Zwölf Euro Mindestlohn pro Stunden gibt es in Deutschland mit Anfang Oktober

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Zwölf Euro pro Stunde. Dieser Mindestlohn gilt in Deutschland mit Samstag, 1. Oktober. Zwar gibt es in Deutschland den Mindestlohn bereits seit dem Jahr 2015. Aber bisher betrug er lediglich 10,45 Euro pro Stunde. Von der nunmehrigen Erhöhung profitieren rund 6,6 Millionen Beschäftigte.

Würde sich ein vergleichbarer Mindestlohn auch in Österreich ähnlich auswirken? Nein, hört man häufig – denn die Arbeitswelt hierzulande unterscheidet sich gehörig von jener beim deutschen Nachbarn. Konkret sind in Österreich fast alle Arbeitsverhältnisse, genau 98 Prozent, von Kollektivverträgen geregelt. Diese beinhalten de facto ebenfalls Mindestlöhne, wenn sie auch unterschiedlich je nach Branche ausfallen. Österreich zählt damit in Sachen kollektivvertraglicher Abdeckung zu Europas Spitzenreitern und liegt weit vor Deutschland.

Im Land der Kollektivverträge

Eine Studie des arbeitnehmernahen Momentum-Instituts in Wien, die dem STANDARD vorliegt, zeigt nun aber: Ein Mindestlohn à la Deutschland würde sich in Österreich durchaus stark auswirken. Aufgrund der österreichischen Kollektivverträge, die 14 statt zwölf Monatsgehälter vorsehen, würde der deutsche Mindestlohn umgelegt auf Österreich einem Brutto-Stundenlohn von 10,29 Euro entsprechen. Davon würden hierzulande 305.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren. Denn deren derzeitiger kollektivvertraglicher Mindestlohn liegt unter der Untergrenze, die nun in Deutschland gilt. Diese Beschäftigte arbeiten also bislang in Österreich zu einem geringeren Stundenlohn in Teilzeit- oder Vollzeitjobs.

In Deutschland waren der Einführung des Mindestlohns lange und harte Debatten vorausgegangen. So warnten die Chefs der sieben führenden Wirtschaftsforschungsinstitute die Regierung im Jahr 2008 noch: "Ohne Not würde mit diesem Schritt der Weg in eine staatliche Lohnfestsetzung bereitet und das erfolgreiche System der marktwirtschaftlichen Ordnung in seinen Grundfesten beschädigt."

Am Beginn 8,50 Euro

Doch SPD, Linkspartei und Gewerkschaften drängten auf eine Lohnuntergrenze. Seit Inkrafttreten der großen Hartz-Sozialreform unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 waren Langzeitarbeitslose dazu gezwungen, auch schlecht bezahlte Jobs unabhängig von ihrer Qualifikation anzunehmen. Zudem scherten immer wenige Unternehmen aus den Tarifverträgen aus. Das Niveau im unteren Lohnsektor sank.

Schließlich schwenkte auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein und räumte damit – nach der Atomkraft und der Wehrpflicht – einen weiteren Markenkern der Konservativen ab.

Frauen würden mehr profitieren

Zu Beginn im Jahr 2015 lag der Mindestlohn in Deutschland bei 8,50 Euro pro Stunde. Über die Jahre stieg er sukzessive an, bis zu den nunmehrigen zwölf Euro. Wer bisher nach Mindestlohn bezahlt wurde, erhielt bei einer 40-Stunden-Woche 1811 Euro brutto – nun werden es 2080 sein. Die Erhöhung wird der Regierung alle zwei Jahre von einer unabhängigen Kommission der Tarifpartner – der Mindestlohnkommission – vorgeschlagen.

In Österreich würden laut den Berechnungen des Momentum-Instituts weibliche Beschäftigte stärker profitieren als männliche: 52 Prozent derjenigen, die mehr Geld bekommen würden, wären Frauen.

"Kaum Marktaustritte"

Was Branchen betrifft, wären es Gastronomie, Einzelhandel und Bau, wo es die stärksten Lohnerhöhungen geben würde. Der Bauarbeiter und die Supermarktverkäuferin, die Köchin und der Kellner im Tourismussektor – diese Beschäftigten würden also mehr Geld bekommen.

In Deutschland ist der Mindestlohn inzwischen weitgehend anerkannt. Laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hat die Lohnuntergrenze kaum "zu Marktaustritten von Unternehmen" gesorgt. In manchen Branchen sei sogar eine Produktivitätssteigerung zu beobachten, weil Arbeitskräfte effizienter eingesetzt wurden.

In Österreich fordert die oppositionelle SPÖ einen Mindestlohn von 1700 Euro. Allerdings: Dieser solle weiterhin unter den Sozialpartnern ausverhandelt statt gesetzlich festgeschrieben werden, heißt es aus der Partei. (Birgit Baumann, Joseph Gepp, 1.10.2022)