Müssen Ärztinnen und Ärzte noch einmal überprüfen, ob das Pflegepersonal das richtige Medikament vorbereitet hat?

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Die Medikamente "Adrenalin" und "Noradrenalin" klingen zum Verwechseln ähnlich, in der Praxis sollten sie jedoch keinesfalls vertauscht werden. Genau das passierte im Frühjahr 2020 in einem Krankenhaus in der Steiermark: Eine Krankenpflegerin hatte einer Ärztin das falsche Medikament vorbereitet. Die behandelte Patientin kam dadurch in Lebensgefahr und konnte gerade noch gerettet werden.

Nach dem Vorfall sprach das Spital gegenüber der Ärztin die sofortige Entlassung aus. Ihr sei ein "fataler und untolerierbarer Fehler unterlaufen", weil sie das Vier-Augen-Prinzip verletzte. Aber dürfen sich Ärztinnen und Ärzte nicht auf das Pflegepersonal verlassen? Und selbst wenn ein Fehler passiert: Rechtfertigt ein einmaliger Ausrutscher gleich die Entlassung? Die Ärztin ging rechtlich gegen das Spital vor – und hat nun vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) recht bekommen (OGH 28.8.2022, 9 ObA 75/22b).

Keine Prüfpflicht

Die betroffene Patientin hatte im Krankenhaus einen schweren allergischen Schock erlitten. Die Ärztin beauftragte eine Krankenpflegerin deshalb telefonisch damit, neben anderen Medikamenten eine Ampulle mit "1 mg Adrenalin" vorzubereiten. Die Pflegerin verstand jedoch "Noradrenalin". Als die Pflegerin der Ärztin die Spritze übergab, verabreichte diese der Patientin das Medikament, ohne den Inhalt der Ampulle noch einmal zu kontrollieren.

Aber rechtfertigt das schon die Entlassung? Der OGH nahm den aktuellen Fall zunächst zum Anlass, um grundsätzliche Fragen klarzustellen: Bestimmte Tätigkeiten – etwa das Vorbereiten oder die Verabreichung von Injektionen – können Ärztinnen an diplomiertes Pflegepersonal abgeben. Die Pflegerinnen und Pfleger dürfen also eigenverantwortlich arbeiten. Ärztinnen und Ärzte müssen nicht noch einmal überprüfen, ob das Medikament richtig vorbereitet wurde.

Spezielle Situation

Im aktuellen Fall ist laut dem Höchstgericht allerdings eine spezielle Situation eingetreten: Die Ärztin hatte vor Verabreichung der Ampulle die Aufschrift "1 mg pro ml" gelesen. Da sie wusste, dass sich in der Ampulle insgesamt fünf Milliliter befanden, hätte sie erkennen können, dass es sich dabei nicht um ein Milligramm Adrenalin verdünnt auf fünf Milliliter handeln konnte. Im aktuellen Fall hätte die Ärztin den Fehler also erkennen müssen.

In der Frage, ob ihre sofortige Entlassung zulässig war, gaben die Richterinnen und Richter aber dennoch der Ärztin recht. Es habe sich um eine "einmalige Nachlässigkeit" in einer Notsituation gehandelt. Das Krankenhaus habe nicht davon ausgehen müssen, dass die Ärztin ihren Pflichten künftig nicht mehr zuverlässig nachkommen würde. Zudem war ihr in der Vergangenheit kein ähnlicher Fehler unterlaufen.

Das Krankenhaus hätte die Ärztin daher nicht sofort entlassen, sondern zumindest bis zum nächsten Kündigungstermin weiter beschäftigen müssen. Ihr entgangenen Gehalt muss das Krankenhaus der Ärztin nun nachbezahlen. (Jakob Pflügl, 30.9.2022)