Autorinnen und Autoren freuen sich üblicherweise, wenn ihre Werke auch nach längerer Zeit noch gelesen werden. Bei manchen Kandidaten für die Präsidentenwahl am 9. Oktober könnte das anders sein: Sie pflegen im Wahlkampf das Image, das sie in die Hofburg bringen soll – und nicht alles, was die sieben Männer in der Vergangenheit zu Papier gebracht haben, passt dazu.
DER STANDARD hat sich durch zahlreiche Bücher gewühlt, auch solche, die im Handel längst vergriffen oder dort nie erschienen sind. Die Ergebnisse sind zum Teil erstaunlich: Alexander Van der Bellen zeigte Verständnis für Wladimir Putin nach der Krim-Annexion und beklagte die angebliche "Gleichschaltung" österreichischer Medien; Walter Rosenkranz phantasierte einen Aufsatz, wie ihn sein Sohn in einer von linken Ideen gestalteten Schule schreiben würde; Dominik Wlazny erzählt, wie er ein Konzert für chinesische Mafiosi spielte. Ein Überblick über die bemerkenswertesten Passagen:
ALEXANDER VAN DER BELLEN: Schuldumkehr auf der Krim
Er habe sich in Wladimir Putin getäuscht, sagt der Bundespräsident seit dem russischen Überfall auf die Ukraine immer wieder. "Ich habe absolut nicht damit gerechnet, dass Putin die Ukraine als russische Provinz sieht und mit sämtlichen internationalen Regeln bricht, um einen grausamen Angriffskrieg zu führen", erklärte Van der Bellen zuletzt im STANDARD-Interview.
Ein Hinweis auf Putins Skrupellosigkeit hätte die Annexion der Krim sein können. Diese analysierte Van der Bellen 2015 im Buch Die Kunst der Freiheit mit erstaunlich viel Verständnis für die russische Aggression – und der Klage darüber, dass dieses Verständnis in vielen Leitartikeln österreichischer Medien fehle:
Eine ebenfalls erstaunliche Position nimmt Van der Bellen in Bezug auf sexistische Werbung (und das geforderte Verbot davon) ein:
Dass er mit solchen Aussagen potenzielle Wählerinnen und Wähler eher verschrecken könnte, scheint dem späteren Bundespräsidenten angesichts des folgenden Satzes im Vorwort zum Buch klar gewesen zu sein:
WALTER ROSENKRANZ: Arme Kinder mit Behinderung und "Verhaltensgestörte"
Der Präsidentschaftskandidat der FPÖ brachte seine bildungspolitischen Vorstellungen im Jahr 2011 zu Papier – und legte damit sein Verständnis von der Inklusion behinderter Menschen, Ganztagsschulen und Integration offen. Der Beitrag "Bildung, Familie ... und was denkt sich ein frischgebackener Vater?" erschien im Band Wir sind Familie! Der freiheitliche Weg zur familienfreundlichsten Gesellschaft. Rosenkranz sinniert darin über die Welt, in der sein damals gerade erst geborener Sohn aufwachsen werde – und zunächst über seine eigene Kindheit, wo zu Mittag daheim noch frisch gekocht worden sei und er mit Gleichaltrigen tolle Banden gebildet habe:
Der damalige Nationalratsabgeordnete sorgt sich vor allem wegen des politischen Zeitgeists und angesichts dessen, was jungen Eltern heute vorgemacht werde:
Rosenkranz’ Einordnung von Schülerinnen und Schülern mit Integrationsbedarf in die Kategorien "bedauerliche Kinder mit Behinderung" und "verhaltensgestörte Kinder" gehört wohl nicht zu den Qualifikationen, die ihn acht Jahre später zum Volksanwalt avancieren ließen.
Noch etwas derber wird es in der Schrift des blauen Präsidentschaftskandidaten, als er vom Aufsatz seines Sohnes "träumt", den dieser in so einem von linken Vorstellungen geprägten Bildungssystem verfassen würde. Wissen müsse ein Schüler in so einer Welt nämlich nichts, nur "Kompetenzen" aufweisen, Hauptsache "voll durchgegendert" und "politisch korrekt". Rosenkranz’ Fantasie trägt ihn so weit, dass er verpflichtende Sympathie für migrantische Kinder fürchtet, eine Transgender-Lehrerin mit dem Fasching verknüpft und sich um die historische Einordnung der Burschenschaften im Geschichtsunterricht sorgt:
DOMINIK WLAZNY: Mafia-Anekdoten aus China
Sein Verhältnis zum Gesetz musste Musiker und Politiker Dominik Wlazny alias Marco Pogo vergangene Woche bereits in der Zeit im Bild 2 erklären: Da ging es um den von ihm verbreiteten Spruch "Gras zum Bier? Gönn es dir". Und daraus folgend um Wlaznys Verhältnis zu illegalen Drogen. An eine ganz andere Form von Gesetzesbruch streifte der Präsidentschaftskandidat im Rahmen einer China-Tournee seiner Band Turbobier an. Davon erzählt Wlazny gleich im ersten Kapitel seines Buches Gschichtn (2021).
