In sehr großer Runde fanden Mitte September das Wirtschaftsgespräch und die Forderungsübergabe der Metallverarbeitenden Industrie statt. So betont heiter bleibt die Stimmung meist nicht sehr lang.

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Den Auftakt machen traditionell die fünf Fachverbände der Metallindustrie in Österreich, dann folgen das Metallgewerbe und die Handelsangestellten mit hunderttausenden Beschäftigten. Nicht zu vergessen die Sozialwirtschaft , die Beamten – und die Pensionisten.

Auftragseingang ist ein wichtiger Indikator für die wirtschaftlichen Aussichten der Unternehmen. Sind die Auftragsbücher gut gefüllt, wie aktuell in der Eisen-, Stahl- und Metallverarbeitungsindustrie, ist es für die Arbeitgeber schwieriger, hohe Lohnforderungen zurückzuweisen. Ukraine-Krieg, hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie Lieferkettenprobleme sorgen allerdings für Unsicherheit. Es könnte jederzeit zu Produktionsstillständen oder Betriebsschließungen kommen, weil Gas ausbleibt und die Energiepreise die Rentabilität mindern.

Benya-Formel, benannt nach Langzeit-ÖGB-Präsident (1963–1987) Anton Benya, gilt der Gewerkschaft als Faustregel für die jährlichen Lohn- und Gehaltsrunden. Die Formel entstand in den 1970er-Jahren und orientiert sich an der Teuerung und der gesamtwirtschaftlichen Produktivität (BIP real je Beschäftigter) im abgelaufenen Wirtschaftsjahr. Ziel: Arbeitnehmer bekommen neben dem Inflationsausgleich einen Anteil am Produktivitätszuwachs.

Seit die Gewerkschaft ihre Forderungen öffentlich macht, ist ihr die mediale Aufmerksamkeit sicher.
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Chefverhandler der Metalltechnischen Industrie sind Johannes Collini vom gleichnamigen Vorarlberger Metallveredler und Stefan Ehrlich-Adám vom Sicherheits- und Schließsystemhersteller EVVA. Ihnen gegenüber sitzen Rainer Wimmer von der Produktionsgewerkschaft Proge und Karl Dürtscher von der GPA.

Deflation ist das Schreckgespenst der Ökonomen und das Gegenteil der Inflation. Die Preise fallen auf breiter Front, weil die Nachfrage fehlt. Was sich nett anhört, führt zu Überschuldung, Pleitewellen und Arbeitslosigkeit. Was derzeit wie ein fernes Szenario klingt, könnte wieder eintreten, wenn die jetzige Krise in eine tiefe Rezession mündet, sagt Ökonom Ulrich Schuh vom Forschungsinstitut WPZ Research. Die Inflation infolge der Nullzinspolitik der EZB werde nicht von allein weggehen. Damit die gefürchtete Preis-Lohn-Spirale nicht entstehe, schlägt Schuh einen Zweijahresabschluss für die Metaller vor, der bei elf bis zwölf Prozent liegen könnte. Die Unternehmer würden dabei in Vorlage gehen, müssten im Herbst 2023 aber keine neuerliche Lohnsteigerung fürchten. Da die Metaller Vorbildwirkung für alle Branchen haben, könnte so die negative Dynamik gebremst werden. Die Gewerkschaft lehnt Zweijahresabschlüsse kategorisch ab.

Eskalationsszenario Geht in den Verhandlungsrunden nichts weiter, greift die Gewerkschaft zu Kampfmaßnahmen. Zum Repertoire gehören Betriebsrätekonferenzen, Betriebsversammlungen bis hin zu Warnstreiks. Da schalteten sich üblicherweise die Sozialpartner-Spitzen ein, also Wirtschaftskammer- und ÖGB-Präsident.

