Herbert Kickl hat nicht die beste Nachrede. In den Medien nicht, bei den anderen Parteien sowieso nicht und in der eigenen Partei auch nicht bei allen. Aber er scheint der FPÖ gutzutun. Das zeigt auch das Abschneiden der FPÖ in Tirol: plus drei Prozentpunkte. Seit Kickl an der Spitze steht, ist es der FPÖ gelungen, in Umfragen nicht nur zu reüssieren, sondern konstant zuzulegen. Mit dem jetzigen ersten Plus seit 2018 scheint die FPÖ das Tal der Tränen überwunden zu haben.

Einen Teil des Protestspektrums deckt die FPÖ ab, auch auf Kosten der Regierungsfähigkeit.
Foto: IMAGO/SEPA.Media/Isabelle Ouvrard

Während es in Tirol bei ÖVP, SPÖ und Grünen vorwiegend lange Gesichter gab, konnten die Freiheitlichen jubeln: Das erste Mal seit dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos im Mai 2019 konnten sie wieder zulegen. Bis dahin hatte die FPÖ eine Wahlschlappe nach der anderen eingefahren. Sie haben bei allen sieben Wahlen der vergangenen Jahre verloren – meist sogar drastisch. Auch vor einem Jahr in Oberösterreich verlor die FPÖ mehr als zehn Prozentpunkte. Einziges Trostpflaster war damals, dass zumindest die Regierungsbeteiligung nicht abhandengekommen ist. Oberösterreich ist die letzte Bastion, in der die Blauen noch an den Schalthebeln der Macht sitzen.

Aber eine Regierungsbeteiligung scheint gar nicht mehr das Ziel der FPÖ unter Kickl zu sein, auch wenn er das Kanzleramt als Ziel formuliert. Er weiß, dass keine Partei ihn als Partner akzeptieren würde, und fährt auch deshalb einen unversöhnlichen Oppositionskurs. "Die FPÖ ist und bleibt eine radikale Protestpartei, die sich in puncto Regierungsglaubwürdigkeit selbst aus dem Spiel nimmt", sagt Grace Pardy, die sich als Transformation-Companion bezeichnet und mit ihrer Agentur Made2matter unter anderem liberale Parteien in Europa berät. Auch Pardy verweist auf Kickl. Mit einer personellen Neubesetzung an der Spitze könnte sich die FPÖ rasch wieder als Regierungspartner ins Spiel bringen.

Ein entscheidender Faktor im Lager der potenziellen Protestwähler sind jene, die erst gar nicht zur Wahl gegangen sind. Das waren in Tirol mehr als 170.000 Menschen. Sie haben keine politische "Heimat", sind aber noch erreichbar. Pardy sieht in dieser Gruppe einen gefährlichen Nährboden für radikale Parteien, die ihre Wachstumsstrategie auf jene Personen fokussieren. Was im Übrigen auch die FPÖ tut, und das durchaus erfolgreich: Sieben Prozent oder 15.000 der Tiroler Nichtwähler von 2018 entscheiden sich vergangene Woche für die FPÖ.

Die impfkritische Liste MFG hatte starken Zulauf, konnte bei der Wahl in Tirol aber nicht reüssieren.
Foto: © Christian Fischer

Ein direkter Konkurrent der FPÖ im Buhlen um die Stimmen der Protest- oder Nichtwähler ist die Liste MFG. Deren Abschneiden in Tirol war nach dem überraschenden Erfolg in Oberösterreich enttäuschend: Mit 2,8 Prozent verfehlte die impfkritische Liste den Einzug in den Landtag deutlich. Im September des Vorjahres hatte MFG noch für ein politisches Beben im Linzer Landhaus gesorgt. Die Truppe aus politischen Quereinsteigern schaffte mit 6,2 Prozent aus dem Nichts den Sprung in den Landtag. Inwieweit in Zukunft und vor allem bei den anstehenden Landtagswahlen in Niederösterreich, Kärnten und Salzburg mit der Liste zu rechnen sein wird, hängt laut Pardy nicht nur von deren eigener Performance ab als vielmehr von den anderen Parteien: "Haben die Parteien Mut zur Selbstreflexion und Erneuerung?", fragt Pardy.

Populistische Alternativen

"Immer dann, wenn populistische Alternativen da sind, wird es für die FPÖ gefährlich, weil sich ihr Wählerspektrum aufsplitten kann", sagt der Politikberater Thomas Hofer. Allerdings sei die FPÖ routiniert genug, um zu wissen, dass sich derlei Gruppierungen immer wieder mal bilden. "Die FPÖ hat in ihrer Geschichte auch gezeigt, dass sie so etwas erfolgreich aussitzen kann. Diesen langen Atem hat sie immer wieder bewiesen." Zwei Beispiele dafür sind das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) und das Team Stronach.

