"Ich hatte das Gefühl, ich müsste mir meinen Platz in der Gesellschaft erarbeiten", sagt Julia Moser.

Heribert Corn

Vermutlich hätte nie jemand von Julia Moser erwartet, dass sie einmal eine Führungsposition einnehmen würde. Doch nun leitet sie die NGO Licht für die Welt, die sich für Augengesundheit und Inklusion einsetzt, und lebt vor, was alles mit einer Behinderung möglich ist. Mit dem STANDARD hat sie über ihre Erfahrungen gesprochen und darüber, was sie ihren Kindern mit auf den Weg geben würde.

STANDARD: Wie haben Sie erfahren, dass Ihr Leben von einer Behinderung begleitet sein wird?

Moser: Es ist schrittweise erfolgt. Die Ärzte haben mir auch gleich – ungefragt – Prognosen geliefert: Du wirst nicht sprechen lernen, nicht in die Schule gehen, keine Familie und keinen Job haben. Ich war ein Kindergartenkind, vier Jahre alt, als die Schwerhörigkeit diagnostiziert wurde. Und zu Beginn der Pubertät wurde festgestellt, dass eine Erkrankung der Augen vorliegt, die progressiv voranschreitet.

STANDARD: Wie haben Sie auf diese vernichtenden Prognosen reagiert?

Moser: Das war für mich eine Hiobsbotschaft. Ich verstand nicht, warum ich aus dem Leben ausgeschlossen werden sollte. Ich hatte Glück, dass meine Eltern das genauso sahen. Sie ermöglichten mir, eine öffentliche Schule zu besuchen.

STANDARD: Gingen Sie in Ihrer Schulzeit offen mit Ihrer Behinderung um?

Moser: Nein. Ich versteckte sie. Ich hatte Angst, ansonsten am Rand der Gesellschaft zu stehen. Ich dachte: Wenn ich mittendrin bleiben möchte, dann muss ich so tun, als wäre ich wie alle anderen. Das hat auch gut funktioniert. Sehr lange. Aber es kostete mich viel Anstrengung. Trotzdem ging ich sehr gern in die Schule. Ich habe Bildung immer als Schlüssel zu meiner Zukunft gesehen. Denn Bildung bedeutet Unabhängigkeit und dass man für sich selbst sorgen kann.

STANDARD: Sie studierten in England und Wien Sprach- und Rechtswissenschaften. Wie ging es Ihnen dabei?

Moser: Ich hatte das Gefühl, ich müsste mir meinen Platz in der Gesellschaft erarbeiten. Das hatte zur Folge, dass ich dreifach so hart arbeitete wie andere.

STANDARD: Als Juristin haben Sie nur kurz in einer Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet. Wieso?

Moser: Ich wollte nicht ewig in diesem Feld bleiben. Von dem Bereich Inklusion hielt ich mich damals absichtlich fern. Dann wurde ich Mutter und fragte mich: Wofür will ich mich einsetzen? Ich lernte den Gründer des Unternehmens My Ability kennen, die sich für einen inklusiven Zugang zum Jobmarkt einsetzen. Durch ihn angeregt – er selbst lebt auch mit einer Behinderung – überdachte ich zum ersten Mal mein Versteckspiel. Denn wenn ich selbst nicht zeige, was ich brauche, kann ich auch nicht von anderen einfordern, auf mich ein zugehen. Mittlerweile gehe ich offen damit um und habe nie negative Erfahrungen gemacht. Ich startete bei My Ability – als Beraterin, dann als Chefin für Inklusion.

STANDARD: Wie organisieren Sie den beruflichen Alltag?

Moser: Ich nutze technische Unterstützungen wie ein digitales Mikrofon bei Meetings und hohen Kontrast bei meinem Bildschirm. Für bestimmte Situationen habe ich eine persönliche Assistenz. Zum Beispiel hilft sie mir, auf Netzwerkveranstaltungen Gesichter zu erkennen, und sie begleitet mich auf meine Reisen in unsere Partnerländer. Sie leiht mir quasi ihre Augen und Ohren. Persönliche Assistenz ist ein wichtiges Instrument für Inklusion im Beruf. Leider muss man jährlich erneut um diese Unterstützung ansuchen. Und auch in diesem Bereich herrscht Fachkräftemangel. Was stark an den niedrigen Gehältern liegt, die vom Staat bezahlt werden.

STANDARD: Sie haben selbst Kinder. Wenn Sie ihnen einen einzigen Rat geben dürften, welcher wäre das?

Moser: Lass dir nicht von anderen sagen, was du kannst oder nicht kannst. Hab Vertrauen zu dir selbst und deinen Fähigkeiten. (Natascha Ickert, 3.10.2022)