Finanzkrise 2008/09 gilt als Schablone für Krisen aller Art. Damals gab es Kurzarbeit und negative Auftragseingänge. Lager wurden abgebaut und bereits erteilte Aufträge storniert. Produktionsstillstand und Kündigungen wurden mit Urlaub und Zeitausgleich überbrückt, sogar Minuszeit aufgebaut, die nach der Krise einzuarbeiten war. Anders als heute war die Inflation niedrig und die Produktivität negativ.

Warnstreiks sind die fortgeschrittene Stufe gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen. Meist genügt ihre Ankündigung – und schon bewegt sich was bei den Metaller-Verhandlungen.
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Gulasch wird üblicherweise gegen 23 Uhr serviert. Dann wissen geeichte Lohnrundenbeobachter: Ein Kollektivvertragsabschluss in dieser Nacht ist möglich.

Höchstgeschwindigkeit Eine Blitz-Herbstlohnrunde gab es 2020 in der Corona-Krise. Damals wurde noch am gleichen Nachmittag ein Abschluss erzielt.

Inflationsrate Die Verbraucherpreise gehören zu den wichtigsten Messgrößen der Lohnrunde. Der Verbraucherpreisindex (VPI) ist für die Gewerkschaft quasi die Untergrenze der Lohnerhöhung. Der für die Metaller-Kollektivverträge maßgebliche Zeitraum reicht von September 2021 bis August 2022, die Inflationsrate lag bei 6,3 Prozent.

Ja oder nein. Davon hängt der Verhandlungsfortgang ab. Bei den Arbeitnehmern kann dieser Prozess dauern. Um sich der Rückendeckung "der Basis" zu versichern, kommt das Kernverhandlungsteam aus Gewerkschaftern und Betriebsratsvorsitzenden alle paar Stunden in den Franz-Dworak-Saal der Wirtschaftskammer und erstattet Bericht. Die dort versammelten rund 70 Betriebsräte und Gewerkschafter heben oder senken dann ihre Daumen – und es kann weiterverhandelt werden bis zum Morgengrauen.

Kerninflation Wie in den 1970er-Jahren während der Ölpreisschocks gibt es auch aktuell Bestrebungen der Arbeitgeber, die stark gestiegene Teuerungsrate um die importierte, von Öl- und Gaspreis getriebene Inflation zu bereinigen und in der Lohnrunde nur die "inländische" Inflation als Maßzahl heranzuziehen. Die Gewerkschaft lehnt das ab, auch Arbeitnehmer müssten teuren Strom, Gas und Treibstoff bezahlen. Oberstes Ziel sei der Erhalt der Kaufkraft der unselbstständig Beschäftigten.

Lohnerhöhungen sind das zentrale Ziel von Lohnrunden. Es geht aber um viel mehr – das sogenannte Rahmenrecht, also den Kollektivvertrag, für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einer Branche. Darin enthalten sind Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen, Nacht-, Feiertags-, Schicht- und Sonntagszuschläge, Lehrlingsentschädigungen etc. Auf der Strecke dürfe dabei keinesfalls die

der exportorientierten Industrie bleiben, warnen die Arbeitgeber. Ihr Hauptaugenmerk gilt deshalb der Lohnstückkostenentwicklung.

Match Simmering gegen Kapfenberg, das ist für den gelernten Österreicher Brutalität. Die Herbstlohnrunde bisweilen auch. Mitte der 2000er-Jahre gerieten sich Arbeitgebervertreter um ein Haar physisch in die Haare. Grund war der aus Sicht mancher Unternehmer ungebührlich hohe Abschluss.

Naturschnitzel und Krautfleisch sind deftige Hausmannskost, gut warmzuhalten und somit bewährt als Menü, das in der Wirtschaftskammer aufgetischt wird. Gespeist wurde in sozialpartnerschaftlicher Tradition jahrzehntelang gemeinsam. Erst seit ein paar Jahren speisen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in getrennten Räumlichkeiten.

