Frauen werden in Afghanistan systematisch unterdrückt.

Foto: IMAGO/Sanullah Seiam

Frauen waren schon unter der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 die Bevölkerungsgruppe, die am meisten unter dem radikalen Regime in Afghanistan litt – und das wirkte sich damals auch auf Asylverfahren aus: Die Gerichte stuften die Eingriffe in die Lebensbedingungen afghanischer Frauen pauschal als so gravierend ein, dass sie schon allein deshalb Anspruch auf Asyl hatten.

Aber lässt sich diese Rechtsprechung auch auf das aktuelle Taliban-Regime, das vergangenen Sommer die Macht übernahm, übertragen? Haben Frauen, die aus Afghanistan geflohen sind, jedenfalls ein Recht auf Asyl? Oder müssen die Behörden jeweils die individuelle Situation der Betroffenen prüfen? Mit diesen Frage wird sich in den nächsten Monaten der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg beschäftigen.

Anlassfall aus Österreich

Anlassfall ist ein Verfahren aus Österreich: Eine afghanische Frau sowie ein 14-jähriges Mädchen hatten hierzulande Asyl beantragt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gewährte ihnen zwar subsidiären Schutz, nicht aber Asyl. Daraufhin beschwerten sich die beiden beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG): Seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 habe sich die Situation derart verschlechtert, dass ihnen allein deshalb, weil sie Frauen sind, Verfolgung drohe. Das BVwG wies beide Beschwerden ab.

Die Anwältinnen der beiden Frauen, Nadja Lorenz und Sarah Moschitz-Kumar, wandten sich deshalb an den VwGH – und dieser leitete das Verfahren nun an den EuGH weiter. Aus Sicht der österreichischen Höchstrichterinnen und Höchstrichter ist nämlich fraglich, ob die Rechtsprechung zum ersten Taliban-Regime auf die aktuelle Situation in Afghanistan übertragbar sei. Schließlich hätten sich seither sowohl die Sachlage als auch die Rechtslage verändert.

Schwerwiegende Verletzungen?

Afghanische Frauen haben derzeit keinen Schutz vor häuslicher Gewalt und vor Zwangsheiraten, dürfen nur eingeschränkt arbeiten und in die Schule gehen und sich ohne Begleitung eines Mannes nur in einem gewissen Umkreis um ihren Wohnort aufhalten. Der EuGH soll nun entscheiden, ob diese Maßnahmen eine derart schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte darstellen, dass Frauen jedenfalls – unabhängig von der jeweiligen individuellen Situation – einen Anspruch auf Asyl haben. (japf, 30.9.2022)