Fahrradbus, deshalb, weil viele Menschen auf dem Fahrrad im Verband radeln. Und das auf einer festgelegten Route mit fixen Zeiten, sodass weitere Kinder und Eltern auf dem Weg dazustoßen können. Der Radkonvoi folgt einem Fahrplan, daher der Name Bicibus.

Als Bicibus fahren Kinder und Eltern als große Gruppe durch die Straßen Barcelonas.
Foto: Beatrice Stude

Denn der Straßenverkehr ist gerade für Volksschulkinder unsicher: Die Kinder tun sich noch schwer, in einer Spur auf dem Radweg zu fahren; viele Radwege sind schmal und bieten keinen Platz fürs Überholen aufgrund schnellerer Radfahrender – vielerorts fehlen sie ganz. Generell ist der Platz ungerecht verteilt.

In Barcelona fährt der Bicibus jeden Schulfreitag. In vielen spanischen Städten gibt es mittlerweile Bicibusse, das hat auch Kinder und Eltern in anderen Städten Europas inspiriert: So startete der Bicibus in Hamburg nach den Sommerferien wieder wöchentlich. In Wien war am 22. September die Pilotausfahrt auf der dritten Bicibus-Route, dieses Mal in Hietzing. Von Favoriten nach Wieden war die erste, in Döbling die zweite Strecke, die bereits zweimal befahren wurde.

In Begleitung der Polizei

Regelwissen ist erst so richtig verankert, wenn es praktisch angewendet wird, und Radfahrkompetenz braucht Übung – und Üben geht am besten im Straßenverkehr. Dabei ist auf die Sicherheit zu achten. Der Bicibus ist die wöchentliche Einladung, gemeinsam Rad zu fahren. Die Polizei begleitet, und der Bicibus rollt auf der gesamten Fahrbahn, an Kreuzungen wird bei Rot angehalten, und bei Grün geht es weiter – bis der ganze Radkonvoi die Kreuzung überquert hat. Diese freitäglichen Radfahrten in die Schule fordern nicht nur mehr Platz für kindgerechten Straßenverkehr, sondern steigern auch die Konzentration der Kinder – wie auch der Eltern.

Mit einer halben Stunde Bewegung in der Früh können sich Kinder weitaus besser konzentrieren: Frisch und munter in der Schule ankommen wirkt sich positiv aufs Lernen aus. "Es ist wirklich interessant, dass die Bewegung, die man durch 'sich selbst zur Schule bewegen' bekommt, sich auf die Konzentrationsfähigkeit für etwa vier Stunden des Schultages auswirkt", erklärt Professor Niels Egelund von der Universität Aarhus in "Science Nordic" zu seiner Studie mit 20.000 Kindern ("The Mass Experiment 2012").

Ähnlich dürften die Eltern von gesteigerter Konzentration bei der Arbeit profitieren. Zudem ist das Mitradeln auf dieser Fahrraddemo eine Erfahrung in demokratischer Teilhabe. Und das gute Gefühl, auch als Kind schon etwas zu (kind)gerechterem Straßenverkehr beitragen zu können.

Auf dem Schulweg aufmerksam machen

Leise oder mit dem Finger an der Fahrradklingel fahren die Menschen als Bicibus durch Barcelonas Stadtviertel Eixample. Das erzeugt Aufsehen. Die Menschen in den Straßencafés schauen hinter der Zeitung hervor oder heben ihren Blick vom Handy. Eine Frau steht auf und macht Fotos, ein Mann lehnt an der Wand und lächelt. Andere hingegen trommeln auf dem Lenkrad, sie warten darauf, dass der Bicibus endlich vorbeigefahren ist. Es gab auch Widerstand und teils Hass auf die radfahrenden Kinder und ihre Eltern.

Die Stadtverwaltung ist sehr unterstützend: Der Bicibus in Eixample wird heute nur mehr mit einem Polizeiauto als Schlusslicht begleitet. Zeitweise begleitete die Polizei auch auf Motorrädern und auch wenige Male auf Fahrrädern – Letzteres wäre den Bicibus-Familien am liebsten.

Bald Montag bis Freitag

Ab Mitte Oktober wird der Bicibus in Eixample jeden Schultag rollen. Es ist der natürliche Lauf der Dinge, denn viele Familien treffen sich ohnehin jeden Morgen auf dem Fahrrad und radeln in Gruppen zur Schule. Der Bicibus fährt in Eixample sechs Schulen an und erhält tolles Feedback: Manche machten mit den Kindern Poster zum Bicibus, andere bauten die Vorteile des Radfahrens in den Unterricht ein.

Der Aufruf einer Schule war damals der Anstoß für die Gespräche unter den Eltern und den Start des Bicibus. Alles weitere folgte sehr organisch durch Mundpropaganda und Sichtbarkeit im Straßenverkehr.

Bicibus und Kidical Mass

Die Bicibus-Familien in Eixample organisieren sich über einen Telegram-Kanal, zudem haben sie auch einen Twitter-Account. Sie waren nicht die Ersten, sondern sind der dritte Bicibus in Barcelona, aber sie sind die lautesten und größten. Sie vernetzen sich auch über Barcelona hinaus. So kam beispielsweise eine Gruppe aus Köln auf Bicibus Eixample zu – durch diesen Austausch kam die Bewegung Kidical Mass nach Barcelona. Beide, Bicibus und Kidical Mass, beanspruchen Stadtraum zurück: fürs Radfahren, für die Menschen – fürs Leben!

Kontakt haben die Familien von Bicibus Eixample derzeit zu Menschen in der Türkei, in den Vereinigten Staaten in Kalifornien und Brooklyn. Letztere wollen den Bicibus in ärmeren Gegenden einsetzen und dort Stadtraum für mehr Lebensqualität zurückerobern. Gefragt nach einem Zitat für die Initiativen in Österreich, schließt Mireia Boix von Bicibus Eixample am Telefon mit folgenden Worten: "Die Freude der Kinder, die mit dem Fahrrad fahren und die Stadt für sich beanspruchen, ist einfach ansteckend, lohnt sich und ist alles wert!" (Beatrice Stude, 30.9.2022)