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Wenn schon keine heißen Frankfurter, dann wenigstens Knacker und Wurstsemmeln für Zwischendurch. Die Gewerkschafter sind Selbstversorger.
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Ohne Jause kommen die Gewerkschafter nie zu Verhandlungen. Ihre legendären Wurstsemmeln und Knackwürste für zwischendurch bringen sie selber mit. 2004 ließen sie das in der Wirtschaftskammer aufgetischte Krautfleisch mit Knödeln stehen. Zu forsch war die Industrie bei der Fusion der Kollektivverträge von Arbeitern und Angestellten vorgegangen.

Personalabbau gehört zu den Druckmitteln bei Lohnrunden. Zwar wird von der Industrie ständig Arbeitskräftemangel beklagt, die Beschäftigung in der Metallindustrie ging laut Statistik Austria 2021 aber um 1,7 Prozent zurück. Der Personalaufwand als Anteil vom Umsatz fiel ein wenig. Von 100 Euro Umsatz wurden 15,95 Prozent für Personal aufgewendet – laut Arbeiterkammer um 52 Cent weniger als vor der Covid-19-Krise.

Quantensprünge sucht man bei Lohnverhandlungen vergebens. Das Geben und Nehmen erfolgt widerwillig und in kleinen Schritten – oder nicht.

Reallohnverluste sind angesichts der hohen Inflation programmiert. Auf vier Prozent taxierte sie das Wifo im Sommer für die Gesamtwirtschaft. In der Sachgüterindustrie sind Reallohnverluste seltener, zuletzt in der Finanzkrise 2009 und wegen Corona 2020. Die Devise der Gewerkschaft lautet: Kaufkraft erhalten.

Sitzfleisch Vom Sieg des Sitzfleisches über die Vernunft sprechen Beobachter, wenn im Morgengrauen eine Einigung verkündet wird. Meistens handelt es sich dabei – aus Sicht der Arbeitgeber – um Abschlüsse am oberen Rand der betriebswirtschaftlichen Vernunft.

Teuerung ist gleich Inflation.

Unternehmen Für rund 1200 Betriebe der Maschinenbau- und Metallwarenindustrie wird am Montag erstmals richtig verhandelt. Parallel folgen Gießereien, Fahrzeugindustrie, Bergbau/Stahl, Nicht-Eisenmetalle und Gas/Wärmeerzeuger. Der Abschluss erfolgte bisher trotz getrennter Verhandlungen auf gleicher Höhe.

Verteilung "Es gibt nichts zu verteilen" gehört zu den Standardsätzen der Arbeitgeber. Um Unternehmen in schlechter wirtschaftlicher Verfassung – etwa mit negativem Betriebsergebnis – zu schonen, wurde bei Bedarf die sogenannte Verteiloption verhandelt: Ein Teil der Ist-Lohnerhöhung kann dabei innerbetrieblich an Leistungsträger verteilt.

Witzverhandlungen gab es in der langen Tradition der Metaller immer wieder. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wurde oft endlos um Details wie Überstundenzuschläge und Durchrechnungszeiträume verhandelt, während die Arbeitgeber mit Personalabbau oder den Einsatz von Leiharbeitskräften drohten – aber nicht ernsthaft. Beide Seiten fühlen sich gepflanzt. Ein Kräftemessen in mehreren Akten.

X und Y sind die Unbekannten in der Gleichung. Sind die wirtschaftlichen Aussichten unsicher, orientiert man sich an der Herbstprognose von Wifo und IHS. Sie steht heuer am 7. Oktober an. Die deutschen Wirtschaftsweisen erwarten eine Rezession.

Zehn Komma sechs Mit der Forderung von 10,6 Prozent mehr Lohn und Gehalt ging die Gewerkschaft in die diesjährige Herbstlohnrunde für insgesamt rund 190.000 Metallarbeiter und Industrieangestellte. Sie begründen dies mit der hohen Inflationsrate. Auch habe die Industrie bestens verdient, Produktionswert und Gewinne seien wieder auf dem Niveau vor der Corona-Krise. Die Reaktion der Arbeitgeber: "Maßlos überzogen". (Luise Ungerboeck, 2.10.2022)