Forschende bezweifeln, dass sich viel Plastik in den Meeren mit einfachen Netzen herausfischen lässt.

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Das Video, das die NGO The Ocean Cleanup kürzlich zu ihrer Arbeit veröffentlichte, erzählt eine triumphale Geschichte: von Hightech-Drohnen, die riesige Plastikteppiche auf den Meeren ausfindig machen, von gewaltigen Netzen, die den Müll bis zum letzten Teil einfangen, und von mächtigen Frachtern, die die Müllbeute an Deck hieven. Was bleibt, sind saubere Meere und ein Sieg der Technologie über ein riesiges Abfallproblem des Menschen, so die Botschaft.

Mit fortschrittlicher Technologie möchte The Ocean Cleanup das Plastikmüllproblem lösen.
The Ocean Cleanup

Seit vergangenem Jahr habe man insgesamt hundert Tonnen Plastik vom Großen Pazifischen Müllteppich gesammelt, teilte The Ocean Cleanup kürzlich mit. Laut der NGO handle es sich bei dem schwimmenden Müllteppich um eine 1,6 Millionen Quadratkilometer große Fläche – in etwa viermal so groß wie Deutschland – auf der insgesamt 42.000 bis 129.000 Tonnen Plastik treiben. Darunter befinden sich Teile von Fischernetzen und anderen Plastikteilen aus der Fischerei, Zahnbürsten, Feuerzeugen, Wasserflaschen, Stiften, Plastiksackerln oder Handys, die zum Teil bereits mehr als 50 Jahre alt seien. Durch die Strömung des Nordpazifikwirbels sammeln sich die Teile in dieser Region besonders an.

Pac-Man gegen Plastikmüll

Nun verspricht The Ocean Cleanup, dass man mit der Technologie künftig noch weitaus mehr Plastik aus den Ozeanen fischen könnte. Würde man zehn dieser Pac-Man-Systeme einsetzen, wie die NGO ihr Plastiksammelsystem nennt, könnte das Plastikproblem in den Meeren deutlich reduziert werden. Bis 2040 will man 90 Prozent des Plastikmülls aus den Ozeanen beseitigen. Bald danach soll das Plastikproblem endgültig gelöst sein.

Laut The Ocean Cleanup treibt vor allem Plastikmüll aus der Fischerei im Großen Pazifischen Müllteppich.
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Doch viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter zweifeln an diesen Versprechen. Ihr Einwand beginnt schon bei der Beschreibung des Großen Pazifischen Müllteppichs. Denn entgegen der gängigen Vorstellung sei dieser Müllteppich keine Ansammlung einer riesigen Müllinsel mit schwimmenden Plastikteilen. Stattdessen sei er eher mit einer Suppe vergleichbar, in der extrem viele kleine Teile schwimmen.

Mikroplastik in den Ozeanen

Diese winzigen Plastikteile seien oftmals weder durch Satelliten zu sehen noch von Menschen, die direkt im Wasser schwimmen oder dort tauchen würden. Denn die Plastikstücke sind oftmals kleiner als Erbsen, in vielen Fällen sogar nur unter dem Mikroskop sichtbar und treiben nicht an der Wasseroberfläche, sondern darunter. Zudem seien die Plastikteile oftmals auf einer riesigen Fläche verteilt und können auch nicht mit einfachen Netzen eingesammelt werden.

Das mache eine Sammelaktion, wie sie etwa The Ocean Cleanup betreibt, ineffizient und teuer, so die Kritik. Lediglich ein Prozent des Plastiks, das in den Ozeanen landet, schwimmt am Ende in einem der großen Müllteppiche, der Rest könnte sich etwa am Meeresboden befinden oder in Form winziger kleiner Teile unter der Wasseroberfläche schwimmen. Selbst wenn die Sammelaktionen effizienter würden, würde das kaum etwas am generellen Plastikmüllproblem in den Meeren lösen, sagen einige Wissenschafterinnen und Wissenschafter.

Meereslebewesen eingefangen

Und nicht nur das: Einige Meeresbiologinnen und -biologen fürchten zudem, dass in den Netzen, mit denen The Ocean Cleanup das Plastik in den Meeren einsammelt, auch Fische, Schildkröten und andere Meereslebewesen gefangen und Organismen an der Meeresoberfläche geschädigt werden. Zudem verbrauchen die Schiffe der Organisation viel Treibstoff, was wiederum den Klimawandel und die Luftverschmutzung antreibe.

Die NGO bestreitet die Vorwürfe. Die Netze, die man einsetze, seien nicht mit Fischernetzen vergleichbar. Sie würden nur sehr wenig weit ins Wasser reichen und würden sehr langsam gezogen, sodass Fische unten durchschwimmen können. Zudem gebe es Öffnungen, durch die die Tiere entkommen können, sollten sie gefangen werden, heißt es vonseiten The Ocean Cleanup.

Video sorgt für Aufregung

Schon Anfang des Jahres sorgte ein auf Twitter veröffentlichtes Video der NGO für Aufregung unter Wissenschafterinnen und Wissenschaftern. Darin zeigte die NGO ein großes Netz, aus dem mehrere Tausend Kilogramm an Plastikmüll an Deck eines Schiffes entladen werden, darunter Plastikkörbe, Fischernetze und Bojen. Laut dem Unternehmen habe man diesen Müll gerade aus dem Großen Pazifischen Müllteppich gezogen.

Einige Meeresbiologen bezweifelten das jedoch und bezeichneten das Video als inszeniert. Das Plastik sei zu sauber, als dass es schon seit einiger Zeit in den Ozeanen treiben könne. Es müssten sich etwa schon mehr Algen an den Materialien festgesetzt haben. Laut The Ocean Cleanup fehle es in dem Wasser an Nährstoffen, wodurch das Plastik sauberer aussehe. Einige Biologinnen und Biologen zweifelten jedoch auch dieses Argument an.

Verbrauch reduzieren

Unabhängig von den wiederkehrenden Gefechten bleibt die zentrale Kritik vieler Wissenschafterinnen und Wissenschafter an der NGO bestehen: An der Wurzel des Problems, nämlich unserer starken wirtschaftlichen Abhängigkeit von Plastik, ändere der Ansatz wenig. Stattdessen müssten zuallererst Unternehmen beginnen, den Verbrauch von Einwegplastik zu reduzieren.

Zudem könne Müll effizienter und kostengünstiger entlang der Küsten und in den Flüssen eingesammelt werden. Studien zufolge gelangt 80 Prozent des Plastiks über mehr als tausend Flüsse in die Meere. Es gebe bereits einige relative einfache Lösungen, das Plastik dort aufzufangen, bevor es in den Ozean gelangt, sagen Forschende.

Kleiner Baustein

Laut The Ocean Cleanup wisse man, dass man nur ein sehr kleiner Baustein in der Bekämpfung des Plastikmüllproblems sei. Es gehe auch darum, überhaupt weniger Plastikmüll zu produzieren, weniger Plastik in die Meere zu werfen und unseren Umgang mit Plastik weltweit zu überdenken. Zudem arbeite man auch bereits mit Auffangsystemen in Flüssen.

Nichtsdestotrotz wolle man auch mit dem Einsammeln des Plastiks in den Meeren weitermachen. Denn dieses Plastik gefährde weiterhin Meereslebewesen und das ökologische Gleichgewicht, heißt es vonseiten der NGO. Von einem System, das wie Pac-Man die Meere säubert, ist man aber wohl noch ein Weile entfernt. (Jakob Pallinger, 23.10.2022)