Und eine weitere Sache zeigte sich bereits in der Vergangenheit: Sobald Krise herrscht, gewinnen populistische Parteien wie die FPÖ zuerst in Umfragen und dann Wahlen. Das war etwa auch während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 so. Heute gibt es multiple Krisen, die der FPÖ in die Hände spielen – Energie-, Teuerungs- und Flüchtlingskrise, Krieg mitten in Europa und nicht zuletzt die noch nicht ganz ausgestandene Corona-Pandemie.

Auf Krawall gebürstet

In Tirol konnte die FPÖ den offenkundig vorhandenen Frust in der Bevölkerung beziehungsweise die Zukunftsängste der Menschen zur Mobilisierung nutzen. Frust und Ängste sind freilich nicht nur in Tirol zu Hause. "Im Vergleich zur MFG war die FPÖ von Anfang an besser aufgestellt, indem ihre Antisystemhaltung nicht monothematisch war", sagt Hofer. Die FPÖ hatte gleich mehrere Protestthemen. "Sie hat de facto einen Themenstrauß vor sich, wo sie sich nur die schönsten Blumen zu pflücken braucht." Für Hofer sei es "logisch, dass eine insgesamt auf Protest gebürstete Oppositionspartei wie die FPÖ in Zeiten wie diesen Zulauf hat". Die Frage ist freilich, ob der radikale Kurs das Wachstum ab einem gewissen Punkt deckelt. "Jetzt hat man aufgrund der wirklich schwierigen krisenhaften Erscheinungen, wo man nur dagegen sein und spitz formulieren muss, ein Wachstum."

Gerade auch der aktuelle Wahlkampf zur Bundespräsidentenwahl zeigt aber, dass es jenseits von FPÖ und MFG auch andere Strömungen gibt, die an die politische Oberfläche drängen. Manche sind durchaus skurril, wie der Schuhfabrikant Heinrich Staudinger, manche schon erfahren wie Haider-Fan Gerald Grosz. Auch die Kronen Zeitung dokumentiert mit der sanften Unterstützung für ihren bisherigen Kolumnisten, den Rechtsanwalt Tassilo Wallentin, dass ein gewisser Wunsch nach einer politischen Veränderung besteht. Rechts der Mitte ist also einiges in Bewegung, da scheint es auch Platz für Neues zu geben.

Dagegen zu sein kennt viele Formen und kommt mitunter in seltsamem Gewand daher.
Foto: APA/KLAUS TITZER

Auch links der Mitte tut sich einiges: Die Nervosität, mit der etwa das Team rund um den amtierenden Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen auf das Antreten von Dominik Wlazny alias Marko Pogo reagierte, kann als Beleg dafür gewertet werden, dass man diese Konkurrenz durchaus ernst nimmt. Nähme man Twitter als Grundlage der Meinungserkundung, müsste man davon ausgehen, dass es zu einer Stichwahl zwischen Van der Bellen und Wlazny kommt – was durch aktuelle, breit gefächerte Meinungsumfragen keineswegs belegt oder nachvollziehbar ist. Aber es ist eine Tatsache, dass Wlazny im linken Meinungsspektrum, das tief ins bürgerliche Lager hineinreicht, auf wohlwollende Sympathie stößt, die über viele Schwächen und Unsicherheiten des Kandidaten hinwegsieht.

Probegalopp für die Bierpartei

In SPÖ-Kreisen liebäugeln viele damit, Wlazny zu unterstützen und zu wählen – als eine Art Protest gegen das politische Establishment, zu dem Van der Bellen zählt. Und als Ex-Grüner ist er aus roter Sicht gewissermaßen auch ein Vertreter der aktuellen Koalitionsregierung. Wlazny nützt die Aufmerksamkeit geschickt, um Werbung für sich und seine politische Bewegung, die Bierpartei, zu machen. Für ihn ist das Antreten bei der Präsidentschaftswahl vielmehr der Probegalopp und ein Aufwärmen für die Nationalratswahl in zwei Jahren als ein echter Versuch, Präsident zu werden. Bei der Nationalratswahl wäre er dann wohl ein äußerst unangenehmer Konkurrent für die SPÖ, deren indirekte Unterstützung ihn jetzt groß macht. Wlazny hat jedenfalls das Potenzial, die Unzufriedenen links der Mitte anzusprechen und ihnen zumindest vorübergehend die Möglichkeit zu geben, ihren Unmut mit der herkömmlichen Politik zu artikulieren. (Sandra Schieder, Michael Völker, 1.10.2022)