Wenn alles nach Plan verläuft, ist die MiCA-Verordnung im zweiten Quartal 2024 anwendbar.

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Als erste große Wirtschaftregion möchte die EU den Markt für Kryptowährungen regulieren. Dafür haben sich Vertreter des EU-Parlaments und der EU-Länder auf ein Regelwerk mit dem Namen "Markets in Crypto Assets" (MiCA) bereits im Sommer geeinigt. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt der Anwalt und Kryptoexperte Oliver Völkel, warum die Regulierung Kryptodienstleistern viel abverlangt und welche Hürden bei MiCA zu beachten sind. Besonders stark von den Änderungen profitieren dürften seiner Meinung nach etablierte Kredit- und Finanzinstitute.

STANDARD: Sie haben im Rahmen der heurigen Tagung der Digital Asset Association Austria (DAAA) gemeint, dass der nächste logische Schritt "eine behutsame Regulierung des Marktes" sei. Trifft das Ihrer Ansicht nach auf die MiCA-Verordnung der EU zu?

Völkel: Das hängt davon ab, aus welcher Perspektive man das betrachtet. Aus dem Blickwinkel des Bank-, Finanz- und Kapitalmarktrechts, wo es seit zwei Jahrzehnten eine ziemlich starke Regulierung gibt, ist die Regulierung mit MiCA durchaus in Ordnung. Aus dem Blickwinkel von Kryptodienstleistern, die überhaupt erst mit Jänner 2020 einem Aufsichtsregime unterstellt worden sind, die also bis vor kurzem noch gar keine Verpflichtungen hatten, ist die MiCA-Verordnung natürlich viel. Aber sie ist durchaus sachgerecht.

STANDARD: Die EU sprach nach der Einigung auf MiCA von einem "Ende des Wilden Westens" für die Kryptobranche. Stellt das im Umkehrschluss aber nicht auch einen Nachteil für den Wettbewerbsstandort Europa dar, solange der Rest der Welt nicht mitzieht?

Völkel: Man kann auf der einen Seite sagen, dass Regulierung schwarze Schafe vom Markt abhält. Auf der anderen Seite kann eine Überregulierung natürlich auch Innovation am Markt verhindern oder sogar zerstören. Sorgen machen würde ich mir aber keine. Die europäischen Aufsichtsbehörden sind recht gut darin zu verhindern, dass internationale Player zu viel Werbung auf dem Markt betreiben, wenn sie nicht nach den Regeln spielen.

Dass es einen besonderen Wettbewerbsvorteil für nicht in Europa ansässige Unternehmen gibt, glaube ich nicht. Ganz im Gegenteil, mittelfristig werden wohl diejenigen im Vorteil sein, die sich der europäischen Gesetzgebung anpassen: Damit bekommt man Zugang zu einem sehr großen Markt, und es ist zudem sehr wahrscheinlich, dass sich andere Rechtsordnungen etwas von den europäischen abschauen werden. Das, was Europa wirklich gut exportieren kann, ist Regulierung.

STANDARD: Rückblickend betrachtet: Hätte MiCA europäische Anlegerinnen vor dem Zusammenbruch von Terra schützen können?

Völkel: Wenn man davon ausgeht, dass MiCA schon in Kraft gewesen wäre, dann hätte der Emittent ein Whitepaper erstellen und erklären müssen, wie sein Ökosystem funktioniert und wie der dahinterliegende Mechanismus funktioniert, damit der Stablecoin auch stabil bleibt. Was die inhaltlichen Anforderungen an das Whitepaper betrifft, kann man es ein bisschen damit vergleichen, was in Kapitalmarktprospekten stehen muss, wenn man Finanzinstrumente emittieren möchte.

Was es also bei Terra gegeben hätte, wäre ein etwas ausführlicheres Whitepaper, das den Hinweis zu den Risiken beinhaltet hätte. Ob die Anlegerinnen das dann auch gelesen hätten, steht freilich auf einem anderen Blatt.

