Reza Pahlavi (Mitte), der Sohn des 1979 gestürzten letzten iranischen Schahs, bei einem Gedenken an die verstorbene Mahsa Amini in Washington, D.C.

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Washington/Teheran/Paris – Reza Pahlavi, der Sohn des 1979 gestürzten letzten iranischen Schahs, sieht in den anhaltenden Massenprotesten gegen die Regierung in Teheran ein Vorzeichen für eine Umwälzung. "Es ist meiner Meinung nach die erste Revolution für Frauen durch Frauen", sagte der im Exil in den USA lebende Pahlavi der Nachrichtenagentur AFP. Die islamische Regierung in Teheran werde mit "hoher Wahrscheinlichkeit" nicht mehr lange im Amt sein, der Westen müsse sich darauf vorbereiten.

Er sage seit langem, dass ein Umsturz im Iran "in wenigen Wochen oder in wenigen Monaten" passieren könne, ergänzte Pahlavi. Die Welt müsse "an eine Alternative denken". Er ergänzte: "Wir müssen die hohe Wahrscheinlichkeit in Betracht ziehen, dass dieses Regime nicht mehr lange existiert." Es sollte demnach eine "kontrollierte Implosion" stattfinden, mit einem sanften, friedlichen Übergang.

Pahlavi hofft auf neues Grundgesetz

Der in einem großen Teil der iranischen Exilgemeinde respektierte Pahlavi betonte, er wolle aber nach einem Sturz der Islamischen Republik keine Rückkehr der Monarchie im Iran. Pahlavi sprach sich stattdessen für eine verfassungsgebende Versammlung aus, die dem Iran ein neues Grundgesetz geben solle. Es könne "keine echte demokratische Ordnung geben ohne eine klare Definition und Trennung von Kirche und Staat", sagte Pahlavi.

Im Umgang mit dem Kopftuch für Frauen sprach sich Pahlavi für Entscheidungsfreiheit aus. "Frauen können entscheiden, ein Kopftuch zu tragen oder nicht." Das solle aber eine "freie Entscheidung" sein und nicht "aus ideologischen oder religiösen Gründen aufgezwungen".

Atomabkommen mit Iran ein Fehler

Pahlavi äußerte zudem Bedenken über eine mögliche Wiederbelebung des 2015 abgeschlossenen internationalen Iran-Atomabkommens durch die USA, die es Teheran ermöglichen würde, wieder Erdöl auf den internationalen Märkten zu verkaufen. Die Annahme westlicher Mächte, sie könnten das iranische "Regime" mit wirtschaftlichen Anreizen dazu bringen, "wieder gute Jungs zu sein und sich zu benehmen", sei ein Fehler.

Die Islamische Republik Iran, erklärte Pahlavi, beruhe auf dem Export einer Ideologie. "Mit diesem Regime kann man nicht koexistieren", sagte er.

Persische Ex-Kaiserin ruft Westen zur Hilfe auf

Auch Reza Pahlavis Mutter meldet sich Mittwochabend zu Wort: Angesichts der Proteste im Iran hat die persische Ex-Kaiserin Farah Pahlavi den Westen aufgerufen, den Iranern zu helfen. "Der Westen kann ihnen helfen, indem er all die Schrecken erzählt, die im Iran unter diesem Regime passieren", sagte die 83-Jährige dem Sender i24News in Paris. "Ich hoffe, dass dieses Regime gestürzt wird." Die iranischen Frauen hätten von Anfang an für ihre Freiheiten und ihren Platz in der Gesellschaft gekämpft, sagte die Ex-Kaiserin. "Sie waren wirklich mutig, und es ist das erste Mal, dass wir eine so große Bewegung im Iran und in allen Städten des Iran sehen."

Die Frau des 1979 gestürzten persischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi sprach den Frauen in ihrem Land Mut zu. "Ich habe eine besondere Botschaft an die Frauen. Ich bin stolz auf sie, auf meine Landsfrauen, meine Schwestern, meine Kinder und meine Töchter. Trotz der Unterdrückung kämpfen sie und haben den Mut, sich gegen dieses Regime zu wehren." Auf eine Frage zu einer möglichen künftigen Rolle ihres in den USA lebenden Sohns Reza Pahlavi im Iran sagte sie, nach einem Umsturz müssten die Iraner selbst über ihr Schicksal bestimmen. "Mein Sohn wünscht sich eine Demokratie im Iran, territoriale Integrität, die Trennung von Religion und Macht und die Freiheit der Frauen."

Protestwelle

Am 13. September wurde im Iran die 22-jährige Mahsa Amini wegen des Vorwurfs festgenommen, ihr Kopftuch nicht den strikten islamischen Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Nach ihrer Festnahme starb sie unter ungeklärten Umständen auf der Polizeiwache. Seither gibt es im Iran jeden Abend Proteste, gegen die die Sicherheitskräfte gewaltsam vorgehen.

Nach Angaben von Aktivisten wurden bei den Demonstrationen schon mindestens 76 Menschen getötet. Das harte Durchgreifen Teherans gegen die Proteste wird international scharf kritisiert. Zuletzt hieß es, allein im Norden des Landes seien binnen zwei Tagen mehr als 1.000 Protestierende festgenommen worden.

