Johanna Grabner-Urkauf bittet in Mattighofen zum Interview. Dort wurde in den letzten Jahren kräftig ausgebaut. Mittlerweile werden dort nur noch E-Bikes produziert. Die elektrischen Bikes lässt sich die Chefin auch nicht madig machen. Nicht nur das Unternehmen, auch die Stadt im Innviertel (in der auch Stefan Pierers KTM-Motorradschmiede und die Motohall angesiedelt sind) wächst. Grabner-Urkaufs Mutter Carol Urkauf-Chen ist in Pension – zumindest offiziell. Sie hat das Unternehmen vor Jahrzehnten vor der Pleite bewahrt. Mit Rat und Tat hält sie nicht hinter dem Berg.

STANDARD: Sie sind 2018 mit 29 Jahren in ein Millionenunternehmen eingestiegen. Ihre Mutter, die es zum Gedeihen brachte, wollte früher Lehrerin werden. Hatten Sie nie andere Pläne?

Grabner-Urkauf: Solange ich denken kann, war die Firma bei uns in der Familie präsent. Ich habe schon in der Volksschule in diese kleinen Freundschaftsbüchlein reingeschrieben, ich möchte Geschäftsfrau werden, weil meine Großmutter war eine Geschäftsfrau, mein Vater Geschäftsmann, meine Mutter Geschäftsfrau.

STANDARD: Sind Sie als Kind in den Produktionshallen herumgehüpft?

Grabner-Urkauf: Kann man so sagen. Ich kenne auf jeden Fall viele Mitarbeiter und Kollegen, seit ich sehr klein war. Ich habe aber auch live mitbekommen dürfen, dass das für meine Mutter nicht immer einfach war. Von nichts kommt nichts. Wenn ich in den Semesterferien nach Hause gekommen bin, hat meine Mutter gefragt: "Hast du Pläne?" Wenn ich gesagt habe, jetzt nicht, meinte sie: "Na, dann komm doch morgen mit."

STANDARD: Ihre Mutter hat die Firma einst unter viel persönlichem Einsatz vor dem Konkurs gerettet. War das nicht ein unglaublicher Druck?

Johanna Ho-Man Grabner-Urkauf (33), Betriebswirtin und Sinologin, bekam einen chinesischen Zweitnamen – Hermann, den Vornamen ihres Vaters.

Grabner-Urkauf: Wenn ich so zurückdenke, haben meine Mutter und meine Großmutter immer geschaut, dass es meiner Schwester und mir sehr gut geht. Seit ich hier arbeite, verstehe ich erst, welche Riesenaufgabe meine Mutter damals gehabt hat. Trotzdem hat sie sich Zeit für uns genommen. Ich war so elf und hatte ein bisschen schwierigere Schularbeiten. Da habe ich einmal eine Vier nach Hause gebracht. Meine Mutter, die selbst müde von einem langen Tag war, hat mit mir noch Stunden geübt. Durch sie hab ich Disziplin gelernt.

STANDARD: Das hilft wohl jetzt. Bald nach Ihrem Einstieg kamen Corona und die Lieferkettenprobleme. Hat sich das beruhigt?

Grabner-Urkauf: Uns gehen immer noch einige Teile ab, zum Beispiel Bremsen oder Naben. Aber wir können produzieren und müssen nicht jeden Tag Angst haben, dass wir nächste Woche stillstehen.

STANDARD: Und wenn nun ein Gasstopp kommt?

Grabner-Urkauf: Das ist ein Geheimnis, keiner weiß es. Gas brauchen wir in erster Linie zum Lackieren. Käme tatsächlich kein Gas, hätten wir kurzfristig Probleme. Wir haben eine zweite Lackierhalle gebaut, aber die Maschinen sind noch nicht gekauft, weil der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist. Da müssen wir auch flexibel reagieren, damit wir die Produktion überhaupt aufrechterhalten können.

