Elisabeth Stadler, Vorstandschefin der Vienna Insurance Group (Mitte), stellt sich gemeinsam mit Cerha-Hempel-Partner Harald Stingl allen Fragen zum Karrierestart für (fast) fertige Jusstudierende.

Heribert Corn

Mit dem Jusstudium (fast) fertig – und jetzt? Gleich noch eine Graduierung (LL. M.) oder lieber doch gleich einfädeln in eine juristische Karriere? Viele, teilweise sehr aufwendige Recruitingveranstaltungen machen es jungen Akademikerinnen und Akademikern in diesem Feld gar nicht leicht: Unternehmen und Kanzleien buhlen um diesen Nachwuchs.

Einblicke der besonderen Art gibt seit vielen Jahren die Kanzlei Cerha Hempel mit ihrem Tag des "Big Deal". Jusstudierende simulieren dabei den Abschluss eines Mergers-&-Acquisitions-Geschäfts – heuer standen dabei auch die Prüf- und Haftungsfragen der Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Nach getaner Arbeit lädt Partner Clemens Hasenauer abends nicht nur zum netzwerklichen Umtrunk in die Kanzlei in der Wiener City, es steht auch immer eine besondere Persönlichkeit aus der Vorstandswelt zur Verfügung. Die Generaldirektorin der Vienna Insurance Group (VIG), Elisabeth Stadler, war in dieser Woche Gast.

Einfach ausprobieren

Die Versicherungsmathematikerin verschrieb sich im Gespräch mit den rund 50 Jungen ganz der Ermutigung, vor allem jener der Frauen: Als Frau müsse man oft einfach mehr leisten. Sie empfiehlt jedenfalls gemischte Netzwerke. Stadler ermutigt die Jungen insgesamt, ihre Stimme zu erheben, und nimmt sich kein Blatt vor den Mund, welche Wählerschichten die Politik oft lieber bedient als die Jungen. Zum Wo des Jobeinstiegs rät sie: "Probieren Sie es einfach aus!"

Sie hat schon als Kind Zahlen geliebt und sich auf die Mathe-Olympiade in der Schule gefreut, erzählt die gebürtige Langenloiserin, die täglich nach Wien pendelt und "entspannt, wenn sie nach Langenlois abends einfährt." Man spüre, wenn es passt, und man ist richtig in einem Job, sagt sie, man lerne mit der Zeit, sich schnell zu entspannen und nicht nur in drei Wochen Urlaub. Und dann gibt’s auch kein Stundenzählen oder kein "Verzichtsgefühl": "Wenn man 40 Jahre in der gleichen Branche bleibt und keinen einzigen Tag bereut, dann ist das Leidenschaft." Ob es schwer sei aufzuhören? Immerhin ist fix, dass sie ihr CEO-Mandat im Juni 2023 nicht verlängert. "Nein", sagt die 61-Jährige bestimmt.

Relevante Voraussetzungen

Was sind die Ingredienzen einer nachhaltigen Karriere, die einen auch zufrieden und nicht zerstört in die nächste Lebensphase entlässt? Stadler: "Kommunikation in beide Richtungen. Ich gelte als eine, die gut zuhören kann, man soll nicht nur Orders geben. Mir hat meine fachliche Kompetenz extrem geholfen." Da könne einem keiner sehr viel erzählen. Muss man hart und unkränkbar sein? "Bissl eine harte Schale ist in Führungsfunktionen schon notwendig. Ich bin aber ein durchwegs positiver Mensch, zu gefühlsreich ist manchmal sicher nicht gut." Und: "Ohne viel Einsatz und viel Arbeit wird man nicht CEO", lässt sie keine Zweifel an einer weiteren Erfolgszutat. Verzicht empfindet sie jedenfalls nicht. Aber: man müsse eben viel investieren. Reinknien heißt es auch in der Kanzlei? Partner Harald Stingl argumentiert mit Freude und spannenden Deals. Anwalt sei kein Nine-to-five-Job. In dieser Runde junger Berufseinsteiger will auch niemand in Teilzeit einsteigen.

Stadler spannt einen großen Chancenbogen und anerkennt den Wertekanon, wonach ein Job erfüllend und möglichst wenig hierarchisch sein soll, einen, der Mitgestaltung ermöglicht – da habe sich viel zum Guten verändert. Vorstände hätten auch in Teammeetings zu sein und sollten ansprechbar sein. "Open door policy", sagt Harald Stingl, herrsche natürlich auch bei Cerha Hempel. Beide Diskutierende rittern um die Jungen und führen auch die Möglichkeit des Homeoffice ins Treffen. Der Trend zur Anwesenheit im Büro sei rückläufig.

Verschiedenste Themen

Und hat das auch zu einem Dress-down geführt – spielt der Dresscode noch eine Rolle? Stadler: "Dass die Kleidung keine Rolle spielt, möchte ich nicht sagen. Aber im Laufe der Pandemie kommen die Herren zunehmend mehr ohne Krawatte ins Büro." Bei Cerha Hempel ist die Krawatte noch präsenter. Das sei auch eine Frage des Respekts. Freundlichkeit und Umgänglichkeit fällt beiden potenziellen Arbeitgeber am ehesten positiv auf.

Bange Frage einiger Studierender nach der KI – werden wir noch gute Jobs haben? Stadler: "Es werden Fähigkeiten verlagert, es entstehen andere, interessantere Berufsbilder! Juristinnen und Juristen werden überall gesucht – sie brauchen absolut keine Angst haben." Hasenauer: "Die Gabe und Fähigkeit kann ein Programm nicht ersetzen, so weit sind wir noch lange nicht. In unserem Bereich schafft Digitalisierung mehr Jobs, als sie vernichtet." (Karin Bauer, 4.10.2022)