Eltern von Amini reichten Klage gegen Polizei ein

Die Eltern der 22-Jährigen haben nun rechtliche Mittel ergriffen. Aminis Eltern hätten eine "Klage gegen die Urheber der Festnahme ihrer Tochter" sowie gegen "die Polizisten, die nach ihrer Ankunft bei der Sittenpolizei mit ihr gesprochen haben", eingereicht, sagte Rechtsanwalt Saleh Nikbacht am Mittwoch.

Die Staatsanwaltschaft und der Untersuchungsrichter seien aufgefordert worden, detailliert zu prüfen, was genau vom Moment der Festnahme bis zur Verlegung Aminis ins Krankenhaus passiert sei, erklärte der Anwalt. Nikbacht verlangte von den Behörden, "alle Videos und Fotos" zur Verfügung zu stellen, die während ihres des Aufenthalts auf der Polizeiwache gemacht wurden.

Der Leiter der Staatsanwaltschaft habe "versprochen, dass der Fall gründlich untersucht werde und alle unsere Anliegen berücksichtigt werden", sagte der Anwalt. Ein von Aminis Familie ernanntes medizinisches Team solle über den Verlauf der Ermittlungen informiert werden.

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Irans Präsident Raisi sieht Verschwörung

Irans Präsident Ebrahim Raisi hat die regierungskritischen Proteste, die Aminis Tod ausgelöst haben, als Verschwörung gegen die Führung des Landes bezeichnet. "Das sind Verschwörungen der Feinde gegen Irans Führung, weil sie sich von der Dominanz, dem Einfluss und Fortschritt des Systems bedroht fühlen", sagte er am Mittwoch. Die neue Generation solle über diese Dominanz aufgeklärt werden und – anstatt zu protestieren – stolz auf diese Errungenschaften sein, so Raisi laut Webportal des Präsidialamts.

Das Internet im Iran bleibt weiter eingeschränkt. Die Beschränkungen seien wegen "Randale" angeordnet worden und blieben "so lange wie notwendig auch bestehen", sagte Telekommunikationsminister Issa Sarepur.

Die Polizei kündigte wiederum ein verschärftes Vorgehen gegen die Demonstrierenden an. Die Beamten würden sich den Protesten "mit aller Kraft" entgegenstellen, erklärte die iranische Polizeiführung. "Heute versuchen die Feinde der Islamischen Republik des Iran und einige Randalierer, die Ordnung, Sicherheit und das Wohlergehen der Nation unter jedem Vorwand zu stören." Die Polizeibeamten würden "sich den Verschwörungen der Konterrevolutionäre und feindlichen Elemente mit aller Kraft entgegenstellen" und "entschieden gegen diejenigen vorgehen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit" im Land störten.

Tochter von Ex-Präsident Rafsanjani verhaftet

Auch Faezeh Hashemi, die Tochter des einflussreichen iranischen Ex-Präsidenten Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, in Gewahrsam genommen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Tasnim wurde Hashemi wegen Unterstützung der Frauenproteste in der Hauptstadt Teheran "verhaftet". Sie hatte laut Tasnim versucht, Frauen zur Teilnahme an den Protesten zu motivieren, was derzeit strafbar ist.

Faezeh Hashemi, Tochter des Ex-Präsidenten Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, wurde festgenommen. Das Bild stammt von 2016.
Foto: APA/AFP/ATTA KENARE

Die 59 Jahre alte Hashemi gehört schon seit Jahren zu den Kritikern des islamischen Systems. Die ehemalige Abgeordnete und Frauensportfunktionärin steht daher auch auf einer sogenannten schwarzen Liste des Systems und wurde auch bereits mehrmals festgenommen. Hashemi war als Frauenaktivistin stets gegen den Kopftuchzwang, obwohl sie selbst eines trägt. Sie war auch Herausgeberin der Tageszeitung "San" (Frau), die jedoch wegen der feministischen Ansichten 1999 schließen musste.

Europäische Ministerinnen fordern Ende der Gewalt

Die für Europa, Außenpolitik und Justiz zuständigen EU-Ministerinnen und Staatssekretärinnen aus elf Staaten, darunter Österreichs EU-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), haben indes ihre "tiefste Empörung" über Aminis Tod zum Ausdruck gebracht. In einer gemeinsamen Erklärung vom Mittwoch forderten sie den Iran auf, die Gewalt gegen friedliche Proteste zu stoppen. "Es ist unerträglich, dass eine Frau wegen ihrer Kleidung ihr Leben verliert", betonten sie. Außerdem müsse das Demonstrations- und Versammlungsrecht gewahrt bleiben. "Wir missbilligen die gewaltsame Niederschlagung, die den mutigen Demonstrationen entgegengesetzt wurde."

Die Erklärung wurde von Ministerinnen und Staatssekretärinnen aus Österreich, Frankreich, Rumänien, Liechtenstein, Lettland, Belgien, Deutschland, Kroatien, Litauen, Finnland und Ungarn sowie von der Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer, unterzeichnet. (APA, dpa, 28.9.2022)