Als Russland kürzlich nahe der finnischen Grenze begann, große Mengen Erdgas zu verbrennen, war die Verwunderung groß. Es ging immerhin um Gas im Wert von über zehn Millionen Dollar täglich, das nur 15 Kilometer neben der Grenze in Flammen aufging. Das weithin sichtbare Feuer sorgte für Rätselraten, dabei ist das Bild von rund um die Uhr brennenden Erdgasflammen in der Ölförderung ganz normal. Der Grund dafür: Die Gesteinsschichten, in denen Ölvorkommen lagern, enthalten in der Regel auch Gas, das bei der Förderung an die Oberfläche kommt. Die Mengen sind auch hier erheblich.

"Flaren" nennt man das kontrollierte Abbrennen von Erdgas, das aus wirtschaftlichen Gründen nicht genutzt wird.
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Erdgas einfach abzufackeln erscheint angesichts der aktuellen Knappheit besonders paradox. Aus wirtschaftlichen Gründen wird auf die Nutzung des Gases bei der Ölförderung dennoch oft verzichtet. Laut Angaben der Internationalen Energieagentur IEA wurden allein 2019 143 Milliarden Kubikmeter Gas auf diese Weise verbrannt – das ist so viel wie die Menge Gas, die Deutschland, Frankreich und die Niederlande in einem Jahr importieren.

Trotz der damit verbundenen und angesichts der sich anbahnenden Klimakatastrophe immer schwerer verständlichen Verschwendung ist das Verbrennen gegenüber dem Entweichen des Gases das geringere Übel: Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, sorgt kurzfristig für 80-mal stärkeren Treibhauseffekt als CO2. Insgesamt ist Methan fast für die Hälfte der bisherigen Erderwärmung verantwortlich, obwohl es nur drei Prozent der ausgestoßenen Treibhausgase ausmacht.

Ein Drittel der Methanemissionen geht auf das Konto der Energiewirtschaft – sei es durch leckgeschlagene Pipelines, die derzeit im Fokus stehen, aber in kleinerem Ausmaß kein neues Phänomen sind, oder durch absichtliches Freisetzen von Methan in die Atmosphäre. Das ist so normal, dass es sogar einen Namen hat: "Venting".

Methan entweicht trotzdem

Nun hat eine an der Universität Bern durchgeführte Studie eine weitere Quelle von Methan ausgemacht. Sie zeigt, dass das "Flaren" von Erdgas, wie das Verbrennen genannt wird, nicht verlässlich funktioniert und mehr Methan freigesetzt wird, als offiziell erfasst wird. Nur 91 Prozent des in der Erdölförderung anfallenden Erdgases werden tatsächlich verbrannt, neun Prozent gelangen in die Atmosphäre. Damit sind die Methanemissionen in diesem Bereich fünfmal höher als bisher angenommen. Dieses Ergebnis wurde nun im Fachjournal "Science" publiziert.

Dazu betrachteten die Forschenden die USA und führten Messungen an mehr als 300 Abgasfahnen durch, teilweise von Flugzeugen aus. In Kombination mit Messungen am Boden und Satellitendaten erlaubte das eine verlässliche Abschätzung der Methanemissionen durch Abfackeln und Lecks in den Vereinigten Staaten. Diese Daten nutzt das Forschungsteam zur Berechnung des globalen Ausstoßes.

Ein Flare bei einer Gasförderanlage im US-amerikanischen Louisiana.
Foto: AP Photo/Martha Irvine

Es ist das erste Mal, dass Methanemissionen bei der Ölförderung in dieser Genauigkeit erfasst werden. "Die Studie setzt einen neuen Standard in der Abschätzung der Methanemissionen durch Abfackeln und Lecks der Ölindustrie", sagt Fortunat Joos, Experte für Erdsystemmodellierung an der Universität Bern. Bisher hätten Regierungen und die Industrie angenommen, dass nur zwei Prozent des Methans aus Lecks nicht in CO2 umgewandelt wird.

"Grünes" Gas

Nachdem "natural gas, wie es im englischsprachigen Raum genannt wird, lange als vergleichsweise klimafreundliche Alternative zu den mehr CO2 produzierenden fossilen Brennstoffen Öl und Kohle angepriesen wurde und von der EU als "Brückentechnologie" und sogar als klimafreundlich eingestuft wurde, zeigt sich zunehmend, dass die etwas bessere CO2-Bilanz nur einen Teil der Gesamtsituation abbildet. Bereits im Februar hatte eine im Fachjournal 2Science" veröffentlichte Studie aufhorchen lassen, als Forschende mithilfe von Satellitendaten 1.800 Methanquellen mit einem Ausstoßvolumen von mehr als 25 Tonnen pro Stunde identifizierten. Die größten davon stammten aus dem Umfeld der Öl- und Gasindustrie, allen voran in den Staaten Russland, Turkmenistan, den USA, dem Iran, Kasachstan und Algerien.

Eine Reduktion des Abfackelns und Nutzung des Gases würde die Situation entschärfen und Emissionen von Methan und CO2 einsparen, heißt es aus Fachkreisen. Allein von Letzterem fallen beim Flaring jährlich immerhin 270 Megatonnen an.

Der Experte Joos hat aber eine noch weitergehende, bereits bekannte Empfehlung: "Der fortlaufende Ersatz fossiler Energieträger und mittelfristig ein Verbot für die Verbrennung von Kohle, Erdgas und Öl ist die beste Strategie, um die globale Klimaerhitzung zu verlangsamen und ihre katastrophalen Folgen zu begrenzen." Dazu komme der Vorteil der Reduktion geopolitischer Abhängigkeiten durch eine Verstärkung der nationalen Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien. (Reinhard Kleindl, 30.9.2022)