STANDARD: Die Energiekosten sind galoppiert. Wie gehen Sie damit um?

Grabner-Urkauf: Die Energierechnung hat sich versechsfacht. Wir haben jetzt bei allen neuen Hallen Photovoltaik und Wärmepumpen. Das haben wir schon vor zwei Jahren geplant. Für die Lackiererei wird uns das nicht helfen. Wir produzieren jetzt für den Ernstfall vor. Für eine Prozesswärme haben wir viele Optionen durchgedacht, zum Beispiel LNG (Flüssiggas).

STANDARD: Transportkosten, Teile, Rohstoffe, alles wurde teurer. Konnten Sie das weitergeben?

Ihre Mutter Carol Urkauf-Chen (rechts) kam der Liebe zu Hermann Urkauf wegen aus Taiwan nach Österreich. Die einst marode Firma hat sie im Alleingang gerettet.

Grabner-Urkauf: Wir haben genau auf die Kosten geschaut. Die Containerpreise fallen seit einigen Wochen sehr stark, andererseits verteuert der gefallene Euro den Einkauf aus dem Ausland. Bis jetzt schaut es aber gut aus. Je nach Modell sind die Preise für unsere Fahrräder um fünf bis acht Prozent gestiegen.

STANDARD: Die hohen Benzinpreise werden dem Fahrrad auch nicht schaden. Dann sind Sie nach der Corona-Krise wieder Krisengewinner, oder?

Grabner-Urkauf: Kann man so sagen. Aber wir hatten schon vor Corona gute Verkaufszahlen und immer auf ein vernünftiges Wachstum gesetzt. Während Corona gab es Unternehmen, die wollten das Wachstum verdoppeln. Wir nicht. Wir können nicht von einem Tag auf den anderen unsere Produktion verdreifachen.

STANDARD: Während Corona ist die Nachfrage explodiert. Jetzt schrumpft die Kaufkraft. Werden sich die Leute Ihre Fahrräder weiter leisten können?

Grabner-Urkauf: Wir reden mit unseren Kunden, es kommen keine Stornos rein. Wir sehen derzeit keine Anzeichen für eine negative Entwicklung. Aber natürlich ist man nervös, wenn man Nachrichten liest – sehr viele negative Nachrichten. Es ist bei uns ein großes Thema. Wir halten Ohren und Augen offen, wie sich der Markt entwickelt.

STANDARD: Die Lohnkosten werden sich auf jeden Fall entwickeln. Sie haben den Metaller-KV. Da werden über zehn Prozent mehr Lohn gefordert.

Grabner-Urkauf: Ja, da ist gerade eine Dynamik drinnen. Die Produktion von Billigrädern würde sich hier in Mattighofen nicht rechnen.

Viel Zeit für ihre Hobbies – Sport und Klavierspielen – bleibt der zweifachen Mutter derzeit nicht. Auch ihr Mann und ihre Schwester arbeiten im Betrieb.
Foto: Mike Vogl/Vogl-Perspektive

STANDARD: Auch bei Arbeitskräften hapert es in ganz Österreich. Ihr unmittelbarer Nachbar ist Stefan Pierers KTM-Motorradschmiede. Matchen Sie sich mit ihm um Leute?

Grabner-Urkauf: In der Region gibt es viele Industrieunternehmen. Jeder hier sucht Leute. Das spüren wir schon sehr stark. Wir suchen in der Produktion auch händeringend.

STANDARD: Und finden Sie genügend? Junge wollen ja weniger arbeiten, heißt es.

Grabner-Urkauf: Wir finden auch tolle, motivierte Mitarbeiter. Aber manche hier bei uns sagen schon auch, dass die Jungen weniger arbeiten wollen. Zurzeit findet auch jeder eine Arbeit.

STANDARD: Die Zeiten ändern sich. Mittlerweile ist ja auch ein Fahrrad nicht mehr nur ein Fahrrad. Sie produzieren in Mattighofen nur noch E-Bikes. Da hat sich technisch wohl viel geändert?