STANDARD: Einen wirklichen Schutz kann MiCA also gar nicht leisten, sondern nur eine Verpflichtung, die Anlegerinnen besser zu informieren?

Völkel: Das Ziel der gesamten Kapitalmarktregulierung – da würde ich MiCA dazuzählen, auch wenn sie keine Finanzinstrumente betrifft – ist, die Eigenverantwortung immer noch in den Mittelpunkt zu stellen. Das Informationsungleichgewicht, das zwischen Emittent und Anleger besteht, muss ausgeglichen werden. Über das Whitepaper hinaus wird es also keine Versicherung geben, die beispielsweise einspringt, wenn ein Stablecoin auf dem Markt abstürzt.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Auswirkungen von MiCA auf Stablecoins?

Völkel: Am Beispiel des Pilot-Regimes, das Teil des Finanzpakets ist, zu dem auch die MiCA-Verordnung gehört, konnte man bereits feststellen, dass die gesamte Regulierung auf die bestehende Finanzindustrie zugeschnitten ist. Das trifft auch auf MiCA zu, weil sich Emittenten von Stablecoins oder wertreferenzierten Tokens oder E-Geld-Token bei den Aufsichtsbehörden zwar registrieren und lizenzieren lassen müssen. Das gilt aber nicht für Finanzinstitute.

Meine persönliche Vermutung ist daher, dass die Regulierung, die jetzt für wertreferenzierte Token und E-Geld-Token vorgesehen ist, dazu führt, dass bestehende Token an Bedeutung verlieren werden. Gleichzeitig werden wir zunehmend Finanzinstitute sehen, die eigene Token auflegen und von Beginn an "fully compliant" sind. MiCA ist nicht für Kryptodienstleister geschaffen worden, sondern für etablierte Kredit- und Finanzinstitute, die in einem regulierten Rahmen selbst Token- und Krypto-Assets anbieten können. Das sollte sich die bestehende Finanzindustrie genau ansehen.

STANDARD: Wo sehen Sie die größten Hürden für die Umsetzung der MiCA-Verordnung, wenn sie einmal beschlossen worden ist?

Völkel: Man darf einerseits nicht vergessen, dass die Kryptobranche noch jung und schon sehr gefordert mit den "einfachen" Bestimmungen zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ist. Noch mehr Regulierung macht es der Branche bestimmt nicht leichter. Andererseits wird bei sehr fundamentalen Fragen ersichtlich, dass man möglicherweise nie in den Anwendungsbereich von MiCA kommen könnte.

STANDARD: Greift die MiCA-Verordnung zu kurz?

Völkel: Die MiCA hat ganz klar bestimmte Phänomene vor Augen, die sie regulieren möchte. Dazu gehören Token-Offerings und Stablecoins. Und auch solche Token, die vorgeben, eine Verbindung zu einem Basiswert zu haben. Dabei stellt sich die Frage, ob das überhaupt etwas ist, das man neu regulieren hätte müssen, weil die bestehende MiFID-II-Verordnung ohnehin vorgibt, welche Anforderungen Finanzinstrumente erfüllen müssen. In gewissen Punkten wird das dazu führen, dass es neue Unklarheiten bei der Auslegung geben wird.

STANDARD: Wie schätzen Sie den gegenwärtigen Fahrplan von MiCA ein? Glauben Sie, dass er eingehalten werden kann?

Völkel: Ein Punkt ist noch offen, der derzeit gerade debattiert wird. Wenn sich eine baldige Einigung dazu findet, würde ich vermuten, dass der finale Text in den nächsten Wochen fertig ist und dass MiCA dann auch beschlossen wird. Dementsprechend rechne ich damit, dass die Verordnung dann im zweiten Quartal 2024 anwendbar ist, weil die beschlossene Vorlaufzeit 18 Monate beträgt. Es ist davon auszugehen, dass das auch eingehalten wird. (Benjamin Brandtner, 3.10.2022)