Der Wolf beschäftigt Tirol.

Foto: APA / AFP / Olivier Marin

Innsbruck/Brüssel – Das Tiroler Landesverwaltungsgericht (LVwG) ist auf Ansuchen der Behörde mit vier Fragen zur Rechtsauslegung der EU-Regelung zu Wölfen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) herangetreten. Für Agrarlandesrat Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) bleibt eine Änderung besagter Regelung – der über 30 Jahre alten Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) – das politische Ziel. Indes wurden aktuelle Wolfsabschussbescheide vom Gericht erneut gestoppt.

Bis zur Änderung der FFH-Richtlinie brauche man aber "einige rechtliche Klarstellungen", so Geisler in einer Aussendung am Donnerstag. Mit einer Entscheidung des EuGH sei nämlich erst in etwa eineinhalb Jahren zu rechnen. "Bis dahin werden wir weiterhin alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und nichts unversucht lassen, um die Almwirtschaft zu erhalten und die Tierhalter bestmöglich zu unterstützen", sicherte Geisler zu. Dies werde auch ein "zentraler Punkt der Koalitionsverhandlungen sein".

Ausnahmen vom Schutzregime

Konkret geht es bei den gestellten Fragen zum einen um den Gleichheitsgrundsatz. Denn in einigen europäischen Ländern, wie etwa Estland, Lettland, der Slowakei oder Polen, sind Wölfe vom strengen Schutzregime der FFH-Richtlinie ausgenommen. "Als Österreich 1995 der EU beigetreten ist, war der Wolf bei uns noch weit weg, weshalb wir keine Ausnahmeregelungen haben", argumentierte Geisler.

Weiters stünde die Frage nach dem "günstigen Erhaltungszustand" im Raum. "Der Wolf kennt keine Grenzen", pochte der Agrarlandesrat mit Verweis auf eine Arge-Alp-Initiative auf eine länderübergreifende Betrachtung der Population. Aus fachlicher Sicht habe die Tierart Wolf in Europa insgesamt und auch in den einzelnen biogeografischen Regionen wie in den Alpen einen günstigen Erhaltungszustand erreicht. Im Alpenraum gehe man derzeit etwa von 200 Rudeln aus.

Abschuss von "Problemwölfen"

Die zwei weiteren Vorabentscheidungsfragen des LVwG beträfen die Definition von Schäden sowie die Prüfung von Alternativen zum Abschuss sogenannter Problemwölfe. So soll hinsichtlich der Schützbarkeit von Almen etwa geklärt werden, ob in der Bewertung neben der rein technischen Machbarkeit auch wirtschaftliche Kriterien eine Rolle spielen.

Am Dienstag – drei Tage vor Auslaufen der Abschussgenehmigungen – stoppte das LVwG übrigens erneut mögliche Abschüsse von insgesamt vier Wölfen in Osttirol. Das Gericht erteilte den Einsprüchen der Naturschutzorganisation WWF und des Ökobüro eine aufschiebende Wirkung. Es hob die Bescheide aber nicht auf und entschied auch nicht inhaltlich über die Zulässigkeit der Abschussgenehmigungen. Es werde keine finale Entscheidung geben, bis das Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH abgeschlossen sei, wurde betont.

"Herdenschutzoffensive" gefordert

Der WWF nahm die aktuellen Entwicklungen zum Anlass, einen "Kurswechsel der künftigen Tiroler Landesregierung" zu fordern. Der "Kurs der rechtswidrigen Abschussforderungen" sei "mehrfach gescheitert" und habe in der Praxis nicht zu Verbesserungen geführt. Stattdessen müsse nun eine "umfassende Herdenschutzoffensive" im neuen Regierungsprogramm verankert werden. Bevor ein Wolfsabschuss zulässig ist, schreibe europäisches Recht den "Einsatz gelinderer Mittel" vor, darunter insbesondere fachgerechte Herdenschutzmaßnahmen, argumentierte der WWF.

Das Büro von Landeshauptmann-Stellvertreter Geisler verwies daraufhin auf APA-Nachfrage auf vier Herdenschutzpilotprojekte auf Almen in den Jahren 2021/22 und Landesförderungen für wolfsabweisende Elektrozäune. 2020/21 habe man über 210 Kilometer Zaun mit rund 300.000 Euro unterstützt. Insgesamt sei rund eine Million Euro Landesgeld in den Herdenschutz geflossen.

Gerissene Tiere

Bereits am Montag hatte es in der Causa Wolf einen Vorstoß vonseiten der Bundesregierung auf europäischer Ebene gegeben. ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig hatte am Rande eines Treffens mit seinen Amtskollegen in Brüssel eine Überarbeitung der FFH-Richtlinie gefordert. Diese biete zwar die Möglichkeit, sogenannte Problemwölfe "zu entnehmen", aber in der "Vollziehung dieser Ausnahmebestände" gebe es Probleme, so die Kritik des Ministers. Der Vollzugsspielraum sei in der EU-Regelung "zu eng definiert".

In diesem Jahr waren übrigens bisher 17 unterschiedliche Wolfsindividuen und zwei Bären im Bundesland nachgewiesen worden. Im heurigen Almsommer wurden bis dato 300 Schafe gerissen und 50 weitere verletzt. 200 Schafe galten als vermisst. Dazu kamen 20 tote Ziegen und ein totes Rind. Etwa 25 Schafe fielen Bären zum Opfer. (APA, 29.9.2022)