(Schnellbahnstation Wien Hauptbahnhof, Bahnsteig 1. Die Ankunftsanzeige kündigt einen Zug nach Mödling in sieben Minuten an. Eine Frau Mitte fünfzig tritt zu einem auf sein Handy starrenden jungen Mann.)

DIE FRAU: Entschuldigung, können Sie mir sagen … Ich muss nach Meigling, kann ich da –

DER MANN: Meidling.

DIE FRAU: Meigling, ja. Ich kenn’ mich nämlich nicht so gut aus in Wien, und meine Tochter hat gesagt, sie holt mich in Meigling ab. Kann ich da diesen Zug nehmen?

DER MANN: Wenn Sie nach Meidling wollen, können Sie diesen Zug nehmen, ja.

DIE FRAU (zeigt auf die Anzeige): Weil da nämlich steht Mögling. Deswegen war ich unsicher. Ist das dasselbe, Meigling und Mögling?

DER MANN: Nein, Meidling und Mödling sind nicht dasselbe, aber Sie können getrost in den Zug Richtung Mödling einsteigen und in Meidling aussteigen.

DIE FRAU: Ah, Meigling ist vorher?

DER MANN (genervt): Ja, Meidling ist vorher!

DIE FRAU: Meine Tochter hat nämlich gesagt, sie holt mich ab in Meigling.

DER MANN (laut): Meidling!

DIE FRAU: Was sind Sie denn so unwirsch? Ich will ja nur wissen, ob ich mit diesem Zug nach Meigling komme.

DER MANN: Wenn Sie noch einmal Meigling sagen, schreie ich!

DIE FRAU: Warum soll ich nicht Meigling sagen, wenn ich nach Meigling will?

(Der Mann schreit auf, macht kehrt und rennt Richtung Ausgang. Die Frau blickt ihm verwundert nach und wendet sich dann an eine ungefähr gleichaltrige Frau in ihrer Nähe.)

DIE FRAU: Ein unmödlicher Mensch, was?

(Die zweite Frau nickt.
Pause.
Der Zug fährt ein.)

DIE FRAU (zur zweiten Frau): Jetzt weiß ich noch immer nicht … Wenn ich nach Meigling will, kann ich dann –
(Vorhang)
(Antonio Fian, 30.9.2022)