Darin geht es um einen Auftritt in einer chinesischen Stadt – der offenbar von der dortigen Mafia veranstaltet wurde:
Wlazny zeigt sich dann beeindruckt von der Verpflegung der Verbrecher:
Beim Konzert selbst identifiziert Wlazny den Chef der kriminellen Orga nisation anhand seiner einschüchternden Art im Publikum. Der Mafiaboss bringt der Band dann auch gleich ein Tablett voll Schnaps zur Bühne.
GERALD GROSZ: Aufregung über schlechten Stil
Rund um die Weihnachtsfeiertage im Jahr 2018 befindet sich Gerald Grosz in heller Aufregung über einen Fernsehbeitrag – oder bemüht sich zumindest, diesen Eindruck zu erwecken:
Was lässt den Ex-Politiker (FPÖ, BZÖ) in seinem Buch Im Karussell des Wahnsinns so die Fassung verlieren? Es war das satirische Kinderlied Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad (meine Oma ist ’ne alte Umweltsau), das der WDR gezeigt hatte. Damit verfolge der deutsche öffentlich-rechtliche Sender die Ziele der "Klimafaschos". Offenbar stößt sich Grosz am Stil des Satirelieds und fragt, stilsicher: "Schämt ihr euch nicht, ihr Polit-Pädophilen?"
TASSILO WALLENTIN: Probleme mit dem freien Mandat
Dass es der Anwalt und ehemalige Krone-Kolumnist Tassilo Wallentin mit der faktischen Richtigkeit in seinen Texten nicht immer ganz so genau nimmt, ist spätestens seit seinem Wahlkampfinterview in der Zeit im Bild2 bekannt: Die Richtigstellungen blanker Falschmeldungen quittierte Wallentin dort ja mit Sätzen wie "Wie auch immer" oder "Es geht darum, dass die Tendenz so ist".
Neu ist allerdings, dass Wallentin auch mit einem wichtigen Grundsatz der von ihm so gerne beschworenen Verfassung ein Problem hat: dem freien Mandat für Abgeordnete des Parlaments. Anlässlich des Nationalfeiertags 2013 schrieb der Anwalt zunächst in der Krone und dann später in seinem ersten Buch Offen gesagt über die Mandatarinnen und Mandatare:
Tatsächlich sorgte die ehemalige ORF-Generaldirektorin Lindner nach der Nationalratswahl 2013 stellenweise für Empörung, weil sie sich bald nach der Wahl vom Team Stronach lossagte – für das sie ursprünglich kandidiert hatte. Das Mandat hatte sie entgegen anderslautenden Ankündigungen dennoch angenommen. Für das von Wallentin kritisierte "Abwerben" von Abgeordneten war zu diesem Zeitpunkt das Team Stronach verantwortlich, das schon vor der Wahl Mandatarinnen und Mandatare zu einem Klub zusammensammelte. Heute lässt Wallentin seine Wahlkampagne von Parteigründer Frank Stronach mitfinanzieren.
Bemerkenswerte bildungspolitische Ansichten äußert Wallentin in seinem fünften Buch (2018 erschienen). Darin schreibt der Vater dreier Kinder über die Mängel des österreichischen Schulsystems. Neben schlechten Ergebnissen bei Lesetests stößt sich der Kandidat auch an der Bezeichnung elementarpädagogischer Einrichtungen:
Auch 2022 sorgte sich der Anwalt um das österreichische Schulsystem – konkret alarmierten ihn die Zahlen zum Analphabetismus im internationalen Vergleich
Allerdings hat Wallentin die entsprechenden Statistiken hier, nun ja: nicht richtig gelesen. Er vermengt Leseschwächen mit vollständigem Analphabetismus.
HEINRICH STAUDINGER: Kritik an "Mehrheitsentscheidungen"
Der Waldviertler Schuhfabrikant Heinrich Staudinger hat vergleichsweise wenige Publikationen vorzuweisen. Am ehesten politisch äußert er sich noch in den Editorials des von seinem Unternehmen herausgebrachten Magazins Brennstoff.
Auch dort bleibt er aber mitunter kryptisch. Im Juli 2022 schrieb Staudinger etwa über den Mainstream und das "Kartenhaus" unserer Gesellschaft:
MICHAEL BRUNNER: Drohung an Lehrerinnen und Lehrer
Offenbar völlig ohne gedruckte Publikation in den vergangenen Jahren kommt Michael Brunner, Chef der impfgegnerischen Partei MFG, aus. Texte auf der Website der "Rechtsanwälte für Grundrechte" sind meist recht technisch-juristisch gehalten. Ein fast drohender Hinweis an Lehrerinnen und Lehrer im Bezug auf die Umsetzung der Maskenpflicht an Schulen aus dem November 2020 sticht dabei aus der Masse hervor:
(Sebastian Fellner, 1.10.2022)