Grabner-Urkauf: Ja, mit den E-Bikes ist eine unglaubliche Dynamik in die Fahrradbranche gekommen. Dass wir in Österreich nur noch E-Bikes machen, ist durch die Corona-Krise entstanden. Plötzlich war der Bedarf so hoch, dass wir mit unserem Tochterunternehmen in Tschechien die Produktionen haben teilen müssen.

STANDARD: Ist in Zeiten, wo Energie Umwelt zerstört und Fettleibigkeit ein Problem ist, der Hype ums Akku-Rad nicht die komplette Fehlentwicklung?

Grabner-Urkauf: Warum? Viele Leute werden erst durch das E-Bike wieder auf das Fahrrad gebracht. Jugendliche zum Beispiel, die normalerweise nicht mit dem Rad zur Schule fahren, weil es vielleicht sehr hügelig ist. Meine Schwester ist immer mit dem E-Bike zur Schule gefahren. Richtig sportliche Fahrradfahrer sagen am Anfang oft: Wozu braucht man ein E-Bike? Aber selbst solche Leute finden immer mehr Gefallen daran.

Nicht allen ist bekannt, dass KTM Fahrrad und die Motorradmarke KTM zwei unterschiedliche Eigentümer haben. Man hat auch den einen oder anderen juristischen Strauß ausgefochten.

STANDARD: Selbst für Kinder gibt es E-Bikes. Braucht man das wirklich?

Grabner-Urkauf: Am Anfang war das umstritten. Auf der Messe sind die Leute zu uns gekommen und haben gefragt, was wir da machen. Im nächsten Jahr haben das schon viele andere gehabt. Das war auch mit dem E-Mountainbike so, das wir 2009 als Erste rausgebracht haben. Das war ja unvorstellbar, weil ein E-Bike sozusagen ein Pensionistendrahtesel war. Ein Mountainbike mit E, das ist doch peinlich, hieß es.

STANDARD: Der SUV unter den E-Bikes ist jetzt Ihr Bestseller. Früher hat man nach zehn Jahren ein neues Rad gekauft. E-Bikes entwickeln sich so schnell wie Smartphones. Wird das Rad jetzt zum Wegwerfprodukt?

Grabner-Urkauf: Das denke ich nicht. Oft kauft sich jemand in der Familie ein neues E-Bike, und dann bekommt vielleicht die Frau oder der Sohn das ältere E-Bike. Ein Mitarbeiter von uns hat noch das erste E-Bike, das wir produziert haben. Es ist 1994 verkauft worden und funktioniert heute noch. Im Unterschied zu Handys gibt es für E-Bikes auch einen Gebrauchtmarkt.

STANDARD: Die Akku-Frage beschäftigt Sie nicht? Die Rohstoffe werden oft unter für die Umwelt und sozial sehr schlecht verträglichen Bedingungen gewonnen, und Recycling ist ungelöst.

Grabner-Urkauf: Man darf das nicht so schwarz und weiß sehen. Es gibt Strukturen, um mit gebrauchten Batterien umzugehen, wir bezahlen auch dafür. Aber sie müssen noch wachsen. Man kann auch nicht alles verteufeln, man muss es verhältnismäßig sehen. Wenn man mit einem E-Auto fährt, braucht man viel mehr Batterie als mit einem E-Bike. Das ist umweltfreundlicher.

STANDARD: Stichwort verteufeln. Wir stecken in einer Klimakrise, sind abhängig von fossiler Energie: Muss Ihre Generation jetzt ausbaden, was wir Alten versäumt haben?

Grabner-Urkauf: So sehe ich das nicht. Ich kann darüber schimpfen, aber es hilft ja nichts, wenn ich sage, das ist schlecht, und der ist schuld. Man muss Dinge auch annehmen, wie sie sind, und Lösungen dafür finden. Ich denke, das schaffen wir. (Regina Bruckner, 1.10.2022)